6789128-1970_27_17.jpg
Digital In Arbeit

Beruf und Schulwahl

19451960198020002020

Nicht erst die Absolvierung der neunjährigen Schulpflicht, sondern bereits der positive Abschluß der 8. Klasse (4. Klasse des Gymnasiums oder Realgymna-- siums, 4. Klasse der Hauptschule oder Volksschuloberstufe) bildet mit der erfolgreichen Ablegung der standardisierten Aufnahmeprüfung die Voraussetzung für die Zulassung zu den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. So wird für einen Schüler das 14. Lebensjahr zur wichtigsten Entscheidungsphase in seiner Schullaufbahn.

19451960198020002020

Nicht erst die Absolvierung der neunjährigen Schulpflicht, sondern bereits der positive Abschluß der 8. Klasse (4. Klasse des Gymnasiums oder Realgymna-- siums, 4. Klasse der Hauptschule oder Volksschuloberstufe) bildet mit der erfolgreichen Ablegung der standardisierten Aufnahmeprüfung die Voraussetzung für die Zulassung zu den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. So wird für einen Schüler das 14. Lebensjahr zur wichtigsten Entscheidungsphase in seiner Schullaufbahn.

Werbung
Werbung
Werbung

Für einen Gymnasiasten, der ohne Schwierigkeiten das Un/tergymnasium abgeschlossen hat, besteht — soferne ihn nicht ein elterlicher Betnieb zum technischen oder kaufmännischen Studium führt — wenig Anreiz, ins berufsbildende Schulwesen hinüberzuwechseln, so daß die berufsbildenden Oberetufenformen (Fortsetzung auf Seit 18)

(Fortsetzung von Seite 17) des Gymnasiums und Realgymnasiums entschieden im Nachteil liegen. Der Abgänger der Hauptschule und der Volksschuloberstufe steht vor der Entscheidung: Entweder über den Polytechnischen Lehrgang, die Ausbildung im Betrieb und die Berufsschule, die als Teilzeitschule die betriebliche Ausbildung begleitet, den direkten Weg in den Beruf zu suchen, oder durch den Besuch einer berufsbildenden mittleren Schule (Fachschule, Handelsschule), das fachliche Wissen und praktische Können für die Ausübung seines späteren Berufes zu erwerben; oder schließlich eine allgemeinbildende höhere Schule zu besuchen.

,.Die berufsbildenden mittleren Schulen haben die Aufgabe, den Schülern jenes fachliche grundlegende Wissen und Können zu vermitteln, das unmittelbar zur Ausübung eines Berufes auf gewerblichem, technischem, kunstgewerblichem, kaufmännischem, wirtschaft-lich-frauenberufllichem oder sozialem Gebiet befähigt.“ (Paragraph 52 Sch. Org. G. 1962.) Die Dauer der Ausbildung reicht von einem Jahr bis zu vier Jahren. Die einjährigen Haushaltungsschulen, die infolge ihrer intensiven Ausbildung eine weite Verbreitung, besonders im ländlichen Bereich gefunden haben, sind im neunten Pflichtschuljahr eine Alternative zum Polytechnischen Lehrgang. Die zweijährigen Hauswartschaftsschulen und die dreijährigen Fachschulen für wirtschaftliche Frauenberufe sind nicht nur auf die Führung eines Haushaltes hin geordnet, sondern bilden auch für den einfachen Bürodienst und den Küchen- und Servierdienst in Beherbergungs-betrdeben aus.

Diesen Schulen, in besonderer Weise den dreijährigen Gastgewerbefachschulen und Hotelfachschulen, kommt in der Fremdenverkehrswirtschaft eine wichtige Aufgabe, zu. Denn die zunehmende Automation in weiten Bereichen der Wirtschaft führt, zusammen mit dem Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur, zu einer starken Zunahme der Beschäftigten im Dienstleistungssektor, im Handel, Kreditwesen und Verkehr. Die Abgänger der genannten Schulen und der in allen politischen Bezirken geführten dreijährigen Handelsschulen, die kaufmännische Nachwuchskräfte fachtheoretisch und praktisch mit der Bürotechnik vertraut machen, dürfen sichere Arbeitsplätze erwarten.

