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Braudien wir eine Agrarreform ?

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Unter den Zielsetzungen der Zeit nach 1918 war auf landwirtschaftlichem Gebiet keine von so nachhaltig ungünstiger Wirkung wie die gewaltsame Agrarreform: Entgegen dem Grundsatz der Unantastbarkeit des Eigentums, der dem in großen Zeiträumen denkenden Bauern die Sicherheit in der geradlinigen Führung seines Hofes gibt (er erntet, was die Vordem säten, und sät, was erst die Nachfahren ernten werden), wurde unter dem Einfluß einer Politik, die vielen zu Ungunsten weniger Vorteile bringen wollte, seit altersher Gewordenes zerstört. Daß man „nebenbei“ auch noch Mißliebige schädigte, zum Beispiel die deutschen Grundbesitzer, und zugleich den Lieblingskindern auf eine besonders billige Weise Geschenke machte, trug natürlich nicht dazu bei, der Volkswirtschaft die in Aussicht gestellten Vorteile zu bringen1. Die Tätigkeit der Bodenämter beschränkte sich in der Regel auf die Zuweisung von Land, seltener von Gebäuden und Inventar, niemals von Betriebskapital. Da zudem bei der Auswahl der Bewerber keine Rücksicht auf ihre „Bauernfähigkeit“ genommen wurde, waren letztlich die Erfolge der Agrarreform in der Erzeugung von Nahrungsmitteln und Versorgung der NichtSelbstversorger“ wenig befriedigend — was aber nicht ausschließt, daß bei nächster Gelegenheit wieder die gleichen Fehler gemacht werden.

Eine der Schattenseiten von Agrarreformen, die meist übersehen wird, ist die Beunruhigung der Grundbesitzer. In der Sorge, ihren Besitz ganz oder auch nur teilweise zu verlieren, stellen sie jene Aufwendungen in ihrem Betrieb ein, die sich erst nach und nach, möglicherweise erst in der nachfolgenden Generation, auswirken. Die eben erwähnte Kette: Vorfahren — heutige Generation — Nachkommen und damit die Grundlage jeglicher gesunden, auf lange Sicht leistungsfähigen Wirtschaft wird so zerrissen. Schon Gerüchte, Ankündigungen und Drohungen können eine stille Unruhe schaffen; sie wird sich freilich in erster Linie bei den Großbesitzern bemerkbar machen, obwohl die Erfahrung in manchen Staaten gezeigt hat, daß die Grenze, von der an Enteignungen vorgenommen werden, verschieden, meist recht nieder ist, ja eben jetzt in Jugoslawien sogar von 20 auf 10 Hektar herabgesetzt wird. Begreiflich! Denn für den Mann, der 9 Hektar besitzt, ist ja schon der mit 2 Hektar ein „großer“, von dem man — ohne Zweifel — einiges abzweigen kann!

Wenn also Agrarreformen, die eine Aende-rung des Eigentums herbeiführen, abzulehnen sind, so gilt diese nicht für Maßnahmen, die, ohne Beeinträchtigung der Besitzrechte, nur die Art der Nutzung des Eigentums verbessern und wirtschaftlicher gestalten wollen.

Zu diesen Maßnahmen gehört in erster Linie die „Grundstückzusammenlegung“ oder „Kommassierung“, die in Oesterreich nun schon seit 70 Jahren auf gesetzlicher Grundlage durchgeführt wird.

Durch diese „agrarische Operation“ wurde bis Ende 1951 rund eine Viertelmillion Hektar, das ist fast der sechste Teil aller Felder, zusammengelegt, das heißt, aus einer Vielzahl von kleinen, unregelmäßig gestalteten, oft nicht an Wegen gelegenen und nur

1 Das österreichische Wiederbesiedlungsgesetz vom Jahre 1919, das im wesentlichen die Rückführung „gelegter“ Bauerngüter in die Hand der früheren Eigentümer anstrebte, kann mit den Agrarreformen der Nachfolgestaaten-in keiner Weise verglichen werden. Im übrigen erfüllte es seinen Zweck, die „agrarbolschewistischen“ Bestrebungen der Umsturzzeit in geregelte Bahnen zu lenken. selten mit Grenzsteinen genau bezeichneten Grundstücken wurden wenige große, gleichwertige an guten Wegen geschaffen, deren Grenzen parallel verlaufen und mit Steinen einwandfrei bezeichnet sind. Erst durch diese Arbeit wird die Voraussetzung für die wirtschaftliche Nutzung der Grundstücke geschaffen, der zweckmäßige Einsatz der Landmaschinen ermöglicht, so daß man auch heute diese Grundstückszusammenlegung als die Existenzfrage der Landwirtschaft bezeichnen kann.

