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Begeisterungsfähigkeit und Sachlichkeit

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Experten der parlamentarischen Demokratie hätten ein assortiertes Lager von Erfahrungen zur Hand gehabt. Aber die Demokratie in der Kirche ist jung, und sie wird daher Erfahrungen anderer ablehnen und aus eigenen Erfahrungen aufbauen wollen. Das hilft nicht über die Tatsache hinweg, daß es in der Demokratie der Weisheit letzter Schluß ist, den integralen Zusammenhang zwischen dem Repräsentativsystem und Formen der mehr plebiszitären Demokratie zu wahren. Je mehr plebiszitäre Demokratie im Plenum spürbar wird, desto bewegter der Rhythmus der parlamentarischen Polemik; je schleppender das Verfahren; je langatmiger die geschäftsordnungsmäßige Abwicklung; und um so größer schließlich die Gefahr, daß

• die Begeisterungsfähigkeit der Anfänger in den endlosen Debatten über Fragen der Geschäftsordnung und der Abstimmungsprozedur versackt. Begeisterung ist keine Heringsware, sagt man in Norddeutschland.

Die Frage,, wann, wie und wo die Form der „kollegialen Leitung“ auf allen levels der Kirche eingeführt werden soll, gehört zu den mächtigsten Dynamismen, die im jetzigen Transitorium tätig sind. Es ist unmöglich, dieses Problem isoliert, etwa auf dem level der Pfarr-gemeinde, anzugehen; in der Erwartung, daß man nach einer Lösung im Bereich der Pfarrgemeinde bis an ein seliges Ende in Ruhe und Frieden werde weiterleben können. Aber die Dynamik dieses Problems hält keinen Vergleich zu der Tatsache, daß die fraternitas der Christen unter Gott Vater nicht organisiert und nicht demokratisiert werden kann. Auch für die Vertreter einer „Kritischen Kirche“ wäre eine organisierte Kirche keine Alternative zu dem, was sie Amtskirche nennen. An diesem Punkt der Erwägungen wird bereits der Wendepunkt der Entscheidung sichtbar. In der Konzilskirche wurde das Problem der „kollegialen Leitung“ noch einmal den Analytikern zur Antragsformulierung überantwortet. Bei dem ganzen geht es aber um mehr als um Analysen und Formeln; es geht um Prioritäten und Ränge in den Bereichen des Heilsdienstes und der Präsenz des Glaubens überhaupt.

Daher steigerte sich die Konfrontation der Pro- und Kontrastimmen auch in der Abstimmung, in der darüber entschieden wurde,

• ob es empfehlenswert sei, daß esoterische Kreise von Katholiken den Anspruch haben sollen, sich rechtens als Pfarrgemeinden zu konstituieren und für sich vom Bischof den ihnen zusagenden Pfarrer zu reklamieren. Hier wird die Gefahr sichtbar, die den Protestantismus seit Beginn umwittert: die Zerfaserung der Kirche bis zur Wesenlosig-keit des Sektentums; da und dort die Absenz des Christentums im Meer der Ersatzgläubigkeit.

Mehr und mehr wird in der Diskussion der unlösbare Zusammenhang von Form und Inhalt sichtbar. Die Kirche, Gefäß der Wahrheit, ist dabei mit der Dominante des herrschenden Zeitgeistes konfrontiert, indem sie dafür einsteht, daß

• ihre Wahrheit ganz und gar un-geschichtiieh ist.

Das löscht die Diskussion darüber nicht aus, ob

• sich die Erkenntnis der Wahrheit in der Geschichte wandelt oder

• es so etwas geben kann wie eine veränderliche Anwendung einer auswechselbaren Form der Erkenntnis der Wahrheit.

Noch ist darüber die klärende Aussprache in Gang; insbesondere in Zusammenhang mit „De Nieuwe Katechismus“, den die Hierarchie der Niederlande und das Höhere katechetische Institut in Nijmegen herausgebracht haben. Die drei Fragestellungen betreffs der Wahrheit, ihrer Erkenntnis und der Anwendung der Erkenntnis liegen wie drei konzentrische Kreise um den Mittelpunkt der Existenz von Kirche und Glauben:

• Die absolute Ungeschicbtlichkeit geoffenbarter Glaubenswahrheiten kann für Katholiken kein Gegenstand des Streits sein. Sie müßten hierin wenigstens so gläubig sein wie Karl Jaspers, der wohl ein „kommunikatives Miteinander“ von Offenbarungsglauben und philosophischem Glauben bejaht, nicht aber deren Verwirklichung in der Lebenspraxis eines Menschen.

• In den Beziehungen der Christen zu den ' „Fernstehenden“ ist dieses „kommunikative Miteinander“ zumeist gar nicht oder schlecht geordnet. Die Toleranz des Christen ist herausgefordert, und nicht wenige Christen verfallen in eine falsche Toleranz: In eine, die nicht selbstgewiß ist und dem „anderen“ in hilfloser Anpassung gegenübertritt. Arnold Toynbee hat die Duldsamkeit einmal so charakterisiert: Mit Nachbarn sich vertragen, deren Verhalten wir mißbilligen oder ablehnen und deren Absichten mißtrauen. Das aber erfordert Courage, Wissen und Glauben.

Wieviel ist die Ersatzgläubigkeit aus dem beständigen Wandel in der Anwendung der Änderungen in der Wahrheitserkenntnis wert? Die Wiener Diözesansynode steht an ihrem Anfang und sie steht am Ende der Ära Paul Sartres. Sartres Hang zum totalen Atheismus hatte den Auszug aus -allen Institutionen, Ideologien und Ersatzgläubigkeiten zur Folge; geriet in die Lichtung des Seins, die Sören Kierkegaard erkundet hat. In einer Stunde wie dieser wuchern über diese Lichtung Mentalitäten, Ideologien und Ersatzgläubigkeit bis zu dem Maße, daß die Distanzierung Sartres in eine Flucht in neue Institutionen und Ideologien ausartet. Der Aufstand junger Menschen, große und ursprüngliche Kraft des Neuen, gerät nicht nur in die Technik des perpetuum mobile der berufsmäßig ausgeübten Veränderung alles Bestehenden, sondern zuletzt auch in Schüttzonen der Revolution von gestern, die heute blanke Reaktion darstellen.

Auf der Rast zwischen den Begegnungen tut es dem Christen gut, zuweilen bei Johann Maria Sailer (1751 bis 1832) nachzulesen. Wie dieser brennende Mensch, den der Eifer eines heiligen Klemens Maria Hofbauer diskriminiert hat, die Zeiten der Aufklärung und der Restauration bestanden hat. Die drei folgenden Sätze Sailers sind das simple Vademecum des Christen, der unterwegs ist; der aber nicht flüchtet, weder nach hinten noch nach vorne:

• Bei aller kirchlichen Reform ist zu bedenken: Die Linie ist fein und schwer zu bestimmen, wie weit man gehen dürfe.

• Der Macherlohn für das neue Gewand darf nicht zu teuer sein.

• Zerstöre keine Form, die noch treue Herzen gegen Gott und' die Menschen bildet.

Sailer kam aus einer Zeit, in der auf vielen Kanzeln der Name Jesus kaum noch zu hören gewesen ist; dafür wurde im Priesterseminar in Landshut den angehenden Priestern unaufhörlich eingeprägt, daß sie später vom Wert des Blitzableiters, vom Straßenbau, von der Stallfütterung und von der Pockenimpfung reden müßten. Umwege, von denen die Markierungen noch im Gelände stehen.verschiedene Auffassungen über die Stellung der Vikare verursachten Diskussionen, nach denen allerdings der Satz „es ist Aufgabe der Vikare, den Diözesanbischof durch die Leitung ihrer Vikariate zu unterstützen“ eine eindeutige Mehrheit fand. Die Syinodalversammlung legte auch noch fest, diese Vikare „mögen von einem noch näher zu bestimmenden Gremium der betreffenden Dekanate, dem Priester, Ordensleute und Laien angehören, dem Bischof vorgeschlagen werden.“

Jede Synode ist eigentlich nur ein beratendes Gremium für den Bischof, der allein den Beschlüssen der Synodalversammlung Rechtskraft verleihen kann. Man erwartete daher mit Interesse, wann und welche Ergebnisse der ersten Session der Wiener Erzbischof promulgieren würde. In der Febernummer 1969 des Wiener Diözesanblattes wurde nun die Errichtung der Vikariate Wien-Stadt, Wien-Nord und Wien-Süd bekanntgegeben.

Aber nicht nur diese Neuerung für die Seelsorge promulgierte Kardinal König, er bestimmte auch, wie es die Synode gewünscht hatte, daß Priester, Ordensleute und Laien personelle Vorschläge für die Vikare unterbreiten sollen. Alle Dechanten, alle Synodalen und alle Leitungen der synodalen Regionalkonferenzen eines Vikariates — jede Leitung besteht aus dem geistlichen Moderator, dem Vorsitzenden, zwei Stellvertretern und zwei Organisationsrefaren-ten — dürfen einen Dreiervorschlag an den Diözesanbischof einbringen. Der Präsident der Synode, Erzbischof Jachym, überwacht den Ermittlungsvorgang.

Rund 500 Personen werden also in den nächsten Monaten nach einem Reglement, das noch bekanntgegeben wird, ihre Vorschläge für die drei Vikare einbringen. Der Kardinal hat damit abermals seinen Gläubigen ein Recht eingeräumt, das sie bisher in ähnlichen Belangen nie hatten, weder Priester noch Laien. Dies bedeutet nicht nur wie bei der Zusammensetzung aller synodalen Gremien einen großen Vertrauemsvorschuß des Bischofs, sondern auch eine Aufwertung der Laien. Damit wurde ein Weg beschritten, der über die Wiener Diözese hinaus Vorbildwirksamkeit bekommen wird, wenn die Priester und die Laien die neugewährten Rechte zur Partnerschaft untereinander und miit dem Bischof und zur Zusammenarbejt im Hinblick auf die Ziele und auf ävs Wohl der Kirche nüizen.

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