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Bier und Wein, wir lassend sein ...

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Wie gehen die Österreicher mit dem Alkohol um? Wie aus einer IFES-Studie aus dem Jahr 1994 hervorgeht, konsumiert etwa ein Drittel der Wiener Bevölkerung mehrmals pro Woche Alkohol; Männer in höherem Ausmaß (38 Prozent) als Frauen (27 Prozent). In absoluten Zahlen sind dies 140 Liter Bier, 25 Liter Wein und Sekt und sieben Liter Spirituosen, die der Durchschnittsösterreicher jährlich verbraucht. Herwig Scholz, Primarius im Sonderkrankenhaus De la Tour in Treffen (Kärnten), berichtet, daß die Zahl der Dauerkonsumenten vor allem bei Frauen und Jugendlichen in den letzten Jahren wesentlich gestiegen ist. Ein Drittel der Jugendlichen trinkt regelmäßig wöchentlich alkoholische Getränke, jeder Zehnte dieser Altersgruppe hat bereits „ein vorübergehendes schweres Mißbrauch-problem" mit dem Alkohol.

Alkoholmißbrauch und Alkoholsucht sind in unserer Gesellschaft jedoch Tabuthemen. Alkohol ist noch zu sehr ein unhinterfragtes Statussymbol, das Feste und gesellschaftliche Ereignisse bestimmt. Wer keinen Alkohol trinkt, wird meist mitleidig belächelt. „Es herrscht ein unsinniger Trinkdruck in unserer Gesellschaft", ärgert sich Scholz über das mangelnde Bewußtsein der Menschen für die Auswirkungen von Alkohol. Wer weiß beispielsweise schon, daß Frauen aufgrund ihres Leberstoffwechsels nicht einmal die Hälfte der Trinkmenge von Männern vertragen?

Daß aus dem Genuß leicht Sucht werden kann, zeigen ernüchternde Fakten: In Österreich gibt es geschätzte 200.000 Alkoholkranke; über eine halbe Million Menschen sind alkoholgefährdet. Innerhalb der klassischen Süchte steht Alkohol an oberster Stelle, dicht gefolgt von Medikamentenabhängigkeit und -mißbrauch. Die IFES-Studie bringt aber noch ein weiteres Phänomen ans Licht: Die verschiedenen Süchte verstricken sich zunehmend. Menschen, die häufig Alkohol trinken, neigen auch zum Zigarettenkonsum und greifen deutlich öfter zu Drogen.

,,Das Alkoholproblem sollte man nie losgelöst sehen", deutet Primarius Scholz das Grunddilemma an, auf welches alle Süchte zurückzuführen sind: Sucht ist immer Suche nach etwas Tieferem, nach Sinn und Ziel und muß deswegen ganzheitlich behandelt werden. Genau dieser Aufgabe versucht das „Blaue Kreuz", eine gemeinnützige Organisation zur Betreuung Alkoholkranker, die vorige Woche ihre Geschäftsstelle in Wien eröffnete, gerecht zu werden.

Ein Grundzug des 1877 in der Schweiz gegründeten, überkonfessionell arbeitenden „Blauen Kreuzes", das auch Mitglied des „Diakonischen Werkes" ist, ist der christliche Umgang mit der Suchtproblematik. Wie ehemalige Alkoholkranke berichten, haben sie gerade durch das Gebet und die Gemeinschaft eine Befreiung erfahren, die noch über die Bewältigung der Sucht hinaus ging. „Viele beteten für mich", erzählt eine ehemalige Betroffene und bezeichnet die Tatsache, daß sie nach jahrzehntelanger schwerer Alkoholsucht nun schon 16 Jahre „trocken" ist, als ein Wunder.

Weiters arbeitet das „Blaue Kreuz" intensiv mit den Angehörigen der Alkoholkranken zusammen. Dies wird „immer wichtiger", betont die Obfrau des Vereines, Silvia Braunecker, weil die Familie meist besonders leidet. Auch das Familienministerium widmet sich neuerdings ausführlicher dieser Problematik und hat eine Expertengruppe eingerichtet, welche sich inhaltlich mit dem Thema „Familie und Alkohol. Ein systemisches Problem" auseinandersetzt. Eine andere Besonderheit des „Blauen Kreuzes" ist die Einbindung ehemaliger Betroffener in die Therapiearbeit. Die Hälfte der 60 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Blauen Kreuzes in unserem Land kämpfte früher selber mit Alkoholproblemen. Dies motiviert aber auf eine besondere Weise, berichtet Stefan Riener, ein ehemaliger Alkoholsüchtiger, der jetzt in der Therapie tätig ist.

Der Frust, der bei so manchem Sozialarbeiter aufsteigt, wenn er tagtäglich mit Krisen konfrontiert wird, fällt bei ihm weg, weil er dieselben Nöte wie sein Gegenüber durchgemacht und schließlich bewältigt hat. Apropos Bewältigung: Den Beweis dafür, daß Alkoholprobleme gelöst werden können, liefern die Mitarbeiter selbst: Aus solidarischen Gründen leben sie abstinent.

Kontaktadresse:

BLAUES KREUZ IN ÖSTERREICH, Ortsverein Wien. Große Sperlgasse 4, 1020 Wien. Tel 02221214 68 18. PSK Kl Nr. 9622.977

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