6704695-1963_47_03.jpg
Digital In Arbeit

Credo in Österreich

Werbung
Werbung
Werbung

Vor mehr als zwei Jahren verfaßte der Präsident des österreichischen Statistischen Zentralamtes, Dr. Hans Fuchs, eine interessante Studie unter dem Titel „Die konfessionelle Labilität im Großstadtraum“, in der er statistisch die Verschiebungen in der konfessionellen Struktur der Bevölkerung seit den ersten Nachkriegs jähren nach dem zweiten Weltkrieg untersuchte und den Großstadtraum von Wien in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellte.

Gewissermaßen in Anknüpfung an dieses Thema soll nunmehr hier ein Rückblick auf die Entwicklung der wichtigsten Religionsgemeinschaften seit dem Jahre 1945 gegeben werden!

Die konfessionelle Labilität prägte sich natürlich unter den Einflüssen der Großstadtatmosphäre besonders markant aus, ist jedoch, wenngleich in gemäßigterer Form, in ganz Österreich festzustellen. Ganz unwissenschaftlich ausgedrückt würde selbst bei gleichbleibender prozentueller Verteilung der Wohnbevölkerung auf die einzelnen Konfessionen wohl die Masse gleich-, innerhalb der Masse aber nur ein gewisser Teil der Menschen in allen Jahren dieselben bleiben, während für die übrigen eine dauernde Fluktuation im Gange ist. In den ersten Nachkriegsjahren spielten die politischen Ereignisse in dieser Entwicklung eine große Rolle; heute dagegen veranlassen häufiger eherechtliche Probleme einen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche oder einen Übertritt zu einer ande

ren Religionsgemeinschaft, durch die bei einer Wiederverheiratung nach einer Ehescheidung auch eine kirchliche Traung möglich ist. Es wurde schon an anderer Stelle des öfteren darauf hingewiesen, daß zumindest ein Teil der jährlich rund 16.000 Geschiedenen (Männer und Frauen zusammen) sich nach einer mehr oder minder langen Frist wieder verheiraten, und die Statistik der Eheschließungen weist in allen Jahren einen nicht unbeträchtlichen Prozentsatz — bei den Männern beträgt er in den letzten Jahren zwischen 39 und 40 Prozent, bei den Frauen zwischen 35 und 36 Prozent — an Geschiedenen bei den Eheschließenden beiderlei Geschlechts aus, von denen ein — allerdings statistisch nicht nachgewiesener — Teil sich nach einem anderen als dem römisch-katholischen Ritus auch kirchlich trauen läßt.

Das „katholische Land“

Österreichs Bevölkerung gehört zum überwiegenden Teil dem rö-

Die „Taufscheinchristen“

Im Rahmen des heutigen Themenkreises soll allerdings nicht der Nachweis der religiösen Praxis zur Debatte stehen; dies sei Berufene- ren vorbehalten; außerdem werden die statistischen Erfassungsmethoden niemals ganz ausreichen, um die „Spreu vom Weizen“, nämlich die sogenannten „Taufscheinkatholiken“ von den wirklich gläubigen, den Geboten ihrer Religion folgenden, also tatsächlich praktizierenden Katholiken, völlig zu trennen. Denn mögen in einem Gebiet auch noch so hohe Zahlen von Gottesdienstbesuchern ermittelt werden, nie wird man die Gründe für dieses — nach außen hin gewiß vorbildliche — Verhalten eindeutig erhellen und feststellen können, in welchem Umfang sich echte Frömmigkeit und Verbundenheit mit der Kirche oder nur Tradition, Pflichtbewußtsein, in manchen Fällen und in kleineren Gemeinden sogar Angst vor der „schlechten Nachrede“ innerhalb der Nachbarschaft und noch viele andere Gründe hinter der äußeren Fassade verbergen.

