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Das Ende der Musikkultur?

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Bedroht eine Hochschulreform die Musiknation Österreich?

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Bedroht eine Hochschulreform die Musiknation Österreich?

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Eine Milliarde Menschen, heißt es, wohnen via Fernsehen alljährlich dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker bei. Zumindest am 1. Jänner ist Wien Weltmusikhauptstadt. Doch wird das auch in 30 Jahren noch so sein, wenn die derzeitigen Mitglieder des Traditionsorchesters ihre Instrumente aus den greisen Händen gelegt haben werden? Wird es dann noch genügend österreichische Spitzenmusiker geben, die ein Neujahrskonzert bestreiten können? Möglicherweise nicht. Die Stimmen jener, die aufgrund mangelnden Nachwuchses das Musikland Österreich in Gefahr sehen, mehren sich.

Jüngster Anlaß ist eine geplante Änderung des Universitätsstudiengesetzes, die einschneidende Auswirkungen auf die Musikstudien hätte. Die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien läuft unter anderem Sturm gegen zwei Punkte der Reform:

■ Die Verkürzung der Studiendauer und Reduktion der Unterrichtsstunden.

■ Die Zusammenlegung der bisherigen Studienrichtungen Konzertfach sowie Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP). Künftige Orchestermusiker und Solisten werden also in Zukunft formell der gleichen Studienrichtung angehören wie künftige Musiklehrer.

„Das ist eine Katastrophe für die österreichische Musikkultur", erbost sich Hans Maria Kneihs, Professor für

Blockflöte und Leiter des Instituts Wiener Klangstil. Vor allem der Wegfall der Studienrichtung IGP bringt Kneihs und die anderen Offiziellen der Wiener Hochschule in Rage. Der zuständige Sektionschef im Wissen-Schaftsministerium, Sigurd Höllinger, begründet diese Entscheidung damit, daß die Musikpädagogik - immerhin macht diese in Wien die Hälfte des gesamten Personalstandes aus — zu einem „Staat im Staat" geworden sei, die mittlerweile völlig losgelöst von der Hochschule agiere. Daß sich IGP „selbständig entwickelt" habe, räumt auch Kneihs ein, jedoch sieht er vor allem das Positive daran: In enger Zusammenarbeit mit den Musikschulen der Länder sei die Ausbildung der Musiklehrer auf die tatsächlichen Bedürfnisse der verschiedenen Ausbildungseinrichtungen abgestimmt worden. All das würde nun mit einem Schlag zerstört, befürchtet Kneihs.

Künftige Orchestermusiker und Solisten müßten sich voll und ganz auf ihre musikalische Ausbildung konzentrieren können, erklärt Kneihs; dazu gehören mindestens sechs Stunden üben pro Tag. Ein Konzertpianist müsse sein Repertoire gleichsam auswendig können und fähig sein, es nach nur ein, zwei Proben mit jedem Orchester der Welt zur Aufführung bringen können - Fähigkeiten, die für einen Musiklehrer völlig nutzlos sind: Der wiederum müsse mit Kindern und Jugendlichen umgehen können, sie zu motivieren verstehen. Nicht das Klavierkonzert Nr. 1 b-moll von Tschaikowsky müsse er

beherrschen, sondern Kinderlieder und Pop-Melodien; schließlich wollen die Kinder auch den neuesten Hit der „Spiee Girls" oder der „Kelly Family" auf ihrem Instrument spielen können. Einen Vollblut-Konzertmusiker jedoch hat zumeist wenig Verständnis für die kindlichen Crossover-Wünsche, vor allem aber hat er nie gelernt einfache Pop-Melodien aufsein klassisches Instrument zu übertragen.

Die Musikhochschulen in Graz und Salzburg teilen die Befürchtungen ihrer Wiener Kollegen interessanterweise nicht. „Die Eckpunkte der Reform sind richtig", sagt der Rektor der Grazer Musikhochschule, Otto Kolleritsch und bezichtigt die Wiener der „Demagogie" und mit „Halbwahrheiten" zu operieren. „Sie tun so, als würden überhaupt keine Musiklehrer mehr ausgebildet. Dabei bleibt IGP ein eigener Studienzweig. Nur eine Studienrichtung ist IGP halt

nicht mehr." Den massiven Widerstand in Wien deutet Kolleritsch mit „den dortigen Machtkonstellationen" und verweist auf die enorme Größe der Studienrichtung IGP.

Machtkämpfe und Selbsterhalt hin oder her - die Zusammenlegung von Konzertfach und IGP wirft zumindest ein wirklich gravierendes Problem auf: Gemeinsame Aufnahmeprüfungen sowohl für künftige Lehrer als auch für Orchestermusiker und Solisten. Osterreichische Bewerber hätten kaum eine Chance, die Zulassungsprüfung für ein Pädagogikstudium zu bestehen, angesichts der zahlreichen ausländischen Studenten, die sich für ein Konzertfachstudium bewerben - junge Musiker, die oft bereits ein Studium im Ausland abgeschlossen haben und sich in Wien den letzten Schliff holen wollen.

Im Studienjahr 1996/97 schaffte in den (Konzert-)Fächern Kontrabaß,

Harfe, Gitarre, Flöte, Oboe, Klarinette und Saxophon kein einziger Österreicher die Aufnahme an die Wiener Musikhochschule. Angehende Musikpädagogen können da wohl erst recht nicht mithalten. Und wer sollte dann in Österreich den Nachwuchs ausbilden?

Der ehemalige Rektor Michael Frischenschlager verwies schon vor einem Jahr in einem aufsehenerregenden Interview auf einen eklatanten Nachwuchsmangel und sprach vom „Selbstmord Österreichs als Kulturnation". In den darauf folgenden Diskussionen ertönten durchaus apokalyptisch anmutende Äußerungen: beim Musikernachwuchs fehle es „an der Basis", beklagte der damalige Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker, Werner Resel und orakelte. „Österreich wird bald kein Land der Geiger mehr sein."

Es scheint Feuer am Dach zu sein.

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