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Das Erwachen der Gemeinde

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Das Erwachen der Kirche in den Seelen hatte Guardini vor einigen Jahrzehnten festgestellt. Diese Erfahrung machte er vor allem im studentischen Raum. Wer heute Kontakt mit jenen Kräften und Gruppen im katholisch-studentischen Bereich hat, die eine spirituelle Dynamik entfalten, wird das Erwachen der Gemeinde in den Seelen feststellen. Die Kirche wird nicht mehr als soziologisch eindrucksvolles Gruppengebilde mit triumpha-listischer Struktur gesucht, sondern als überschaubare Brudergemeinde. Das hat nichts mit Schwärmerei zu tun. Die heutige Studentengeneration, auch im Raum der Kirche, ist konkretistisch. Sie begnügt sich nicht mit einem abstrakten oder soziologisch bestimmten Kirchenbegriff. Weil diese Generation konkretistisch denkt, sucht sie die Kirche, die sich als Gemeinde darstellt, sie als Gemeinde in Anspruch nimmt und in der Gemeinde tätig werden läßt.

Wie sich viele Kollegen der im kirchlichen Raum engagierten Studenten nicht mehr mit Ideologien abfinden wollen, so gibt sich auch der katholische Student nicht mehr zufrieden mit dem bloßen Religionsunterricht oder mit einer katholischen Jugendarbeit, die keine Ansätze zur Gemeindebildung aufweist und nicht zum Leben in der christlichen Gemeinde hinführt. Ein Christentum, das sich als ein bloßes Lehrsystem mit Noten, Prüfungen und Buchwissen gebärdet und im Sinn des „humanistischen“ Denkens als ein Mittel zur Persönlichkeitsbildung offeriert wird, verliert jede Anziehungskraft auf die jungen Leute. Es ist. für die Kirche kein Vorteil, wenn sie beim Religionsunterricht stehenbleibt, keine missionarische Seelsorge entwickelt und die freie Jugendarbeit im studentischen Raum mehr oder weniger dem Ermessen der Religionsprofessoren überläßt, statt diese in eine pastorale „Gesamtstrategie“ und in eine missionarische Konzeption einzubauen.

Es ist notwendig, über die Seelsorge, die der Angelpunkt der christlichen Gemeindebildung ist. die Einheit vom Religionsunterricht und freier kirchlicher Studentenarbeit herzustellen. Sie dürfen auf keinen Fall nebeneinander existieren. Freilich ergeben sich hier große Schwierigkeiten, weil der Religionsprofessor zuerst eine Unterrichtsfunktion zu erfüllen hat und dabei vielfach so ausgelastet ist, daß er schwer Zeit findet, sich mit der Gemeindebildung zu beschäftigen und intensiv in die freie Jugendarbeit einzusteigen. Aber das Anliegen ist da und muß gesehen werden, weil die augenblicklichen Verhältnisse dazu beitragen, daß die Kirche die gegebenen Chancen nicht nützen und ihrer missionarischen Aufgabe nicht nachkommen kann. Diese Meinung teilen alle Religionsprofessoren, die sich über die religiösen Verhältnisse an den höheren Schulen keine .'Illusionen machen.

Nicht nur von den Religionsprofessoren, sondern auch von den Studenten selbst, die in katholischen Studentenorganisationen stehen, ist ein Umdenken erforderlich. Die jungen Leute sind — wie man beim Führerkongreß der KSJ in St. Pölten erfahren konnte — nüchtern und selbstkritisch genug, um zu erkennen, daß die gewandelte Situation in Kirche, Welt und Schulmilieu von ihnen persönlich und von ihrer Bewegung ein Umdenken verlangt. Im Sinn dieser Erkenntnis wollen die jungen Studenten der KSJ ihre Gemeinschaft nicht primär als Sammelbewegung nach der Ideologie der Jugendbewegung sehen, sondern als einen Dienst an der Kirche, der darin gipfelt, kleine Gemeinden aufzubauen, die die Kirche in der Welt der Schule darstellen und verlebendigen. Ihr Denken hat sich von romantischen Kategorien befreit und kreist um die Sorge, die Kirche in der Welt der Schule präsent, sichtbar und wahrnehmbar zu machen. Weil der junge Mensch der Gegenwart eine konkretistisohe Mentalität besitzt, kann man von ihm den Dienst an der Gemeinde und die Erfüllung des Weltauftrages des Christen im Schulmilieu erwarten. Das zeigte sich bei den Diskussionen beim Führerkongreß in St. Pölten im September letzten Jahres bei der Gestaltung des Wortgottesdienstes und der Eucharistiefeier. Wer am Kongreß teilgenommen hat, konnte selbst Zeuge des liturgischen Eifers und der liturgischen Spiritualität sein, die in dieser Bewegung entfaltet werden. Ohne Übertreibung gehört die KSJ/Ö zu den bedeutendsten Pflegestätten des Geistes und des Wollens der Liturgiereform in Österreich. Grazer und Wiener Theologen wie auch Hochschüler sind die Pioniere der liturgischen biblischen Dynamik und schöpferischen Gestaltungsfreude.

In der Tat ist die Kirche in der Gegenwart nur dort glaubhaft, wo sie selbst die Voraussetzungen für eine Gemeindebildung schafft und der Jugend die Chancen gibt, nicht nur religiöses Wissen zu erwerben,sondern sich in einer Gemeinde in das christliche Leben in Kirche und Welt einüben zu können. Eine organisierte katholische Studentengruppe kann nur dann wahrhaftig Christen bilden, die christliche Erziehungsaufgabe konstruktiv bewältigen und ihre Mitglieder zum Apo-stolat im Schulmilieu hinführen, wenn sie sich nicht mit einer gelegentlichen Unterweisung begnügt, sondern selbst zur Gemeinde wird und Geborgenheit und Brüderlichkeit bietet.

Der junge Student ist ohne Anschluß an eine christliche Gemeinde. Man würde den Religionsunterricht einfach überfordern, wollte man von ihm diese Integration erwarten. Wenn noch dazu der Student, wie das häufig der Fall ist, aus einer religiös gleichgültigen oder abgestandenen Familie kommt und neuen Kontakt mit Christus und der Kirche sucht, braucht er eine christliche Gemeinde, soll der neuerworbene Glaube keine vorübergehende Episode werden. Man muß aber auch realistisch genug sein, um zu erkennen, daß eine christliche Gemeindebildung an der höheren Schule nur dann möglich ist, wenn ein Seelsorger da ist mit ekklesiolo-gischen Impulsen und eine von ihm geförderte und „beseelte“ freie Studentenarbeit.

Im allgemeinen muß die Kirche den jungen Studenten, wenn er einmal 16 Jahre alt ist, heute ernst nehmen und darf ihn nicht als „Schüler“ betrachten. Vor allem gilt dies für jene, die über die Kirche nachdenken, sich für die Kirche einsetzen und von ihr in Anspruch genommen werden wollen. Sonst besteht die Gefahr, daß sich Ressentiments bilden, die die Studenten von der Kirche wegführen.

Tritt der Priester den Studenten nur als Religionslehrer gegenüber, sind die Studenten leicht dazu geneigt, diesen als „Funktionär einer Ideologie“ einzuschätzen. Steht ei aber vor ihnen als Seelsorger, kann er sie in das Vertrauen zur Kirche einbeziehen. Das Vertrauen zui Kirche ist in der pluralistischen Schule eine wichtige Voraussetzung für das Engagement des Studenten Der veranstaltete Religionsunterricht vermag diese Einstimmung in das Vertrauen allein nicht zu bewerkstelligen. Dazu weiß die konkretistisohe Jugend genau, daß das Christsein nicht im Wissen, das ihi aus dem Unterricht zukommt, verwirklicht wird, sondern in der Gemeinde mitten in der Welt. Der Unterricht kann nur die Aufgaben erkennen lassen, ihre Verwirklichung wird aber nur in der christlichen Gemeinde geschehen. Darum müssen Religionsunterricht und Gemeindebildung an der höheren Schule eine Sorge der Kirche sein.

Die Gemeindebildung bleibt daher eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche in der Welt der höheren Schule. Sie erfordern den personalen Einsatz des Religionslehrers wie auch aktive und gemeindewillige Studenten, die sich aus allen katholischen Studentenorganisationen zusammentun müssen. Es kann sich dabei nioht um eine ghettohafte Gemeinde handeln, sondern nur um eine missionarische, die allen Studenten der Oberstufe zugänglich ist und für die die christliche Freiheit konstitutiv ist. Die Gemeindebildung wäre eine legitime und fruchtbare Ergänzung zum Religionsunterricht im Dienste der Aktivierung der Studenten und zum Segen der Kirche.

Unbändig und ungeduldig verlangen die Studenten — wie man beim Führerkongreß in St. Pölten in Gesprächen erfahren konnte — nach Priestern, die sie in das Selbstverständnis der Kirche im Sinn der neuen Theologie und des Konzils einführen und mit ihnen die Kirche in der höheren Schule präsent machen. Mit Hilfe aufgeschlossener Priester wollen sie den von der Zeit geforderten Dienst an der Kirche vollziehen. Der Student von heute sucht die christliche Gemeinde und folgt damit einer psychologischen Disposition der modernen Jugend, die, wie Professor Schasching einmal sagte, nach einer ..geheimen Gemeinde“ verlangt. Für das Apostolat im studentischen Milieu ist der Kairos gegeben. Diesen Kairos dürfen wir nicht ungenützt verstreichen lassen.

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