Die drei- und vierjährigen Formen der technischen, gewerblichen und kaufmännischen Fachschulen ersetzen Meister- oder Fabrikslehre, Besuche der Berufsschule, Gesellenprüfung und zwei Jahre der Gesellenzeit für eine künftige Meisterprüfung. Die vierjährige Ausbildungsdauer — gleich lang wie derzeit an den Gymnasien, und nur um ein Jahr kürzer als bei den berufsbildenden höheren Schulen — hat manche technische und gewerbliche Fachschule in eine echte Krise geführt.

Der Abschluß der Lehre oder einer Fachschule braucht keine Endstation der beruflieben Ausbildung zu sein. Werkmeisterschulen, Bauhandwerkerschulen, Meisterklassen, Kurse und Lehrgänge eröffnen den Facharbeitern den Weg zu gut dotierten und verantwortungsvollen Tätigkeiten im Betrieb. Die Meisterprüfung kann aber auch die Voraussetzung für den Lehrberuf sein. Die Berufspädagogischen Lehranstalten und Institute (Wien, Graz, Innsbruck) bilden in zwei beziehungsweise vier Semestern Facharbeiter zu Berufschullehrern und Fachlehrern für berufsbildende mittlere und höhere Schulen aus. Die Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten, die Handelsakademien und Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Frauenberufe führen In fünfjährigen Ausbildungsgängen zur Reifeprüfung mit Hochschulberechtigung. Sie vermitteln neben einer breiten Allgemeinbildung ein fundiertes praktisches und fachtheoretisches Wissen und Können für den unmittelbaren Eintritt in das Wirtschaftsleben als höhere Fach- und Führungskräfte.

Die Standarddisziplinen der höheren technischen Lehranstalten — Maschinenbau, Elektrotechnik. Hochbau und Tiefbau — sind nahezu in allen Bundesländern vertreten, während Spezialabteilungen, wie technische Chemie, Betiriebstechnik, Textilchemie, Re-produktlons- und Drucktechnik nur im Raum von Wien konzentriert sind. Ein Blick in die Inseratenteile der Zeitungen zeigt, daß sich den Absolventen dieser Schulen gutbezahlte und interessante Aufgaben in der Wirtschaft bieten. Nach einer vierjährigen einschlägigen Berufspraxis können sie die Standesbezeichnung „Ingenieur“ erlangen. Die Handelsakademien haben Schwerpunkte ihrer Ausbildung in den modernen Fremd-

sprachen, der Betriebswirtschaftslehre, der Nationalökonomie, der Buchhaltung und Büro- und Datenverarbeitungsorganisation und -technik. In Industrie- und Handelsbetrieben und im Kreditwesen haben die Absolventen beste Berufschancen. Erstaunlich ist, daß Handelsakademiker kaum in der kommunalen und staatlichen Verwaltung vertreten sind, obwohl sie besonders dazu geeignet wären, Akademiker in nichtkonzeptiver Tätigkeit zu ersetzen und betriebswirtschaftliche Methoden und Managementtechniken in die Verwaltung zu bringen. Das starre Besoldungsschema hat dies bisher verhindert, obwohl hier durch beachtliche Zulagen für EDV-Personal bereits ein Umdenken einsetzt.

Die Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Frauenberufe vermeiden eine Spezialisierung auf bestimmte eng umgrenzte Arbeitsgebiete, sie geben eine breite Ausfaildungsbasis, durch die Kombination allgemeinbildender (darunter zwei lebende Fremdsprachen), wirtschaftlich-kaufmännischer und hauswirtschaftlicher Fächer. Dadurch wird die notwendige Mobilität im Berufsleben, eine eventuelle spätere Berufswahl und nicht zuletzt ein Wiedereintritt in qualifizierte Berufe in der zweiten Lebenshälfte gewährleistet.