Als Beispiel dafür sei nur kurz

misch-katholischen Glaubensbekenntnis an. Daß daraus allein die Frage, ob Österreich auch ein „katholisches“ Land sei, nicht so einfach zu beantworten ist, stellt Univ.- Doz. Dr. Bodzenta in einer im Vorjahr erschienenen Schrift, „Die Katholiken in Österreich“, fest. Der Verfasser vertrat die Ansicht, je größer der Bevölkerungsanteil der Katholiken in einem Land sei, um so mehr würden die Grenzen zwischen religiöser Grundhaltung und allgemein menschlichen Eigenschaften beziehungsweise Schwächen verwischt. Darüber hinaus würde das Bild noch mehr verdunkelt, wenn für weite Bevölkerungskreise das religiöse Bekenntnis nur mehr bloße Tradition darstellt, und zwischen den Geboten der Religion, der man de jure angehörte, und dem täglichen Leben in der „pluralistischen“ Gesellschaft ein immer größer werdender Widerspruch in Erscheinung tritt.

auf eine soziologische Arbeit von Renate Pflaum verwiesen, in der die Verfasserin Stellen aus Interviews mit Bewohnern einer ländlichen Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland zitiert, wobei als Beweggründe für das Festhalten am regelmäßigen Gottesdienstbesuch nebst dem offenen Bekenntnis zur Kirche nicht selten das Motiv auftaucht, der sonntägliche Kirchenbesuch sei die einzige Möglichkeit, Geselligkeit zu pflegen, die oft weit entfernt wohnenden Nachbarn zu treffen, also eine Möglichkeit, dem täglichen Einerlei zu entfliehen. Wie erwähnt, bedarf es aber auch nur zur andeutungsweisen Erfassung dieser Problematik spezieller Untersuchungen.

Die amtliche Statistik hingegen ermöglicht durch die in bestimmten Zeiträumen stattflndenden Volkszählungen eine Erfassung der konfessionellen Struktur der Wohnbevölkerung an einem bestimmten Stichtag, während die kirchlichen Statistiken über die jährlich sich ergebenden Veränderungen Buch führen, und auch über den jeweiligen Stand an kirchenbeitragspflichtigen Personen Auskunft geben.

Eine Übersicht über die konfessionelle Struktur der österreichischen Wohnbevölkerung nach den Volkszählungsergebnissen der Jahre 1869 bis 1951 (für 1961 liegt derzeit noch kein Gesamtergebnis vor) zeigt, daß in allen Jahren neben den Katholiken nur die Protestanten sowie Personen sonstiger Bekenntnisse und ohne religiöses Bekenntnis anteils

mäßig ins Gewicht fallen. Bis zum Jahre 1910 machten die beiden letztgenannten Gruppen zusammen nur maximal 3,2 Prozent der Bevölkerung in Österreich aus. Sie gelangten erst später, jede für sich, zu größerer Bedeutung, so daß ab 1934 für sie ein getrennter Nachweis vorgenommen wurde.

verringert, dennoch behaupten sie, wenn auch jeweils in unterschiedlicher Stärke, eindeutig ihre Vorrangstellung gegenüber Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften.

Aus der Volkszählung 1951 ging hervor, daß in allen Bundesländern die Katholiken weitaus in der Überzahl waren. Daran hat sich (für 1961 liegen bereits die Volkszählungsergebnisse für fünf Bundesländer vor) auch in der Gegenwart nicht viel geändert. 1951 schwankte der Anteil der Protestanten zwischen 14 Prozent im Burgenland und drei Prozent in Niederösterreich Tirol und Vorarlberg. Es gab zu diesem Zeitpunkt etliche Gemeinden mit einer evangelischen Majorität (Anteilen zwischen 50,6 und 100 Prozent); in 250 Gemeinden partizipieren die Protestanten mit zehn Prozent an der Wohnbevölkerung. Die Konfessionslosen waren mit nahezu acht Prozent in Wien am stärksten, mit 0,2 Prozent im Burgenland am schwächsten vertreten. In etwas weniger als hundert Gemeinden betrug der Anteil der Konfessionslosen mehr als fünf Prozent. Die Altkatholiken erreichten nur in Wien einen Anteil von 1,4 Prozent, während in allen übrigen Bundesländern die entsprechenden Werte weit unter einem Prozent lagen. Angehörige des israelitischen Bekenntnisses traten minimal in Erscheinung und erreichten nur in Wien einen Anteil von 0,5 Prozent; in den meisten anderen Bundesländern läßt sich ihre absolute Anzahl nicht einmal in Relativzahlen ausdrücken.

