Bildung inklusive Spiritualität

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Die Wiener "Marienanstalt", die unter anderem Österreichs einzige katholische Handelsakademie beherbergt, zwischen bewährter Tradition und neuen Wegen: Ein Blitzlicht aus dem Bereich der katholischen Privatschulen.

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Die Wiener "Marienanstalt", die unter anderem Österreichs einzige katholische Handelsakademie beherbergt, zwischen bewährter Tradition und neuen Wegen: Ein Blitzlicht aus dem Bereich der katholischen Privatschulen.

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Zirka 65.000 Schülerinnen und Schüler besuchen heute in ganz Österreich katholische Schulen. 1985 waren es noch 53.000. In Wien besuchen allein etwa 15 Prozent aller Pflichtschüler eine konfessionelle Schule. Die Eltern entscheiden sich, aufgrund der Qualität des Angebots für etwas zu bezahlen, was sie in ähnlicher Weise auch an der öffentlichen Schule bekommen können. Die Erwartung solider Bildung, die auch die spirituelle Dimension des Menschseins mitberücksichtigt, eine an klaren Werten orientierte Erziehung, manchmal wohl auch ein gewisses elitäres Image motivieren die Eltern. Sehr oft spielen aber auch gute Erinnerungen an die eigene Schulzeit in einer traditionsreichen katholischen Schule, die eine Verbindung eigener Art schafft, eine Rolle bei der Schulwahl.

Bildung in Wien Die Erzdiözese Wien, der größte konfessionelle Schulerhalter Österreichs, hat in ihrem Leitbild der Bildung einen zentralen Platz zugedacht. Da heißt es: "Menschwerdung in verantworteter Freiheit. Wir sind uns unserer - auch historischen - Verantwortung für den Bereich der Bildung mit Dankbarkeit und Stolz bewußt. Mit dem Glauben an die Verantwortlichkeit jedes Menschen vor Gott und mit der Hoffnung auf letztlich von ihm geschenkte Vollendung bringen wir Unverzichtbares in den Bildungsprozeß ein."

Das verwundert weiters nicht, ist doch der größte Teil der katholischen Privatschulen Österreichs im Bereich der Erzdiözese Wien zu finden. Dementsprechend nimmt die Erzdiözese Wien ihren Auftrag, für dieses vielfältige Schulwesen Sorge zu tragen auch tatsächlich wahr.

"Privatschulen" Der Name verdankt sich dem 19. Jahrhundert. Wenn man heute von katholischen Privatschulen spricht, vergißt man gerne darauf, daß bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die heutige Assoziation zwischen kirchlicher Trägerschaft einer Schule und als Folge deren "Privatheit" damals völlig fremd war. Vielmehr bedeutete das von der kirchlichen Behörde verliehene Adjektiv "öffentlich" vor einem Schulnamen seit dem 16. Jahrhundert, daß die Kirche für die Qualität dieser Schule gutstand und es sich um keine sogenannte Winkelschule handelte.

Erst im 19. Jahrhundert, genauer 1867 im Schule-Kirche-Gesetz, wurde die grundsätzliche staatliche Zuständigkeit für das Schulwesen definiert, das bislang im wesentlichen ein Kind der Kirche gewesen war.

Frauenorden aktiv Gerade in diesen sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in der der Einfluß der Kirche auf das Schulwesen stark reduziert wurde, erstarkte aber das katholische Schulwesen. Es entfaltete sich in dieser durchaus angefochtenen Zeit stark und selbstbewußt vor allem durch Impulse der Frauenorden. Bis zum heutigen Tag überwiegt übrigens die Zahl der weiblichen Orden und Kongregationen in der Gruppe der Österreichischen Katholischen Schulerhalter bei weitem.

Manchmal zeigt sich am Beispiel nur eines einzigen Ordens die ganze beeindruckende Breite dieses katholischen Schulwesens. Inmitten der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen gründete 1868 die aus Bayern stammende Franziska Lechner die Kongregation der "Töchter der göttlichen Liebe". Noch im selben Jahr erwarb man das Stammhaus in der Fasangasse, die Marienanstalt, das von Anfang an dem Dienst an den am Rand der Gesellschaft Stehenden gewidmet sein sollte. Eine Kinderbewahranstalt samt einem Waisenhaus mit Volksschule stand am Anfang. Von der Marienanstalt aus begann sich der Orden in allen großen Städten der Monarchie niederzulassen, um sich im Bereich der Mädchen- und Frauenbildung vor allem den sozial schwächsten Schichten zu widmen.

Daher begann man auch im Mutterhaus sofort, ein- und mehrjährige Fortbildungskurse im hauswirtschaftlichen Bereich für die sogenannten "wandernden Mädchen", arme Mädchen, die vom Land in die Stadt strömten, anzubieten. Damit bekamen sie nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern durch Persönlichkeitsbildung und sogenannte "Anstandsstunden" auch weit bessere Chancen, einen Dienstplatz zu finden. Mit dem Abschluß der Ausbildung und einem Arbeitsplatz war es aber bei weitem noch nicht getan. Bei Arbeitslosigkeit konnten die Mädchen in ihr ehemaliges Zuhause zurückkehren. Auch eine berufsbegleitende Betreuung und Beratung an Sonntagnachmittagen war für die Schwestern wichtiger Teil ihrer Sorge für diese Frauen.

Fragen & Antworten Schon früh hatten sich Schulorden mit einer soliden ökonomischen Ausbildung zu beschäftigen begonnen. Die erste kaufmännische Schule Wiens wurde übrigens von den Piaristen 1767 in der ehemaligen Juristenschule zum heiligen Ivo in der Schulerstraße eröffnet.

Der deutlichen Nachfrage aufgrund der Erweiterung des Arbeitsbereichs der Frau am Anfang unseres Jahrhunderts wollten sich auch die Schwestern in der Fasangasse nicht entziehen. So entstand in ihrem Stammhaus, das um die Jahrhundertwende großzügig neugebaut wurde, im Juli 1914 schließlich auch eine Handelsschule für Mädchen, die unter dem Protektorat der Erzherzogin Marie Valerie stand. Wie die Kataloge zeigen, strömten Schülerinnen nicht nur aus dem Bereich der gesamten Monarchie, sondern auch aus ganz Europa in die neueröffnete Schule, die selbstverständlich auch ein Pensionat anbot. Es gab Klassen, die bis zu 80 Schülerinnen zusammenfaßten. In ihnen wurde interkulturelle Pädagogik zu einer Zeit praktiziert, als der Begriff noch fremd war.

Neubeginn nach 1945 Nachdem die Schule schon während des ersten Weltkrieges auch als Lazarett fungieren mußte, wurde ihr - wie allen konfessionellen Schulen - 1938 das Öffentlichkeitsrecht entzogen. 1944 wurde das Haus in der Fasangasse dann in Schutt und Asche gelegt. Die Schwestern selbst besorgten damals die Aufräumarbeiten und formten die ersten Ziegel zu neuen Mauern. So entstand der heutige Neubau, der überdies eine wesentliche räumliche Erweiterung in die Jacquingasse hin bedeutete.

1954 wurde schließlich die Handelsakademie eröffnet, die sich einen soliden Ruf im Wiener Schulwesen eroberte. Sie ist überdies die einzige katholische Handelsakademie Österreichs.

