"Biologie ist wie Lego spielen"

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Nach neun erfolgreichen Jahren beim US-Gentechnikkonzern Amgen kehrte Josef Penninger im Vorjahr in seine Heimat zurück - um das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien aufzubauen. Diese Woche wurde der 39-Jährige vom Österreichischen Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum "Wissenschafter des Jahres 2003" gekürt.

Die Furche: Sie gelten als einer der zehn modernsten Wissenschafter weltweit und als Anwärter auf den Nobelpreis. Nun wurden Sie auch zum österreichischen "Wissenschafter des Jahres" gekürt. Wie geht es Ihnen in der Rolle des Science-Superstars?

Josef Penninger: Ich habe so viel zu tun, dass ich mir das gar nicht überlegen kann. Ich lasse es einfach über mich ergehen.

Die Furche: Ihre Heimholung nach Österreich wird groß gefeiert - als Kontrapunkt zum Brain-Drain Richtung Amerika. Ist tatsächlich eine Trendwende in Sicht - oder fühlen Sie sich als Feigenblatt?

Penninger: Ich bin sicher nur ein Feigenblättchen. Man hätte 20 Leute mit mir heimholen können - und sollen. Aber es ist kein Geld vorhanden. Ein Freund von mir ist gerade von Harvard nach England gegangen: Der bekommt für seine Forschung eine Million Pfund im Jahr. Hier gibt es für die gesamte Rückholaktion leider nur sehr wenig Geld. Das Interessante ist aber, dass ich ein neues Institut aufbauen kann. Wir sind auch als GesmbH gegründet worden, können also vernünftige Gehälter zahlen. Wenn ein Bewerber zu mir kommt und sagt: Ich wäre Max-Planck-Direktor geworden und hätte das oder das verdient, dann sage ich: Okay, du bekommst dasselbe hier. Es ist besser, einem guten Wissenschafter gutes Geld zu bezahlen, als zwei mittelmäßige herumsitzen zu haben. Denn mit einem guten Wissenschafter bekommt man Reputation, Studierende und Drittmittel. Mit Mittelmäßigkeit bekommt man gar nichts.

Die Furche: Dennoch können die Unis von einer ähnlich großzügigen Unterstützung nur träumen...

Penninger: Ich glaube: Institute wie unseres sind als Vorreiter sehr wichtig. Aber bei uns hat gleichzeitig niemand eine gesicherte Stelle: Jedes Jahr kommt ein Scientific Advisory Board, wo sich Spitzenforscher jedes Projekt ansehen. Und wenn jemand nicht gut genug ist, dann muss man die Konsequenzen ziehen. Es gibt keine sicheren Jobs. Diese Scientific Advisory Boards empfehle ich übrigens auch den Universitäten.

Die Furche: Sie suchen nach Menschen, die als "Elite" gelten. In Deutschland wird gerade heftig über "Elite"-Unis diskutiert: Sind Sie ein Freund dieses Begriffs?

Penninger: Ich mag das Wort "Elite" nicht, weil sich die Eliten meistens selber in der Höhe halten. Ich glaube, dass fast alle, die ein bisschen Talent haben, phantastische Wissenschaft betreiben können, wenn sie richtig gefördert werden. Doch die Universitäten sind zu überlaufen. Es macht einfach keinen Spaß, wenn man in einer Vorlesung sitzt und nie die Chance hat, mit dem Professor zu sprechen. In Amerika ist oft ein Professor für fünf Studenten da. In diese Richtung müssen wir gehen.

Die Furche: Um dorthin zu gelangen, müsste man Aufnahmsprüfungen einführen oder die Professoren vervielfachen...

Penninger: Oder man erhöht die Studiengebühren. In Harvard kostet ein Studienjahr bis zu 50.000 Dollar. Aber wenn jemand vier Jahre später fertig wird, hat er sicher einen Job. Zweitens zahlen nur 20 bis 30 Prozent der Studierenden tatsächlich diese Summe. Die anderen bekommen Fellowships. Das Wichtigste ist, dass die besten Studenten die Chance auf die beste Ausbildung bekommen. Wenn sie sich das leisten können, sollen sie zahlen, wenn nicht, bekommen sie es gratis.

Die Furche: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich bei Ihrer Jagd nach den weltweit "besten Köpfen"?

Penninger: Die guten Wissenschafter haben Visionen, und das merkt man. Aus hunderten Bewerbern einen für eine Stelle auszuwählen, ist aber trotzdem schwer. Es geht natürlich auch um die Projekte, die zu uns passen müssen. Hat das Zukunft? Hat das Potenzial? Wissenschaft ist wie eine große Wüste mit ein paar Oasen. Und die guten Wissenschafter sind jene, die die Oasen riechen können. Doch sobald man eine gefunden hat, wirft sich jeder darauf und trinkt sie leer.

