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Bildung des Bildners

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Durch das Schulgesetz vom 25. Juli 1962 wurde der höheren allgemeinbildenden Schule in Österreich ein neuer Weg gewiesen. Ob dieser Weg jedoch über echte Bildungs- und Kulturverantwortung führt, hängt vom geistigen Horizont der Lehrer der höheren Schule ab.

Wer über Bildung und Ausbildung der Gymnasiallehrer Wichtiges sagen will, muß zuerst nach dem Wesen dieses Berufstypus fragen. Der Beruf des Lehrers der höheren Schule ist ein öffentliches Amt, dessen Tätigkeitsfeld aus dem Geist der Wissenschaft und dem Geist der Menschenbildung seine Würde erhält.

Die gesellschaftliche Grundfunktion

Das Amt des Lehrers der höheren Schule erfüllt somit erstens eine gesellschaftliche Grundfunktion. Jede Gesellschaft, im besonderen unsere moderne Demokratie, bedarf, um ihren Sinn zu erfüllen, einer Aristokratie des Geistes und Charakters. Die Verwirklichung dieses Zieles erfordert die Heranbildung einer geistigen Elite, womit insbesondere auch der Lehrer an der höheren Schule vom Volk beauftragt ist. So ist es heute wichtiger denn je, daß der junge Lehrerstudent die öffentliche Verantwortungsfunktion seines künftigen Amtes, das dem Wohl der Gemeinschaft dient, in sein Bewußtsein aufnimmt.

Der Lehrer der höheren Schule ist zweitens wissenschaftlicher Lehrer, das heißt, er begreift seine Berufstätigkeit aus dem Geist der Wissenschaft als einer „Grundfunktion der Menschheit“. Die akademische Form seines Amtes fordert wissenschaftliche Denkweise; die Fähigkeit, aus der Natur der Sache heraus verantwortlich zu prüfen, zu wählen und zu entscheiden, ein Berufswissen, das im Wissen derer begründet ist, die unter der Idee der Wahrheit stehen und der Wahrhaftigkeit verpflichtet forschen, Verständnis für die Stellung seiner Fächer im Wissenskosmos sowie Offenheit für deren existentiell-menschliche Bedeutung. Dazu soll den Lehrer der höheren Schule das akademische Studium befähigen, ein Effekt, der nur im Umgang mit der Wissenschaft zu erwarten ist.

Die pädagogische Grundfunktion

Und damit ist bereits die pädagogische Grundfunktion des Gymnasiallehramtes angesprochen. In seiner Verantwortung liegt daher drittens ein menschenbildendes Moment. Diese überwölbt den gesellschaftlichen Auftrag und die wissenschaftliche Fachausbildung, die beide in der Menschenbildung als Berufsidee ihren bindenden Mittelpunkt haben.

Das Studium der Lehramtskandidaten dient der Vorbildung für einen

Beruf, der selbst den Sinn hat, Menschenbildung zu bewirken. Wer aber Menschen bilden will, muß selbst gebildet sein. Daher hat auch das Berufsstudium der Lehrer der höheren Schule aus dem Bildungszweck herauszuwachsen. Dies muß man im Blick behalten, will man die Problematik der Gymnasiallehrerbildung voll erfassen. Sie rührt letztlich an die in Forschung und Lehre begründeten Doppelstrukturen der Universität, aus denen sowohl dem Prinzip der Bildung als auch dem Prinzip der Berufsvorbildung Rechnung getragen werden kann.

Bildung und Berufsvorbildung

Damit hat auch künftighin der Satz zu gelten: Die wissenschaftliche Bildung und Berufsvorbildung an der Universität sind das Rückgrat für die Heranbildung der Lehrer der höheren Schule. Denn kein Unterrichtsfach der höheren Schule kann der wissenschaftlichen Grundlagen entbehren, wenn es nicht in platte Vordergründigkeit der bloßen Wissensvermittlung verfallen soll. Kein sprachlich-historisches Fach kann auf seine wissenschaftliche Begründung verzichten, wenn es als Quelle der Ehrfurcht vor den Lebensund Denkformen der Vergangenheit im jungen Menschen den Geist bewegen will. Und kein naturwissenschaftliches Fach der höheren Schule vermag das grundlegend Elementare für die Menschenbildung zu erschließen, wenn es sich nicht auf die theoretischen Prinzipien stützen kann, nach denen die Wissenschaft das Naturgeschehen erforscht.