Im gesamten österreichischen

Bundesgebiet waren 1951 89 Prozent der Wohnbevölkerung römisch- katholisch, 6,2 Prozent evangelisch, 0,5 Prozent altkatholisch, 0,1 Prozent griechisch-katholisch, 0,2 Prozent israelitisch, 0,2 Prozent gehörten sonstigen Bekenntnissen, 3,8 Prozent keinem religiösen Bekenntnis an.

Das Ost-West-Gefälle!

Für 1961 liegen, wie bereits erwähnt, für fünf Bundesländer die Volkszählungsergebnisse vor, aus denen sich, obwohl sie nur einen Teil des Bundesgebietes repräsentieren, schon deutlich ein starkes Ost- West-Gefälle der Katholikenanteile

Die katholische Kirche konnte ihre Position im Burgenland seit 1869 stärken, dagegen verringerte sich in Salzburg der Anteil der Katholiken im Verlauf der letzten achtzig Jahre um nahezu zehn Prozent und in Kärnten um knapp neun Prozent. Die Entwicklung in Tirol verlief ähnlich wie in Vorarlberg: in beiden Ländern kam es innerhalb von acht Jahrzehnten nur zu relativ geringfügigen Senkungen der Anteilsätze der Katholiken um 4,8 und 3,8 Prozent, und beide Länder zählen heute mehr als 95 Prozent Katholiken.

Umsturz und Rückstrom

Unruhige Zeiten, politische Umsturzbewegungen und Kriege bewirken gewöhnlich einen starken Abfall von der Kirche; in nachfolgenden ruhigen, wenngleich noch immer schweren Zeiten setzt dann fast schlagartig eine Periode der

Besinnung, der erneuten Zuwendung zur Kirche ein. Deutlich spiegeln sich diese Tendenzen in den obigen, von der römisch-katholischen Kirche veröffentlichten Daten, wider.

Nimmt man die Zahlen des Jahres 1945 als Ausgangsbasis, so fällt vor allem der gewaltige Rückstrom zumeist jener Menschen zur katholischen Kirche auf, die sich bereits früher einmal zum römisch-katholischen Glauben bekannt hatten, vermutlich aus politischen Gründen abtrünnig geworden waren und nun zur Kirche zurückkehren. Insgesamt haben in diesen 17 Jahren 171.233 Menschen zurückgefunden. Zusammen mit den Ein- und Übertritten, die 1961 nur mehr knapp ein Fünf-

abzeichnet. In Verbindung mit den Daten früherer Volkszählungsjahre ergibt sich folgendes Bild:

tel der Zahl von 1945 ausmachen, und zuletzt jährlich seltener mehr als 1400 Personen umfassen, hatte die katholische Kirche hierdurch seit 1945 einen Zuwachs von 210.716 Gläubigen.

Ein Aktivsaldo

Die Austritte aus der römisch- katholischen Kirche zeigen eine völlig anders gerichtete Entwicklung: während sie 1945 verhältnismäßig minimal waren, nahm ihre Zahl in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg auf das Zweibis Vierfache, 1949 auf das Siebenfache, in den Jahren 1951 und 1952 sogar auf das Elf- bis Zwölffache zu. In diesen Massenaustritten scheinen sich die Nachwirkungen der Jahre mit besonders hoher Ehescheidungsfrequenz und den später erfolgten Wiederverheiratungen Geschiedener bemerkbar zu machen. Wenngleich mit dem Jahr 1953 eine

Abwärtsentwicklung der Kirchenaustritte einsetzte, traten seitdem jährlich nie weniger als mindestens siebenmal so viel Personen aus der römisch-katholischen Kirche aus als 1945, und im Verlauf von 17 Jahren wandten sich insgesamt 140.701 Menschen ab.

Eine Gegenüberstellung des Zustroms zur katholischen Kirche (Ein-, Über- und Rücktritte insgesamt) mit den Austritten ergibt daher für die römisch-katholische Kirche im gesamten österreichischen Bundesgebiet einen Aktivsaldo: Sie erzielte einen Zuwachs von 69.015 Personen.

(Schluß folgt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung