6656135-1959_30_21.jpg
Digital In Arbeit

Caritasarbeit zwischen Chaos und Konjunktur

Werbung
Werbung
Werbung

In den ersten Maitagen des Jahres 1945 bėgami ’ein neues Kapitel1' in der seit St. Severing Jahren so erfüllten Caritasgeschichte unseres Landes. In seinem Hirtenbrief zum Aufbau in Kirche und Staat, der schon am 11. Mai 1945 herauskam, umriß der damalige Weihbischof und Kapitelvikar Dr. Fließet in Worten, die an die Diktion der alttestamentlichen Propheten erinnern, die unsagbare Not jener Tage: „Schwer ausgeblutet ist das Volk. Zerbrochen sind Staat und Wirtschaft, zerrissen die Bande so vieler Familien, schwer geschädigt die Kirche unseres Landes.“ Dann fordert er „alle, die den Sturm überlebt haben“, auf, mit neuer Hoffnung und starkem Opferwillen die Trümmer anzufassen. Wie es nicht anders sein kann, fällt schon in diesem ersten Hirtenwort nach Kriegsende der Hinweis auf die christliche Liebe, die es „dem Besitzenden leicht macht, sich zu begnügen mit einer bescheidenen Lebensführung, solange andere darben und vom Eigenen zu geben, solange man noch etwas entbehren kann". Das schlechte vergilbte Papier, auf dem diese Worte damals vervielfältigt wurden, spricht eine deutliche Sprache von der Armut jener, uns schon so fernen Zeit.

Und dann begann ein Sammeln und Spenden, ein Opfern und Geben, ein Suchen und Finden, ein Arbeiten und ein Aufbau einmaliger Art. Das Doppelleitwort Pfarrcaritas und Diözesan- caritas rief alle Kräfte der Nächstenliebe zu höchster und intensivster Kraftanstrengung auf.

Wenn man sich jener Zeit erinnert, dann ziehen die Bilder wie Momentaufnahmen vorbei. Hilfe für die Tausende von Konzentrationslagerhäftlingen, die Linz überschwemmten; Betreuung der Kriegsgefangenen in den Lagern — schon im Mai kommt der damalige Caritassekretär Mayr mit fünf Lastautos voll Lebensmitteln in ein Kriegsgefangenenlager —; tätige Liebe für die Menschenwogen von Flüchtlingen, die von Ost und West und später auch vom Norden her in Oberösterreich zusammenschlagen — seither ist Oberösterreich ein Bundesland, dem ganz besondere Sorgen und Lasten der Flüchtlingsfürsorge aufgegeben werden —; der Suchdienst wird organisiert — schon 1945 beträgt der Posteingang 15.458 Stück —, die Verbindung mit den ausländischen Hilfsorganisationen, besonders den katholischen, wird aufgenommen.

Kaum ist der erste Hunger gestillt und die größte lebensbedrohende Not beseitigt, geht die Caritas an den Aufbau all der vielen aufgehobenen, enteigneten und zerstörten Caritaseinrich- tungen, Heime, Kindergärten und bekommt nun auch selbst jene organisatorische Gestalt, die sie heute noch hat, nämlich die Form eines Diözesaninstitutes, in das der frühere Caritas- verband umgewandelt wird.

Die Jahre vergehen in unermüdlicher Arbeit. Auch die Caritas ist nach innen und außen gewachsen. Sie hat sich zu einer großen, weit verzweigten Organisation in der Diözese entwickelt. Jede Pfarre ist praktisch eine Zelle dieses Organismus der Nächstenliebe. Die Zusammenarbeit mit den Behörden und den anderen Organisationen der freien Wohlfahrtspflege ist vertrauensvoll, gut und erfolgreich. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß Gelder der öffentlichen Hand, die der Caritas, anvertraut werden, sich im Erfolg vervielfältigen. Dies haben erst vor kurzem Landtag und Landesregierung von Oberösterreich bei einem offiziel-

len Besuch im Caritaskinderdorf für behinderte Kinder St. Isidor festgestellt. 3,7 Millionen Schilling hat der Landtag bisher für diese vorbildliche Rehabilitationseinrichtung bewilligt. Immer mehr wird die volkswirtschaftliche und sozialhygienische Bedeutung vieler Caritasein- richtungen, die, aus kleinsten Anfängen herausgewachsen, zu vorbildlichen Modelleinrichtungen wurden, erkannt und anerkannt. So hat z. B. eine Berechnung für das Caritasheim St. Elisabeth in Gallneukirchen, das der Ausbildung körperbehinderter Mädchen zu Maschinstrickerinnen und Damenschneiderinnen dient, ergeben, daß durch die Ausbildung eines Mädchens, das dann seinen Lebensunterhalt selber verdienen kann, im Verlauf von 42 Jahren der öffentlichen Hand ein Betrag von 200.000 Schilling an Fürsorgeaufwand erspart wird.

Wirtschaftlicher Wohlstand und Konjunktur haben fast zwangsläufig Verständnislosigkeit für die Not der Mitmenschen itn Gefolge. Man will es nicht wahrhaben, daß es noch Not gibt. So ist es größte Aufgabe und schwierigste zugleich für die Caritas heute: lieberzeugend zeigen, daß es heute noch Not gibt; die Nachbarschaftshilfe in der Bewegung von Mensch zu Menschwecken; die Dankbarkeit der Eltern, die gesunde Kinder haben, wachrufen; für Einfachheit in der Lebensführung eintreten und Luxus und Verschwendung als Sünde brandmarken; weitesten Kreisen des Volkes klarmachen, daß nur Gebet, Opfer und die Werke der Nächstenliebe uns vor der herannahenden Katastrophe bewahren können.

Die Caritas untersteht direkt dem Bischof. Sie ist nichts anderes als das ausführende Organ, durch das der Bischof sein Weiheversprechen erfüllt: Vater der Armen zu sein. Dies ist auch der tiefste Grund, warum Exzellenz DDr. Zauner keine Gelegenheit, besonders auch bei den Visitationen, vorübergehen läßt, um die Caritas- gesinnung zu vertiefen und die Caritastätigkeit zu bestärken. Immer wieder weist er darauf hin, daß es eine Ehrenpflicht der Gläubigen sei, der Caritas die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie brauche, und legt größten Wert auf die gewissenhafte Verwaltung der Spenden. Vor allem aber ist es sein Herzensanliegen, die Werke der Nächstenliebe durch den Nachwuchs aller sozial- caritativen Orden und Berufe zu sichern, denn der Arme bedarf vor allem des helfenden und barmherzigen Menschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung