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Betriebsführer Bauer

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Immer mehr wird in der Welt Problem Nr. 1 das Ernährungsproblem werden. Es ist bewiesen worden, daß 63 Prozent der Menschheit unterernährt sind. Dieses Problem rührt natürlich auch an uns. Man kann ja heute kein Land mehr von der sonstigen Welt abschließen. Man kann also in der Wirtschaft nicht mehr österreichisch, sondern muß mindestens europäisch, wenn nicht global planen. Wenn in der Welt die Ernährung der Menschheit Schwierigkeiten bereitet, müssen wir in Oesterreich uns mit dieser Frage befassen.

Minister Graf hat vor einiger Zeit energisch darauf hingewiesen, daß die Ernährungssicherheit für ein neutrales Oesterreich von ganz besonderer Bedeutung sei. Nun ist es erwiesen, daß der beste Garant der Ernährung nicht die Kolchose, auch nicht die Farm, sondern die bäuerliche Landwirtschaft ist, da der Bauer pro Hektar je nach Lage drei- bis zehnmal soviel erzeugt als die Farm und die Kolchose. Dazu kommt, daß in den Gebieten der bäuerlichen Landwirtschaft auch bei jahrhundertelanger Bodennutzung der Boden gesund geblieben ist. Die großen Hektarerträge und der gesunde Boden sprechen bei der Sicherung der Ernährung für den bäuerlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Jedes Volk also, das seine Ernährung sichern will, tut gut daran, den Bauernstand zu fördern und zu sichern.

Nun ist die Landwirtschaft in unserer Zeit in ganz neue Schwierigkeiten geraten. Die Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes stellt heute ungleich größere Anforderungen an den Betriebsleiter als noch vor einigen Jahrzehnten. Die notwendig gewordenen neuen wirtschaftlichen Methoden, die Technisierung, die kluge Verwendung von Handelsdünger, die notwendige Marktbeobachtung, die Anwendung des Rechenstiftes stellen an das geistige Niveau des Bauern größte Anforderungen. Jeder Bauer muß ja selbständiger Betriebsleiter sein, muß für seinen Betrieb planen und kalkulieren. Es sind in der Landwirtschaft verhältnismäßig mehr geistig wendige, selbständig denkende, planende Menschen notwendig als in der Industrie, denn im modernen industriellen Betrieb liegt die Planung in den Händen weniger Menschen. Die Masse der Arbeiter verrichtet einfach die zugeteilte Arbeit. In der Landwirtschaft muß jeder Bauer Betriebsführer sein, der selbständig plant und kalkuliert. Die Anforderungen sind um so größer, je schwieriger die Lage des Hofes klimamäßig ist. Wenn ein Bauer die Landwirtschaft so führen will, daß er bestehen kann, muß er einiges verstehen von Technik, von Pflanzenkunde, von Chemie, Tierzucht, von Kalkulation, von sozialen Fragen, von der Genossenschaft. Außerdem muß er im öffentlichen Leben bewandert sein. Für den modernen Bauern ist neben einem großen Maß von Wissen noch geistige Wendigkeit notwendig, die ihn fähig macht, daß er sich jeweils aus Presse, Rundfunk und Kursen über alle Neuerungen in fachlichen Belangen informiert, denn gerade in der Landwirtschaft ist vieles im Fluß, und was heute neu ist, verlangt schon nach Jahren eine Ergänzung.

Fehlt einem Bauern in den kommenden Jahren dieses notwendige Wissen, diese geistige Wendigkeit, dann wird der Hof in Gefahr kommen; das bedeutet aber eine Bedrohung der Ernährung des Volkes. Wenn ein Bauernhof untergeht, ist das etwas, was das gesamte Volk interessieren muß, weil es um die Ernährung geht. Die verlassenen Höfe müßten ein Alarm sein. Die Anforderungen an die Konkurrenzfähigkeit unserer Landwirtschaft werden noch durch das Herankommen des europäischen Marktes vergrößert. Für den kommenden Bauern ist also ein bedeutendes Maß von Allgemeinwissen und fachlichem Wissen notwendig. Das Bildungsniveau der Bauernschaft wird für die Sicherheit der Ernährung unseres Volkes von ausschlaggebender Bedeutung sein. Aus diesem Grund sagte Prof. Dr. Hermann P r i e b e, dessen Buch „Wer wird die Scheunen füllen?” inzwischen im deutschen Raum berühmt geworden ist, bei einem Vortrag in Berlin: „Angesichts der wachsenden Anforderungen in biologischen, technischen, kaufmännischen Kenntnissen wird eine Steigerung des geistigen Aufwandes auf die Dauer das wirksamste Mittel zur Besserung der dörflichen (bäuerlichen) Lebensverhältnisse sein.”

Wir haben uns nun die Frage zu stellen: Hat der Bauernstand in Oesterreich das notwendige Bildungsniveau? Wie steht es mit der Steigerung des geistigen Aufwandes? Haben unsere jungen Bauern überhaupt die notwendige Bildungs- möglichkeit? Wir wollen im voraus feststellen, daß in Oesterreich der Staat den Angehörigen aller Berufe eine ganz bestimmte, notwendige Ausbildung garantiert und auch ermöglicht. Jeder Handwerker, jeder Gewerbetreibende, jeder Arbeiter hat die Möglichkeit, nach der Volksschule eine Hauptschule und eine Berufsschule zu besuchen. Ist es nicht verwunderlich, daß gerade dem bäuerlichen Nachwuchs diese Möglichkeit nicht gegeben ist? Es ist vielen Bauernkindern unmöglich; eine Hauptschule, zu besuchen. Eine richtige’Fachschule’zu besuchen, ist den meisten Bauernsöhnen Oesterreichs einfach nicht möglich, da nicht genug Schulen vorhanden sind.

