KI bei der Matura - © Foto: iStock/AndreaObzerova

ChatGPT in der Schule: Salz in alten Wunden

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Künstliche-Intelligenz-Programme offenbaren alte Baustellen im Bildungssystem. In einer digital geprägten Welt braucht es jedenfalls mehr als den bloßen Einsatz technischer Geräte, sagen Lehrkräfte und Schüler(innen). Bislang lässt das Bewusstsein dafür auf sich warten.

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Künstliche-Intelligenz-Programme offenbaren alte Baustellen im Bildungssystem. In einer digital geprägten Welt braucht es jedenfalls mehr als den bloßen Einsatz technischer Geräte, sagen Lehrkräfte und Schüler(innen). Bislang lässt das Bewusstsein dafür auf sich warten.

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Eine Recherche auf ChatGPT, anschließend eine Diskussion in Kleingruppen über gelieferte Ergebnisse und danach die Debatte im Klassenverband über die erarbeiteten Inhalte. So oder so ähnlich stellt sich der niederösterreichische Landesschulsprecher Marco Gayer einen modernen Unterricht vor; unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), mit sachlichen Diskussionen – und das in jedem Unterrichtsfach. Allein: Die Realität sieht bisweilen anders aus.

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„Der Stand der Technologie hat den des Bildungssystems schon lange überholt“, sagt Gayer und untermauert seine These mit den Ergebnissen eines Experiments, das im Laufe der vergangenen Woche hohe Wellen geschlagen hat. Er und sein Schüler(innen)vertretungsteam (LSV) haben die Aufgaben der Zentralmatura aus dem Vorjahr dem vieldiskutierten Chatbot ChatGPT gestellt. Das Ergebnis: Genügend in Mathematik und Deutsch, Befriedigend in Englisch. Schafft man es theoretisch also ChatGPT, bei der Matura zur Verfügung zu haben, ist es möglich, die schriftliche Reifeprüfung nur durch das Eingeben der Angabe positiv zu bestehen.

Das stellt einmal mehr die Matura als sinnvolle Prüfung und das System Schule infrage . Für die LSV ist spätestens jetzt der Zeitpunkt, um auf die Herausforderung der Gegenwart zu reagieren. Die Jugendlichen fordern gleiche Bedingungen bei der standardisierten Reifeprüfung (Zentralmatura), verpflichtende Debattierrunden in allen Fächern zur Förderung kritischen Denkens und modern ausgestattete Arbeitsräume, die den Anforderungen der Zeit entsprechen. Anwendungen wie ChatGPT haben in ihrer Idealvorstellung von Schule einen fixen Platz – Auswendiglernen dagegen hat ausgedient.

Falsch verstandene Digitalisierung

Für Gayer und sein Team macht das Maturaexperiment deutlich, dass es eine große Lücke zu schließen gilt. Während einerseits ChatGPT das eigene Lernen überflüssig erscheinen lässt, sind auf der anderen Seite die technischen Voraussetzungen für Maturant(inn)en nach fast zehn Jahren Zentralmatura immer noch nicht dieselben. Als damals die flächendeckende Einführung der standardisierten Reifeprüfung bevorstand, demonstrierten Schülerinnen und Schüler für faire Bedingungen. Seither hat sich zwar an der Oberfläche vieles getan, aber faktisch wenig bewegt. Volksschulklassen werden mit Tablets und Bee-Bots (kleinen Robotern für erste Programmierschritte) ausgestattet, Smartboards ersetzen Over­head­-Projektoren, und soziale Medien werden auch von den Schulen genutzt.

Ob Schülerinnen und Schüler ihre Schul- und Maturaarbeiten aber am Computer oder per Hand schreiben, ist nach wie vor eine schulautonome Entscheidung und wird nicht zentral vorgegeben. Gleichzeitig werden die Stunden- und Lehrpläne immer voller. Der Tenor der Jugendlichen: „Es gehört entrümpelt.“ Die Forderungen wollen sie zunächst auf Landesebene durchbringen, um dann auf Bundesebene mehr zu erreichen.

Ihre Überlegungen haben aber längst nicht mehr nur nationale Relevanz. Künstliche Intelligenz in der Bildung ist zur globalen Herausforderung geworden. Im deutschsprachigen Raum macht der deutsche Gymnasiallehrer, Blogger und Podcaster Bob Blume auf die Gefahren einer falsch verstandenen Digitalisierung aufmerksam. Für ihn gehört dazu weit mehr als ein Aufpolieren des Unterrichts durch Computer. Er spricht von einer „Kultur der Digitalität“, die darauf abzielt, Kinder und Jugendliche mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts auf das Leben in einer digital geprägten Welt vorzubereiten.

Werden die technischen Entwicklungen der Gegenwart in der Bildung ignoriert, läuft Schule Gefahr, ein künstlicher Ort zu werden.

Bob Blume, Lehrer und Blogger

Bisher mangle es aber bei den Entscheidungsträger(inne)n am Grundverständnis dessen, was Digitalisierung und ein reflektiertes Lernen im digitalen Wandel unterscheiden würden.

Würden die technischen Entwicklungen der Gegenwart ignoriert, laufe Schule Gefahr, ein künstlicher Ort zu werden, warnt Blume. „Alle, die sagen, das Digitale soll im Unterricht nicht Platz finden, handeln fahrlässig“, meint er und plädiert für einen Unterricht, in dem die Arbeit mit und über Medien Teil jedes einzelnen Faches ist.

Dazu gehören für ihn drei wesentliche Aspekte berücksichtigt: die Fragen, wie man lernt, welche Haltung man dabei einnimmt und wie man das Soziale dabei in den Mittelpunkt rückt. Werden aber vertiefende Inhalte weiterhin nach Hause verlagert, „kann man sich das jetzt von der KI abnehmen lassen“. Wer aufgrund seiner sozialen Stellung einen leichteren Zugang zur Technologie erhält, kommt somit schneller zu besseren Noten.

Bob Blume  - © Niko Neithardt

Bob Blume

ist 1982 geboren und Lehrer, Schulbuchautor, Blogger, Webvideoproduzent, Podcaster sowie Bildungsinfluencer. Er befasst sich speziell auch mit Themen der digitalen Bildung und wohnt mit seiner Familie im deutschen Baden-Württemberg.

ist 1982 geboren und Lehrer, Schulbuchautor, Blogger, Webvideoproduzent, Podcaster sowie Bildungsinfluencer. Er befasst sich speziell auch mit Themen der digitalen Bildung und wohnt mit seiner Familie im deutschen Baden-Württemberg.

Dadurch geht auch die soziale Schere weiter auf. Auswirken wird sich das auch auf den Arbeitsmarkt. Wenn heute kolportiert wird, dass Programme wie ChatGPT schon bald einfache Tätigkeiten übernehmen können, werden diejenigen, die bisher „mit basalen Fähigkeiten irgendwie über die Runden gekommen sind, das Nachsehen haben“, warnt der Gymnasiallehrer.

Auf das österreichische Bildungssystem umgelegt, schlägt Bildungspsychologin Christiane Spiel in eine ähnliche Kerbe. Individuelle Interessen und Begabungen zu fördern, um nach der Schule die eigenen Talente bestmöglich einsetzen zu können, wäre für sie ein wichtiger Ansatz. ChatGPT könnte man – ganz im Sinne der niederösterreichischen Landesschüler(innen)-­vertretung – sinnvoll nutzen. Als Beispiel nennt auch sie Gruppenarbeiten, in denen Abgefragtes kritisch hinterfragt wird, sodass Schüler(innen) ihre eigenes Wissen einbringen können.

Ambivalent sieht Spiel allerdings die Forderung nach generellen einheitlichen Vorgaben zum Einsatz technischer Hilfsmittel. Zwar brauche es bei der Zentralmatura faire Voraussetzungen für alle, ansonsten hält sie derzeit aber wenig von flächen­deckenden Vorgaben. „Die Situationen an Schulen sind sehr heterogen“, verweist sie etwa auf Unterschiede in der technischen Ausstattung oder bei den Erfahrungen der Lehrpersonen. Außerdem würden die Prozesse bis zur Verankerung einer solchen Vorgabe zu lange dauern, die technischen Entwicklungen zu rasch voranschreiten.

Vielmehr sollten einzelne Lehrpersonen in Kompetenzbereichen wie etwa Digitalisierung eine hohe Expertise erwerben und andere Lehrpersonen in der Schule unterstützen. Denn Lehrkräfte seien keine „Wunderwuzzis“, die alles könnten; und auch das Lehramtsstudium könne sie nicht dazu ausbilden.

Christiane Spiel - © Foto: derknopfdrucker

Christiane Spiel

ist 1951 geboren. Sie ist Bildungspsychologin und emeritierte Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien.

ist 1951 geboren. Sie ist Bildungspsychologin und emeritierte Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien.

Käme es zu einer Verlagerung von der Individualebene auf die Schulebene, sei auch die bereits vor 20 Jahren angeregte, aber nie umgesetzte Einführung eines mittleren Managements an Schulen möglich. „Das würde Aufstiegsmöglichkeiten für Lehrpersonen ermöglichen und Expertenwissen an Schulen besser verteilen“, sagt Spiel, die auch diskutieren will, inwiefern sich Prüfungsmodi verändern müssen. Sie nennt dazu ein Beispiel aus der Psychologie, in der bei den Onlineprüfungen an der Universität Wien während der Corona-Beschränkungen weniger Wissen, sondern der Transfer des Wissens abgeprüft wurde.

Ein Kampf für kritische Geister

Und was sagt ChatGPT zu seiner Zukunft im Bildungsalltag? „ChatGPT kann ein nützliches Werkzeug sein, aber es sollte nicht als Ersatz für traditionelle Lernmethoden angesehen werden“, generiert der Chatbot seine Antwort und erklärt: „ChatGPT ist kein Ersatz für eigenes Engagement, das Lesen von Büchern, das Schreiben von Aufsätzen oder das Durchführen von praktischen Experimenten.“

Für Landesschulsprecher Marco ­Gayer ist das eine Bestätigung. Das kritische Denken bleibe wichtig, aber Computer und Chatbots könnten in Zukunft zu neuen Ideen inspirieren. Auf Landesebene starten er und sein Team eine Unterschriftenaktion, um ihre Anliegen im Landtag vorzubringen. Ob der Punkt „Modernisierung der Schulen“ im schwarz-blauen Arbeitsübereinkommen daran anknüpft, bleibt abzuwarten. Dass der Weg ein langer sein kann, ist dem LSV-Team bewusst. Für ­Gayer selbst wird sich bis zu seiner Matura im Mai kaum etwas ändern, aber: „Wir kämpfen für die, die nach uns kommen.“

Navigator - © Die Furche

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