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Billiges Lob für treue Dienste

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Die Finanzierung und Organisation von Pflege- und Betreuungseinrichtungen für alte Menschen wird ein großes Problem.

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Die Finanzierung und Organisation von Pflege- und Betreuungseinrichtungen für alte Menschen wird ein großes Problem.

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Die Zukunft des österreichischen Wohlfahrtsstaats wird oft im Hinblick auf die sich abzeichnenden demographischen Veränderungen pessimistisch beurteilt. Die Fakten sprechen für sich: Während noch 1991 rund 525.000 „alte” Senioren (das sind Personen älter als 75 Jahre) gezählt wurden, wird diese Zahl bis zum Jahr 2030 um 68 Prozent auf rund 884.000 Personen ansteigen. Prognosen dieser Art dienen meist dazu, den Reformbedarf bei der Finanzierung der Pensionsversicherung zu dokumentieren.

Die Finanzprobleme der Sozialversicherung sind zwar keineswegs gelöst, sie sind aber wenigstens in weiten Kreisen der Bevölkerung und auch bei den politischen Entscheidungsträgern bekannt (siehe dazu das Dossier: „Wer bezahlt die Pensionen von morgen?” Furche Nr. 13/1195). In weitaus geringerem Maße gilt dies für die Probleme, die sich aus der Organisation und Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen für jene Menschen ergeben, die in einigen Jahrzehnten alt und hilfebedürftig sein werden.

Milden Verschiebungen in der Altersstruktur gehen nämlich auch beachtliche Veränderungen in den Lebensgewohnheiten der Menschen und in den Haushaltsgrößen einher. Während die durchschnittliche Haushaltsgröße 1991 noch 2,54 Personen betrug, wird bis zum Jahr 2030 ein Sinken dieser Zahl auf 2,10 vorausgesagt. Der Anteil der Senioren an den „Einpersonenhaushalten”, mit anderen Worten, die Häufigkeit des Alleinlebens von alten Menschen, wird noch weiter zunehmen. Dies gilt vor allem für Menschen im Alter von mehr als 75 Jahren. Entfielen 1991 noch 26 Prozent der Einpersonenhaushalte auf solche „alte Senioren”, werden es 2030 schon 29 Prozent sein.

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als aus der Sozialstatistik bekannt ist, daß heute fast zwei Drittel der älteren Menschen im Krankheitsfall von Familienangehörigen gepflegt werden, während organisierte soziale Dienste trotz unbestreitbaren Fortschritten in den letzten Jahren mit einem Marktanteil von fünf bis zehn Prozent gesamtwirtschaftlich eine relativ geringe Rolle spielen.

Die gegenwärtige „Lösung” der Pflegeproblematik besteht somit darin, daß alte Menschen von Familienangehörigen - meist weiblichen Geschlechts - unentgeltlich gepflegt werden. Nur dann, wenn diese Form der Pflege aus irgendwelchen Gründen nicht Platz greifen kann, fühlt sich die öffentliche Hand berufen, in irgendeiner Form unterstützend einzugreifen, was nicht selten die Unterbringung in einem Heim bedeutet: in vielen Fällen eine unnötig teure und auch unmenschliche Lösung.

Dieses Lösungsmuster läuft auf eine systematische Benachteiligung von Frauen hinaus, die in unserer Gesellschaft oft eine - zynisch gesprochen - „Pflegekarriere” durchlaufen. Sie betreuen zunächst unentgeltlich Kinder, später Eltern, Schwiegereltern und Ehegatten, bis sie selbst als alleingebliebener Pflegefall von den Armen der Sozialhilfe aufgenommen werden. All diese Pflege- und Betreuungsleistungen sind zwar gesellschaftlich relevant. Dennoch bleiben sie nicht nur unbezahlt, sondern auch mit keinerlei eigenständigen Sozialrechten (wie etwa einem Anspruch auf eine Pensions- oder Krankenversicherung) verbunden.

Die sich abzeichnenden Veränderungen in den familiären Lebensmustern lassen es immer mehr zweifelhaft erscheinen, daß die gegenwärtige „Lösung” der Pflegeproblematik in der längerfristigen Zukunft fortbestehen kann; umso weniger, als die Zahl der potentiell hilfs- oder pflegebedürftigen Menschen aus den genannten demographischen Gründen zunehmen wird.

Solange die Politik die Betreuung hilfs- und pflegebedürftiger Menschen nicht zur Privatsache erklärt -wofür es kaum Hinweise gibt - wird sich somit die Pflegeproblematik als ein Organisations- und Finanzierungsproblem des künftigen Wohlfahrtsstaats darstellen, das in seinen Dimensionen der Finanzlücke bei der Pensionsversicherung keineswegs nachsteht.

Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien erarbeiteten Studie würde alleine die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Versorgung alter Menschen mit bezahlten Betreuungsleistungen bis zum Jahre 2030 zu Kostensteigerungen zwischen 68 Prozent und 88 Prozent führen. Bei dieser Trendrechnung sind nur die demographischen Veränderungen berücksichtigt, nicht jedoch die voraussichtlich im Pflegebereich überdurchschnittlich hohen Preissteigerungen.

Trotz dieser dramatischen Entwicklung ist die prognostizierte Kostensteigerung sicher noch zu niedrig, geht sie doch davon aus, daß das „Mischungsverhältnis” zwischen bezahlten und unbezahlten (das heißt meist familiären) Pflegeleistungen langfristig gleichbleibt und überdies keinerlei Ansprüche an eine Verbesserung der Betreuungssituation alter Menschen gestellt und erfüllt werden. Die Konsequenz dieser Entwicklung kann nur sein, rasche und tiefgreifende politische Maßnahmen zur Sicherung der Pflege- und Betreuungsleistungen zu setzen. Dazu ist ein breites Maßnahmenbündel notwendig.

An erster Stelle hat dabei die Umstellung teurer und überversorgender stationärer Pflegesysteme auf die verschiedenen Formen der offenen Altenhilfe zu stehen. So werden heute noch zahlreiche alte Menschen in internen Abteilungen von Akutkrankenhäusern gepflegt, weil der Ausbau alternativer Formen der offenen Altenhilfe nicht weit genug vorangeschritten ist und überdies das Spitalsfinanzierungssystem nach wie vor Anreize setzt, Pflegefälle in Krankenhäusern zu betreuen.

Zweites ist die Entwicklung einer offensiven und wohlausgewogenen Politik zur Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit nötig. Diese darf sich nicht darauf beschränken, gratis arbeitenden Frauen billiges Lob zu spenden. Vielmehr gilt es, eine geeignete sozialrechtliche Absicherung der Pflegepersonen aufzubauen und Anreize zu setzen, daß auch Männer Pflegearbeiten leisten. Denkbar wäre es deshalb, einen Teil der für das neue Pflegegeld gewidmeten Mittel explizit zur sozialrechtlichen Sicherung der Pflegepersonen einzusetzen (siehe Beitrag Seite 15).

Schließlich wird es in der politischen Diskussion zu einer klaren Festlegung von Werten kommen müssen. Wenn die Mindestversorgung alter Menschen nach wie vor als gesellschaftlicher Verantwortungsbereich definiert wird, dann wird auf Grund der demographischen Veränderungen eine Zunahme der öffentlichen Ausgaben, und damit auch der Steuerbelastung, langfristig kaum vermeidbar sein.

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