Die Furche: Wegen dieser - lukrativen - Oasen gilt die Genforschung derzeit als besonders "sexy" und wird von der Politik entsprechend gefördert. Die Geisteswissenschaften scheinen eher an den Rand gedrängt zu sein...

Penninger: Es ist ganz gefährlich, nur in die Biotechnologie und in die angewandte Forschung zu investieren. Denn gute Forschung findet vor allem an den Grenzregionen zwischen den Disziplinen statt. Es wäre fatal, wenn man Wissenschaften wie Philosophie einfach aushungern würde. Dass die Biotechnologie im Moment so "sexy" ist, liegt vor allem daran, dass sich mit dem Genom eine vollkommen neue Welt für uns eröffnet hat. Es ist wahrscheinlich die größte Revolution in der Forschung, die es je gegeben hat. Es spukt nur so in den Köpfen herum: Können unsere Gene alles erklären? Kann man gegen alles eine Medizin entwickeln? Kann man damit Geld verdienen? Deshalb hat sich auch eine riesige Industrie entwickelt: Die Firma Amgen, bei der ich gearbeitet habe und die um 1983 gegründet wurde, ist jetzt die 28-größte Firma der Welt - mit nur ein paar Medikamenten am Markt.

Die Furche: Diese Euphorie verwundert angesicht Ihrer Forschungen wenig: Sie untersuchen die Entstehung von Osteoporose, Krebs, Autoimmunerkrankungen oder Schmerz...

Penninger: Das Problem ist der Zeitabstand zwischen unserer Grundlagenforschung und der Präsentation eines Medikaments. Das kann zehn Jahre dauern. Doch unsere Ergebnisse werden von den Medien oft in bevorstehende Heilungsmöglichkeiten umgedeutet. Die Wissenschaftsgläubigkeit hat ja fast religiösen Charakter: die Idee, dass Wissenschaft alles erklären kann und auch die Dunkelheit aus unserem Leben verscheucht.

Die Furche: Umso wichtiger ist die Information der Öffentlichkeit. Ist es möglich, das komplexe Gebiet der Genforschung einfach zu erklären?

Penninger: Biologie ist wie ein Legospiel: Man hat 200 Steine und kann daraus einen Wurm bauen, ein Haus oder einen Menschen. Unsere Körper bestehen aus diesen kleinen Bausteinen - egal ob es ein Frosch ist, eine Fliege oder ein Mensch. Man muss nur erkennen, wie diese Steine funktionieren. Anders gesagt: Gute Wissenschaft ist wie ein gutes Buch. Gute Bücher sind meistens auch nicht kompliziert, sondern einfach gute Geschichten. Und die kann man auch einem Siebenjährigen erklären.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Die Rückkehr des verlorenen Sohns

Wenn Josef Penninger auf sein wirres Haar angesprochen wird, kann er sich auf ein großes Vorbild berufen: "Es gibt einen Cartoon über Albert Einstein, wo er mit aufstehendem Haar ungläubig einen Kamm betrachtet." Wie der große Physiker ist Penninger kammlos - und braucht auch wissenschaftlich den Vergleich bald nicht mehr zu scheuen: Rund 30 Arbeiten hat der 39-jährige Genforscher in Journalen wie "Nature", "Science" oder "Cell" publiziert. Der Weg zu den Sensationen führt über Mäuse: Die Tiere werden genetisch manipuliert - und die Folgen auf die Entwicklung des Organismus beobachtet. Hauptaugenmerk liegt dabei auf Herzerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Krebs und Osteoporose. Dass Penninger Spitzenforscher werden würde, war in seiner Jugend nicht abzusehen. In Gurten (OÖ) geboren, war er "kein guter" Schüler. Spätestens während der Doktorarbeit beim Innsbrucker Alternsforscher Georg Wick packte ihn jedoch die Forscherlust. 1990 ging er ans Ontario Cancer Institut, 1994 wechselte er als "Principal Investigator" zum US-Gentechnikkonzern Amgen nach Toronto. 2003 wurde er schließlich in die Heimat geholt - als Leiter des neuen Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien. Dort will er nun die weltbesten Forscher ("von Mödling bis China") vereinen. Zum Reich der Mitte hat Penninger übrigens einen persönlichen Bezug: Der Vater dreier Kinder ist mit einer Chinesin verheiratet.

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