Die Erkenntnis von den „lebensfähigen“ Betrieben führte unter anderem zum Tiroler und Kärntner Höferechtsgesetz, das eine Teilung von Liegenschaften, deren Größe noch ausreicht, um eine Familie zu ernähren, ausschließt. Auch ein burgenländisches Gesetz verlangt, daß Teilungen nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn die einzelnen Stücke eine gewisse Mindestgröße, Aecker zum Beispiel von 720 Geviertmeter, besitzen.

Der Justizausschuß des Nätionalrates hat sich wiederholt mit diesen Fragen beschäftigt, die deshalb so außerordentlich schwierig sind, weij sie nicht nur einschneidend in die Eigentumsverhältnisse eingreifen, sondern eben verschieden zu lösen sind.

Eines steht fest: Die Zersplitterung verursacht unrationelle Ausnützung des Bodens, der Arbeitskraft und des Inventars. Wie weit diese Zersplitterung fortgeschritten ist, zeigen uns zahlreiche Opfer“ von Bauparzellen: die 1, 2 bis 10 Quadratmeter großen“ Felder im Weicnbildc Wiens und eine 40 Zentimeter breite burgenländische Waldparzelle.

Gleichzeitig müßten aber auch Besitzungen abgebaut werden, deren Ausmaß über eine „Ackernahrung“ hinausgeht. Es gibt nicht wenige Güter, die zu groß sind, um von einer Familie bewirtschaftet zu werden, und deren Nutzung daher, wenn fremde Arbeitskräfte fehlen, zu wünschen übrig läßt. Dies ist besonders bei manchen Bergbauernbetric-ben der Fall, die einen freigewordenen Hof erworben haben und ihn nun nur vorübergehend als Weide nützen.

Natürlich wäre es falsch, den schematischen Abbau jener größeren Betriebe herbeiführen zu wollen, die ihr Recht, unverhältnismäßig viel Land zu besitzen, richtig gebrau-E h c n, indem sie den Markt, entsprechend ihrer größeren Leistungsfähigkeit, auch entsprechend ausgiebig beliefern: Noch immer ist der gut geführte Großbetrieb, gemessen an der von ihm bewirtschafteten Fläche, der leistungsfähigste und verläßlichste Belieferer der Städte3, was mit seinem Aufbau erklärt werden kann, und der bewährte Schrittmacher des landwirtschaftlichen Fortschrittes, da er am besten in der Lage ist, Neuerungen auszuproben, an die gegebenen Verhältnisse der Gegend anzupassen und auch sonst beispielgebend voranzugehen*.

Zu den Agrarreformen zählen auch die Maßnahmen, die auf den Grundverkehr Einfluß nehmen. Sie sollen unter

* Nach einer Aufstellung im Juniheft des „Land-und forstwirtschaftlichen' Gutsbetriebes“ war die Marktleistung von 47 untersuchten Gutsbetrieben im Jahre 1952 je Hektar 2939 kg Getreideweit gegen 978 kg aller österreichischen Betriebe.

3 Um so weniger Schutz und Förderung verdienen jene Besitzer, die zum Beispiel durch Ueber-schlägerung und Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufforstungen offensichtlich Raubbau betreiben. Als Verschwender eines Gutes, an dessen Erhaltung die Allgemeinheit in hohem Maße interessiert ist, sollte solchen Personen das Verfügungsrecht über ihren Besitz entzogen werden.

anderem den Verkauf von Liegenschaften an Nichtlandwirte verhindern, um so den Boden dem selbstwirtschaftenden Bauern zu erhalten und ein Ansteigen der Bodenpreise zu verhindern. Anderseits sollte die Uebergabe der Höfe durch den alten Bauern an den jungen möglichst früh angesetzt werden, um die Intensität zu erhalten und eine zu große Belastung des Jungbauern zugunsten der „weichenden“ Erben zu verhindern.

Auch die Ansiedlung der Landarbeiter, die Ermöglichung des wirtschaftlichen Aufstieges der Kleinbauern und die Beschaffung von Ersatzland (womöglich durch Kultivierung von bisher ödliegenden Flächen) beim Bau von Kraftwerken u. ä. fallen unter die Aufgaben einer weitblickenden Agrarreform.

Das Endsiel jeder Agrarreform muß es sein, das wenige Land, das uns Mitteleuropäern zur Verfügung steht, so zu erschließen, daß seine Bebauer ihren Aufgaben gegenüber der übrigen Bevölkerung dauernd voll gerecht werden können.

Durch diese Sicherung des Bauern gegenüber dem Ueberseewettbewerb sorgen wir auch für das wirtschaftlich-politische Gleichgewicht und damit auch unsere abendländisch-christliche Kultur, die in diesen Menschen immer ihre verläßlichste Stütze besitzt. So sind alle agrarreformatorischen Belange nicht nur Angelegenheiten der Grundeigentümer, sondern aller, die am Bestand unserer Gesellschaftsordnung interessiert sind.

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