Neuer Schulerhalter Trotz mangelnden Ordensnachwuchses wollten die Schwestern den langfristigen Bestand ihrer Schule, in die sie und viele ihrer Vorgängerinnen Liebe und Kraft investiert hatten, sichern. Seit Beginn des Schuljahres 1999/2000 bilden die Schulen der Marienanstalt und die Schulen des Sacre Coeur Rennweg, die nur durch den Rennweg voneinander getrennt sind, zusammen ein großes Schulzentrum. Trotz dieses neuen Zusammenschlusses soll aber jede der Schulen auch ihre unverwechselbare Eigenart bewahren - auch durch eine Einbindung beider Kongregationen in die Führung der Schulen. Dies entspricht dem Grundverständnis der Erzdiözese Wien, die ihre Schulerhalterschaft bei Übernahmen von anderen Orden oder Kongregationen grundsätzlich nur als subsidiäre versteht und das katholische Schulwesen mit seinen etwas über 100 Schulen durch die - wegen des derzeit geringen Ordensnachwuchses - schwierigen Zeiten hindurch erhalten möchte. Sobald die Orden wieder erstarken, können und sollen sie wieder in die Schulerhalterschaft eintreten.

Im übrigen rundet sich damit eine interessante gemeinsame Geschichte der beiden Kongregationen ab: Im selben Jahr 1868, als die Töchter der göttlichen Liebe in ihrem Stammhaus in der Fasangasse zu wirken begannen, errichteten auch die Schwestern vom Sacre Coeur, 1800 von M. Sophie Barat in Amiens, Frankreich, gegründet, am Rennweg genau gegenüber ihren Standort mit nur drei Mädchen, die sie betreuten.

"Kooperative" Schule Ab dem kommenden Schuljahr wird es in dem großen Schulzentrum Sacre Coeur und Marienanstalt, das mehr als 1.500 Kindern und Jugendlichen Beheimatung bieten möchte, neben Kindergarten, Volksschule, Gymnasium und kaufmännischen Schulen auch eine Hauptschule geben. Sie wird als "kooperative Mittelschule" geführt werden, ein Modell, das vom Bildungsrat des Wiener Stadtschulrats Ende 1999 einstimmig angenommen wurde. Die Kinder sollen zu selbstständigem Lernen motiviert werden, im besonderen für wirtschaftliche Belange - auch in ethischer Hinsicht - interessiert und befähigt werden, um bei einem Besuch der Kaufmännischen Schule im Haus schon mit einem gewissen Startvorteil ausgestattet zu sein. Wie in jeder konfessionellen Schule soll nicht nur gemeinsam gearbeitet werden, sondern wird das Leben auch im Fest zur Sprache kommen.

Übrigens wird auch die Evangelische Hauptschule - ebenfalls als kooperative Mittelschule - mit den kaufmännischen Schulen der Marienanstalt kooperieren. Damit wird wieder ein Stück weitere ökumenische Zusammenarbeit, die im schulischen Bereich immer schon groß geschrieben wurde, verwirklicht.

Die Autorin leitet das Erzbischöfliche Amt für Unterricht und Erziehung in Wien.

Informationen: Erzbischöfliches Amt für Unterricht und Erziehung 51552/3501 oder 3575 Anmeldung: Institut Sacre Coeur 01/ 712 62 46-29 (bzw. 51 oder 57) LEITBILD: BILDUNG Menschwerdung in verantworteter Freiheit Wir sind uns unserer - auch historischen - Verantwortung für den Bereich der Bildung mit Dankbarkeit und Stolz bewußt. Mit dem Glauben an die Verantwortlichkeit jedes Menschen vor Gott und mit der Hoffnung auf letztlich von Ihm geschenkte Vollendung bringen wir Unverzichtbares in den Bildungsprozeß ein.

* Wir fördern Bildung als Prinzip unseres Lebens. Jeder Mensch wird - auch an seinem Arbeitsplatz - er selbst durch Teilnahme und Teilgabe.

* Wir unterstützen jene Aktivitäten, die der Stärkung unserer Identität sowie der dynamischen Entwicklung unserer Beiträge im Bildungsbereich dienen.

* Wir befähigen zu einem gelingenden Leben in der heutigen Gesellschaft und setzen uns daher auch die Vermittlung eines soliden Glaubenswissens als Ziel.

* Wir vernetzen unter dem Aspekt des lebensbegleitenden Lernens schulische Bildung und Ausbildung mit Erwachsenenbildung.

Auszug aus dem Leitbildfür die Erzdiözese Wien (1999).

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