Die Entwicklung der Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten und die darauf aufbauende ökonomische Theorie haben aufgezeigt, daß der Produktionsfaktor Arbeit erst durch entsprechende Billdung und Ausbildung In die Lage versetzt wird, den hohen Kapitaleinsatz, wie ihn die moderne Technologie bedingt, optimal einzusetzen. Dementsprechend ist auch eine stark steigende Nachfrage nach qualifizierten Kräften festzustellen. Anderseits bewirken steigender Wohlstand, Ausbau des Schulwesens und verbesserte Information über den Wert der Bildung und Ausbildung ein zunehmendes Schülerangebot. „Für den Ökonomen ergibt sich die Aufgabe, das richtige Maß der Bildung für die Gesamtwirtschaft zu sachem und innerhalb des Bildungssystems für eine sachgerechte und effiziente Verteilung der Mittel Sorge zu tragen, ohne dabei die verfassungsrechtlich geschützte freie Wahl der Ausbildungsstätte zu beschränken.“ (Rolf Freund in „Bildungsplanung, Bildung-Investitionen, Bildungsertrag.“)

Als Planungsmodelle im Bildungsbereich werden derzeit Angebotsmodelle (Individual De-mand Approach), Nachfragemodelle (Manpower Approach) oder integrierte Ansätze verwendet.

Auf Grund des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) vom 30. Dezember 1963 wurde in der Studie „Erzielhungsplanung und Wirtschaftswachstum in Österreich 1965 bis 1975“ von Dr. Steindl, (österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) der Bedarf an Fachkräften berechnet. Freund bezeichnet das Modell von Dr. Steindl als Angebotsmodell mit nachfragebedingten Korrekturen Es wendet die Methode der Extrapolation der jüngsten österreichischen Entwicklung in die nächste Zukunft an und orientiert sich an den westlichen Industrieländern mit technologischem Vorsprung, deren Berufsstruktur wir uns mit einer gewissen Verzögerung annähern. Mit Hilfe empirischer Untersuchungen und durch Erstellung von Modellen wird versucht, ein Bild der zukünftigen Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zu entwerfen. Die GegerfSTSerstellung der Maturantenzahlen der letzten 10 Jahre (Tabelle 1) und des Bedarfes für die kommenden 10 Jahre (Tabelle 2) zeigt an der Schnittstelle 1969 eine deutlache Diskrepanz zwischen Iststand und Sollstand. Die Entwicklung der Wirtschaft und des rAbeitsmarktes läßt erkennen, daß bed den angegebenen Bedarfswerten eine Verschiebung zugunsten der berufsbildenden Formen notwendig sein wird.

Für Maturanten der allgemeinbildenden höheren Schulen, die ein langdauerndes Hochschulstudium nicht auf sich nehmen wollen, werden Abiturdentenlehrgänge an berufsbildenden höheren Schulen geführt. Sie verbreitern und vertiefen das erworbene Wissen, erweitern die Berechtigungen und vermitteln Fachkenntnisse auf technischem, gewerblichem und kaufmännischem Gebiet. Schon seit Jahren bewähren sich Abituxientenlehr-gänge an Handelsakademien, an der Höheren Lehranstalt für Fremdenverkehrsberufe, und Lehrgänge für Kunststofftechnik, Radiotechnik und Vermessungstechnök an höheren technischen Lehranstalten.

Im September 1970 wird in Wien ein einjähriger Abiturientenlehrgang für Datenverarbeitung und Organisation eröffnet, der völlig neue Wege in einem expandierenden und zukunftsweisenden Berufszweig beschreitet. Die theoretische und praktische Ausbildung zum Programmierer, Organisator und Analytiker auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung erfolgt dabei in den Gegenständen: Betri'ebswirtschaftliche Grundlagen, Betriebliches Rechnungswesen, Mathematik, Plammgsmathematiik (Operations Research), Organisationslehre, Einführung in die maschinelle Datenverarbeitung, Programmieren mit Übungen am Computer, Organisation und Praxis der automatisierten Datenverarbeitung. Ein moderner und leistungsfähiger Computer wird zur Verfügung stehen. Auch Erwachsene haben Zugang zu mittlerer und höherer kaufmännischer und technischer Bildung. Handelsschulen und Handelsakademien für Berufstätige führen zu den Bildungszielen der Normalfonmen. Wer eine einschlägige Berufsausbildung abgeschlossen hat, kann in einem vierjährigen Bildungsgang — der Abendunterricht umfaßt 25 Wochenstunden — an einer höheren technischen Lehranstalt für Berufstätige Ingenieur werden. Erfahrungen in hochentwickelten Industrieländern zeigen, daß für die moderne Wirtschaft ein pyramidenförmiger Aufbau der Berufsstruktur wünschenswert ist. Für Österreich ist ohne Zweifel eine Verstärkung des Mittelbaues und eine verstärkte Ausbildung mittlerer und höherer Fach- und Führungskräfte eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Nach dem weitgehend vollzogenen regionalen Ausbau der allgemeinbildenden höheren Schulen („In jeden politischen Bezirk eine allgemeinbildende höhere Schule“) gebührt nunmehr dem Ausbau des berufsbildenden höheren Schulwesens Priorität. Ein verstärkter Ausbau postsekundärer Ausbildungswege, das weite Gebiet der öffentlichen Verwaltung, das eine modernere und effizientere Organisation benötigt, und der höheren Sozialberufe ist noch nicht erschlossen — könnte Maturanten allgemeinbildender höherer Schulen in kürzerer Zeit in aussichtsreiche Positionen des Wirtschaftslebens eingliedern und damit durch Differenzierung des Benufs-angebotes den Zustrom zu den Universitäten, den diese nicht mehr bewältigen können, in Grenzen halten.