Doch die auf dem Weg der Unmittelbarkeit in den Einzelwissenschaften gewonnenen berufsbedeutsamen

Orientierungspunkte reichen für die Gymnasiallehrerbildung nicht aus. Sie muß vielmehr auch begleitet sein von einem erziehungswissenschaftlichen Grundstudium. Erst ein solches Studium bereitet den Boden, auf dem später eine verständige und einsichtige Unterrichts- und Erziehungspraxis gedeihen kann.

Sorge um die Mitte

Jeder Unterricht, eingeschlossen auch die wissenschaftliche Lehre, ist an zwei Polen orientiert: an dem zu lehrenden Gegenstand und an der Person des Schülers oder des Studierenden. Je anspruchsvoller der Gegenstand wird, um so mehr verschiebt sich der Akzent auf das Sach-lich-Überpersonale. Je jünger und hilfsbedürftiger der Heranwachsende ist, um so mehr überwiegt der personale Pol. Als gemeinsame Mitte haben beide Pole das individuell geistige Wachstum des werdenden Menschen. Die Sorge um diese Mitte ist allen Lehrberufen eigen, dem Volksschullehrer ebenso wie dem Universitätslehrer, in die der Beruf des Erziehers wesensmäßig mit eingeschlossen ist. Diese doppelseitige Bezogenheit der Lehre — der Unterricht ist ja nur eine besondere Form der Lehre — rechtfertigt etwa das Bemühen um eine Hochschulpädagogik, der man heute noch kaum Beachtung schenkt. Sie fordert aber im besonderen die Beachtung der Pädagogik als Wissenschaft im Berufsstudium der Gymnasiallehrer, zumal die höhere Schule im Dienst der Menschenbildung als einem ganzheitlich personalen Prozeß steht. Der Grundgedanke höherer Jugendbildung bleibt der für eine höhere Geisteskultur aufgeschlossene

Mensch.

Pädagogik als Wissenschaft

Daher empfiehlt es sich, aus echt verstandener Berufsbezogenheit im Lehramtsstudium auch die Pädagogik als Wissenschaft so zu ihrem Recht kommen zu lassen, daß auch sie im Bewußtsein des Studierenden die gleiche Bedeutung gewinnt, wie die von ihm studierten Fachwissenschaften. Diesem Anliegen hat die philosophische Fakultät dadurch Rechnung zu tragen, daß sie die pädagogisch-wissenschaftliche Grundbildung, die doch die größte sachliche Nähe zum künftigen Beruf hat, bejaht und intensiviert. Die pädagogisch-wissenschaftliche Grundbildung hat somit an der Universität zu erfolgen. Ihre innere Verbindung mit den fachwissenschaftlichen Studien bleibt für das Berufsstudium wesentlich und unerläßlich.

Ausblich _

Das Durchdenken pädagogischer Prinzipienfragen nach allen bedeutsamen Seiten gibt dem Studierenden aber auch die Freiheit und Beweglichkeit des Geistes, sich in kritischer Haltung vor sich selbst über den eingeschlagenen Weg klar zu werden und, wenn nötig, eine Korrektur vorzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt verdient auch die Einführung eines „schulpraktischen Semesters“, wie es eine künftige Studienordnung für das Lehramt an höheren Schulen vorsehen sollte, besondere Beachtung.

Die Stellung der Pädagogik als Wissenschaft im Berufsstudium rechtfertigt sich aus dem Wesen des Lehramts. Die höhere Schule heute kann ihrer Bildungs- und Kulturverantwortung nur dann gerecht werden, wenn man, geleitet vom pädagogischen Eros, auch der Pädagogik als Wissenschaft im Lehr-amtsstudium den ihr gebührenden Ort zuweist und für eine künftige Neugestaltung dieses Studiums Wege sucht, welche die Fachstudien und das sie begleitende pädagogische Studium in der rechten Weise zusammenführen.

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