Es gibt Bundesländer, in denen nur zirka zehn Prozent der kommenden Bauern die Möglichkeit haben, eine Fachschule zu besuchen. Jährlich müssen eine ganze Reihe von Bewerbern in diesen Fachschulen abgewiesen werden. Einiger Ersatz wird durch Kurse geschaffen. Die pflichtmäßige fachliche Ausbildung und allgemeine Weiterbildung ist leider nur in einigen Bundesländern Tatsache. Solange die fachliche Ausbildung nicht Pflicht ist, werden immer wieder manche Eltern ihren Kindern eine fachliche Ausbildung nicht angedeihen lassen, werden immer wieder manche junge Menschen diese Ausbildung, auch wenn sie wenigstens kursmäßig möglich wäre, nicht suchen. Der Drang nach fachlicher und allgemeiner Weiterbildung ist auch in anderen Ständen nicht in allen Mitgliedern vorhanden. Auch manche Schlossermeister oder Schneider- und Tischlermeister schicken ihre Lehrlinge nur deshalb in die Berufsschule, weil das Pflicht ist. Genau so wird noch lange nicht von allen Bauern eine fachliche Bildung als notwendig anerkannt. Nicht alle Menschen gehen gerne in die Schule. Zu manchen Dingen muß der junge Mensch einfach gezwungen werden. Darum ist eine pflichtmäßige, landwirtschaftlich fachliche Weiterbildung eine dringende Notwendigkeit. Was in verschiedenen Kursen und Abenden, was durch Fachzeitschriften an Fachbildung vermittelt wird, reicht für die heutige Landwirtschaft einfach nicht aus, kann nur als eine Ergänzung eines schulmäßig vermittelten Wissens gelten.

Die Grundlage der fachlichen Bildung und besonders die Voraussetzung für eine dauernde fachliche Weiterbildung der jungen Bauern ist eine gewisse Allgemeinbildung. Wo kann nun der junge Bauer sich Allgemeinbildung holen?

Zur Erlangung von Allgemeinwissen stehen dem Bauernsohn und dem Landarbeiter im Dorf folgende Möglichkeiten zur Verfügung: Fachschulen, Fachkurse, pflichtmäßige Fachausbildung, Bildungswerke, Presse, Rundfunk, Film, Bildungsheime, Jugendorganisationen.

Diese Bildungsmöglichkeiten reichen nun zur Erwerbung des notwendigen Allgemeinwissens nicht aus. Wir geben folgende Begründung: Die Lehrpläne der Fachschulen und der Fachkurse sind so dicht mit Fachlichem angestopft, daß für Allgemeinbildung zu wenig Zeit bleibt. Presse, Rundfunk und Film vermitteln Allgemeinwissen zu wenig systematisch. Die Bildungswerke, die neutralen und die katholischen, bringen in den Dörfern, in denen sie bestehen, höchstens monatlich einen Vortrag, der sich meist mit irgendeinem aktuellen Problem befaßt. Die Bildungswerke bringen also im allgemeinen auch zuwenig systematisch Allgemeinbildung. Einen bedeutenden Beitrag für die Allgemeinbildung im Dorf leisten die Jugendorganisationen, besonders die Katholische Landjugend, die in vielen Orten in Aktivistenkreisen, in Gruppenabenden (Burschenabend), in Jugendversammlungen regelmäßig Allgemeinwissen in Referaten und Diskussionen vermittelt. Aehn- liches kann man von den Jugendorganisationen der Landwirtschaftskammern sagen. Die Bildungsheime vermitteln in ihren Kursen den Teilnehmern, die internatsmäßig untergebracht sind, ein umfassenderes Wissen. Leider muß gesagt werden, daß es viel zuwenig Bildungsheime gibt. Wenn alle Bildungsheime gut besucht sind, dann könnten höchstens zwei Prozent der kommenden Bauern einen Bildungskurs mitmachen. Es muß also festgestellt werden, daß die Bildungsmöglichkeiten, die den Jungbauern und den Landarbeitern zur Verfügung stehen, nicht ausreichend sind.

Wenn den führenden Männern unseres Volkes die Ernährung des Volkes ein ernstes Anliegen ist — und das muß sie wohl sein —, dann muß hier Abhilfe geschaffen werden! Wir wollen nicht nach dem Bildungsniveau der jungen Bauern und der Landarbeiter fragen. Wir wissen, daß sich viele junge Menschen aus unseren Bauernhöfen in fleißiger Arbeit durch ihre Mitgliedschaft in der KLJ, in den Organisationen der Landwirtschaftskammern, aus Presse, Rundfunk und Kursen ein beachtliches Wissen angeeignet haben. Noch aber sind derer, die sich mit solchem Eifer Bildung aneignen, zu wenige.

Es muß mit aller Kraft getrachtet werden, daß für die Landarbeiter und für die kommenden Bauern Bildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Es muß wohl in den Fachschulen und in der pflichtmäßigen Fortbildung ein größeres Maß von Allgemeinbildung eingebaut werden. Wir dürfen nicht im Bauernstand zu sturen Spezialisten kommen.

Wir zitieren noch einmal Prof. Dr. Priebe: „Moderne Landarbeit stellt höhere Anforderungen als die meisten anderen Berufe und verlangt einen neuen Menschentyp. Der Schritt vom ungelernten ledigen Gehilfen der früheren Zeit zum seßhaften Facharbeiter ist heute ebenso wichtig wie die Bildungsparität des jungen .

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