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Bemerkungen zur Jugendarbeit

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- Die bisher in diesen Blättern erschienenen Aufsätze zu den seelischen und erzieherischen Problemen der Gegenwartsjugend haben ein außerordentlich starkes Echo gefunden. Haben diese Ausführungen bisher sich zumal vom Standpunkt des Pädagogen mit dem Thema befaßt, so tritt der Verfasser der nachstehenden Darlegung mit dem Blick hingerichtet auf die kirchliche Aufgabe in die Debatte ein.

Der Österreicher von 1945 ist in starkem Ausmaße ein Produkt des Widerspruches gegen Preußen-Deutschland, sein Bekenntnis, in den Tiefen weitgehend aus den leidenschaftlichen Affekten des Protestes geformt, entbehrt noch oft der natürlichen und positiven Antriebe.

Mit dem allmählichen Verschwinden der Protestursache verströmen viele Energien in der Unendlichkeit flacher politischer Diskussionen. Alle positiven Kräfte unseres Vaterlandes, die zumindest Teile ihrer Substanz in die neue Zeit herüberretten konnten, müssen ihren Beitrag an dem nach Umfang und zeitlichem Ausmaß kaum absehbaren Werk der nationalen Erziehung leisten.

Dies gilt für die kirchlichen Stellen und Einrichtungen nicht minder wie für die weltlichen.

Für die Kirche von heute um so mehr, als sie, ein ungeheurer Fortschritt gegenüber 1918 und'1938, weitab von staatsrechtlichen und fiskalischen Bindunge, auch institutionell aus eigener Verantwortung und Souveränität handeln kann.

Vor welchen Tatsachen steht nun die Kirche in ihrer Jugendarbeit, soweit sie sich in den festen Formen außerschulischer Bande manifestiert:'

1. Die erste und in ihrer Offensichtlichkeit elementarste Tatsache ist die einer beispiellosen Verarmung im v österreichischen Räume und einer damit zusammenhängenden Verwirrung aller gesellschaftlichen und ökonomischen Begriffe. Ein großer Hundertsatz der jungen Menschen in den Städten entzieht sich jeder geregelten Arbeit und in weitestem Umfange aller Norm ziviler Ordnung. Diese jungen Menschen einer soziologisch noch nicht klassifizierten Schichte stehen nicht an der Peripherie kirchlicher Jugendarbeit, von der sie in das Zentrum eingeholt werden könnten, sondern sie sind am anderen Ufer, das vom hellen Anruf der Seelsorge nicht erreicht wird. Die kirchliche Jugendarbeit kann hier bei der augenblicklichen Situation diese jungen Schleichhändler und Arbeitsverweigerer kaum nachhaltig erfassen, eher noch die Seelsorge in ihrer allgemeinsten Art.

2. Dann sind da die Frontkämpfer. Sie kommen aus dem Grauen der letzten Kesselschlachten, aus den Erdlöchern und Massenquartieren der Gefangenenlager, aus der zusammengebrochenen Zucht einer großen Armee. Für viele von ihnen war die vorgeordnete Gemeinschaft der „Einheit“ ein Stück Leben, das augenblicklich nur notdürftig ersetzt worden ist. Die Soldaten, die Jungen zuvorderst, sind aber daran, ihre Scheu vor Bindung im Ausmaß ihres Hineinlebens in die Ordnung des Zivilen abzulegen. Sie sind daher weitab reif für eine kirchliche Jugendarbeit, wenn rnan ihnen auch, insbesondere im Bereiche des Sittlichen, ein Stück Weges in einem großen und einmaligen Verstehen entgegengehen muß.

3. Zu allem dem kommt, daß das Bekenntnis zur Kitoche wieder eine „Mode“ geworden

ist; schon deswegen, weil man da und dort glaubt, sich durch ein offensichtliches und aufdringliches Christentum der Verantwortung und der Mitarbeit am Wiederaufbau entziehen zu können. Viele Kinder kommen jetzt als „Gesandte“ der Eltern; ihre Zugehörigkeit zu einer katholischen Jugendgruppe stellt also einen unnützen Alibiversuch der Eltern dar und ist nur von bedingter Dauer.Welcher ist nun der Anruf, den die Kirche aufzunehmen hat?

Est ist ein missionarischer Ruf, der gebieterisch heismt, über die Barrikaden von Vorurteilen und soziologischen Hindernissen hinweg, in völliges Neuland mit neuen Methoden und teilweise auch mit neuen Menschen, vorzustoßen. .

Hier erhebt sich eine Frage, die im Gespräche über die Form katholischer Jugendarbeit von heute zu einer entscheidenden geworden ist: Masse oder Auslese?

Da gilt das „sowohl als auch“. Zur Aufgabe ist der Kirche die gesamte Jugend gegeben.

Einerseits müssen die jungen Menschen schon an der Peripherie der seelsorglichen Arbeit in mehr oder minder lockerer Form erfaßt werden, vielleicht vorerst in Formen, die weniger bestimmt sind, wie Sport, Wandern, Spiel, Unterhaltung. Die anfänglich , lockere Bindung muß aber, auch bei den Massen, zu einer organisatorischen Bindung führen, aber kaum anders als in Etappen.

Daneben erhebt sich die Forderung nach einer Auslese. Wo aber keine Masse wäre, da ist schon begrifflich auch die Möglichkeit einer Auslese nicht gegeben.

Im engsten Zusammenhange mit der Herauslösung einer Auslese aus den Massen steht die Bildung eines Führerkorps. Das bedenkliche Absinken der Priesterberufe — trotz offensichtlicher Studiennachholung und Massierung auf fast allen Fakultäten — ist irgendwie ein Index für das Fehlen der festgeformten Bünde. Die meisten Seminaristen sind aus dem Führerkorps der Bündg gekommen.Halten wir uns das vor Augen. Verkennen wir auch nicht die Tatsache, daß wir ohne Bünde weiterhin von der Substanz leben müssen, und daß wir derzeit von der Substanz leben, ist unleugbar — im Religiösen wie im Politischen.

Das territoriale Gliederungsprinzip der Jugendarbeit kann, schon aus dem organisch-hierarchischen Aufbau der Kirche heraus, nur das der Pfarre sein. Daneben aber gibt es eine Form der Seelsorge, die sich räumlich und pfarrlichkaum abgrenzen läßt, weil sie eben keinen lokalen, sondern einen personalen „Standort“ hat. Die personalpfarrliche Betreuung cjer Soldaten ist hiefür ein Beispiel. Ich denke da insbesondere an die Studenten- und Arbeiterjugend-Seelsorge. Eine seelsorgliche Betreuung der Mittelschüler, die ja eher schulisch als pfarrlich begrenzt werden muß, ist derzeit kaum in Ansätzen sichtbar. Dieser fühlbare Mangel ist ein besonderer Grund dafür, daß wir uns gerade jetzt sehr stark der mit einem ungeheuren vitalen Schwung vorgetragenen Aktion der katholischen Mittelschülerschaft nach dem ersten Weltkrieg erinnern, einer Aktion, die heute in einer Reihe von Repräsentanten dieser Bewegung, vor allem im politischen Räume, noch wirksam ist. Wir müssen feststellen, daß eine große katholische Mittelschülerbewegung eine Notwendigkeit darstellt. Nicht etwa eine Organisation mit Monopolcharakter, sondern vielleicht als Reservoire für die in der Folgezeit zu bildenden Bünde.

Gleiches wie für die Mittelschüler gilt für die seelsorgliche Betreuung der Arbeiterjugend im Rahmen einer großen Sozialaktion der Kirche. Wie ist doch das Bild der Kirche des europäischen Westens vor diesem Kriege in weitem Umfange von den Jungen der katholischen Arbeiterbewegung (Jocisten) und den Gedankengängen einer antikapitalistischen katholischen Aktion bestimmt gewesen!

Das Jugendreich soll nicht nur in seinen Umfangen ein weites, sondern soll auch ein reichgegliedertes sein, soll Fülle und

V i e 1 f al t aufweisen. Nur so besitzt es eine der Natur des jungen Menschen entsprechende Form und darüber hinaus eine Elastizität, die es in vielen Fällen gewesen ist, welche die kirchliche Jugendarbeit als organisatorisches Faktum davor bewahrt hat, sofort dem konzentrischen, auf einen Punkt gerichteten Vorstoß eines Gegners zu erliegen.

Der innerpolitischen Entwicklung angemessen ist heute die Jugendarbeit noch durch die Diözesen- und teilweise sogar durch militärische Grenzziehungen abgesperrt. Es muß eine vordringliche Aufgabe sein, zumindest in der katholischen Jugendarbeit über die Demarkationslinien hinaus zu einer gesamtösterreichischen katholischen Jugend* bewegung zu kommen, wenn nicht dem Kantönligeist als einer Antwort auf den mechanischen Zentralismus von gestern auch in der Kirche allzuviel Raum gegeben werden soll.

Daneben muß Hand in Hand die Errichtung katholischer Jugendzentralen (Jugendhäuser), die Schaffung eines katholischen Jugendschrifttums, die Förderung des Jugendheimwesens und der Schulungslager gehen.

Aus dem Gemeinsamen der letzten großen Erlebnisse ist das Christliche aus seiner Vereinsamung und Vereinzelung herausgewachsen, ist großzügiger und umfassender geworden, auch nicht mehr dem Schein nach auf soziologisch abgegrenzte Gruppen und Parteien abgestellt, So ist der kirchlichen Jugendarbeit heute sichtbarer denn je die Aufgabe geworden, Querverbindung durch die Bünde aller Richtungen zu sein; alle weltliche Jugendarbeit derart überhöhend und noch weiter vorzustoßen in die Bezirke der ungebundenen, der „freien“ Jugend. In diesem Räume freier Seelsorge aber erheben sich ungeheure, von Seelsorgern allein nur teilweise selbst zu lösende Probleme, deren Bewältigung letzten Endes der in das Reich Gottes hineinwachsenden Jugend selbst aufgegeben werden muß.

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