In den bildungspoliifciischen Diskussionen, in den Schulreformgesprächen und in der Presse steht das berufsbildende Schulwesen weitgehend außer Streit. Die Wirtschaft bringt den Absolventen Vertrauen entgegen, wie der Stellenmartot zeigt. Gibt es also keine akuten Probleme oder Notwendigkeiten zur Durchführung von Reformen?

Auf den Rückgang der Schülerzahlen bei manchen Formen der vierjährigen Fachschulen wurde bereits hingewiesen. An den höheren technischen Lehranstalten wird es notwendig sein, die derzeitige Wochenstundenzahl von 44 Stunden (plus möglicher Freigegenstände) zu reduzieren. Das Angebot an Fachrichtungen ist zu groß und die damit verbundene Spezialisierung ab dem 14. Lebensjahr — somit schon in der Grundausbildung — ist weder bildungsökonomisch optimal, da die später erforderliche berufliche Mobilität dadurch kaum gewährleistet werden kann, noch entspricht sie dem europäischen Trend.

Im EWG-Raum bahnen sich für das Ingenieurstudium Entwicklungen zur Vereinheitlichung an (Europaingenieur, Fachhochschulen), die auch die Struktur der höheren technischen Lehranstalten beeinflussen werden.

Die Diskussion über die Neugestaltung des Ingenieurstudiums ist aber auch in Österreich in Gang gekommen. Einen umfassenden Beitrag dazu hat MR Dipl.-Ing. Dr. Partisch geliefert: „Plan eines Systems der Berufsausbildung“ (Eine Diskussionsgrundlage) in: Pädagogische Mitteilungen, Beilage zum Verordnungsblatt des Bundesministeriums für Unterricht, Jahrgang 1970, Stück 5. An den Handelsakademien wird voraussichtlich mit Beginn des kommenden Schuljahres der Gegenstand „Elektronische Datenverarbeitung“ als Pflichtgegenstand geführt werden. Schon seit einigen Jahren wird Datenverarbeitung als Freifach an den Höheren technischen Lehranstalten und Handelsakademien unterrichtet. Es gilt nun, die Methodik des Unterrichtes zu entwickeln, die Aus- und Fortbildung der Lehrer fortzusetzen und die maschinelle Einrichtung für einen wirksamen Unterricht bereitzustellen. Ihrer wirtschaftlichen und soziologischen Bedeutung nicht entsprechend vertreten sind die Ausbildungsstätten für den Fremdenverkehr und die Sozialberufe. Bisher gibt es auf diesen Gebieten keine einzige Bundesschule. Im Sinne der oben erwähnten Bedarfelage wird es auch notwendig sein, den Bereich der Verwaltung in die Ausbildung höherer Lehranstalten einzubeziehen und den Maturanten der allgemeinbildenden höheren Schulen Abiturientenlehrgänge dieser Richtung mit Betonung der Organisationslehre und der Managementtechniken anzubieten. Es wird ständiger Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Verwaltung und genauer Beobachtung der internationalen Entwicklungen auf diesem Gebiet bedürfen, um die vielfältigen Formen das berufsbildenden Schulwesens mit den Ausbildunigsbedürfnissen der modernen Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen

Vornehmste Aufgabe der Bildungspolitik wird es jedoch sein, durch wirksame Information Schülern und Eltern die Möglichkeit zu geben, in persönlicher Verantwortung die Entscheidung über Ausbildung und spätere Berufslaufbahn zu treffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung