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Das Experiment

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Seit Jahr und Tag wird, oft unterbrochen, überspült vom politischen und wirtschaftlichen Wellengang, in fachlichen Bereichen, aber auch schon auf höherer und höchster staatlicher Ebene um die Schaffung eines modernen Schulgesetzes gerungen. Wohl auf keinem Gebiet ist die Koalition schwerer zu halten als auf dem der Schulpolitik. Als mächtiger Schatten liegt hier über allen Schwierigkeiten ideologischer Art die Schulreform der Ersten Republik mit all ihrer Problematik. Zu viel wurde damals in den zwanziger Jahren preisgegeben und zerschlagen — die soliden Fundamente der fünf-klassigen Volksschule und der Bürgerschule etwa —, ; ohne daß Gleichwertiges, wie sich gerade heute herausstellt, gesetzt wurde. Die Klagen über mangelnde Reife der austretenden Volksschüler für den gefächerten Unterricht, die Beschwerden über die Benachteiligung, ja Schädigung der Abgänger der zweiten Klassenzüge der Hauptschulen sind über Partei- und Standesgrenzen hinweg heute in ganz Oesterreich aktuell.

Nun soll, wie sich in den Schulgesetzverhand- Jungen herausgestellt hat, auch die Lehrerbildung der „Reform“ ausgeliefert und damit der österreichische Pflichtschullehrer in seiner bisherigen Gestalt abgelöst werden.

Nachdem erkannt wurde, daß die Frage der Lehrerbildung der Angelpunkt jeder Einigung über ein Schulgesetz darstellt, wurde nach einer Formel gesucht, die im Kompromißweg die gegnerischen Standpunkte — hier ganzheitliche Ausbildung, dort kurze akademische, ja hochschulmäßige Schulung — überbrücken könnte. Dabei kam man zur Konstruktion eines sechsjährigen Bildungsganges, der aus einer vierjährigen Zubringerschule, einer Art pädagogischen Obermittelschule, und einer zweijährigen pädagogischen Akademie bestehen soll.

Gegen diesen Plan, der als schwerer Grenzeinbruch in die Linie der katholischen Lehrerschaft empfunden wurde, erhoben sich ernste Bedenken seitens der Fachleute, vor allem der Lehrerbildner. Sie wiesen darauf hin, daß die Schüler der pädagogischen Obermittelschule durch die Verpflichtung, in vier Jahren eine vollgültige Reifeprüfung abzulegen, entschieden überfordert würden. Vor allem Abgänger von Hauptschuleri und achtklassigen Landvolksschulen stünden vor fast unüberwindlichen Hindernissen. Gerade aus diesen Bereichen stammte bisher jedoch ein großer Teil unserer bestqualifizierten Lehrer. Ohne die Ansprüche in geistiger, intellektueller Hinsicht einschränken zu wollen, darf eben nicht übersehen werden, daß die wünschenswerte Lehrerpersönlichkeit noch mancherlei Ansprüchen musischer, technischer, vor allem aber pädagogischer Art gerecht werden muß. Das Reservoir der allgemeinbildenden Mittelschule erscheint demnach als Auslesestätte für den rechten Lehrernachwuchs nicht umfassend genug; die technische Ausschaltung der anderen mittleren Bildungsstätten käme somit einer negativen. Auslese gleich. Darüber hinaus wurden auch Bedenken laut, ' daß bei diesem vierjährigen Bildungsgang die spezifisch berufsbildenden Momente — Kontakt mit Kindern an Uebungs-Tolks- und -hauptschulen. Vertiefung des Lehrstoffes, in pädagogischer Hinsicht, Unterricht in besonderen berufskundlichen Fächern — stark ins Hintertreffen geraten, ja praktisch überhaupt untergehen würden, wodurch aber eine wesentliche Voraussetzung der Lehrerbildung zu kurz käme.

Trotz dieser düsteren Aussichten kam es doch zti allseitiger Zustimmung des Plans, da einerseits die LInumgänglichkeit eines Kompromisses eingesehen wurde, anderseits die Hoffnung bestand, durch besonderen Eifer und durch das Geschick der Leiter und Lehrer an den künftigen Anstalten alle positiven Werte soweit als möglich zu retten.

Entschieden über ein noch erträgliches Kompromiß hinaus ging jedoch die weitere Konzeption, die beiden Bildungsstätten unter verschiedene Leitung zu stellen und dadurch Rumpfanstalten zu schaffen, die in ihrem Bildungsstreben naturgemäß auseinanderklaffen und die überaus notwendige Einheitlichkeit illusorisch machen würden. Durch Einströmen von Abiturienten aus den allgemeinbildenden Mittelschulen in die zweijährige Akademie, durch mehr oder minder gelenkte Schrumpfungsprozesse im Unterbau könnte schließlich aus einer angestrebten sechsjährigen Lehrerbildung eine zweijährige werden, was eine unerhörte Verschlechterung des gegenwärtigen Zustandes des bewährten fünfjährigen einheitlichen Bildungsganges bedeuten würde.

Die Bedenken und Proteste, die sofort gegen den Plan erhoben wurden, hat man nun abermals im Kompromißwege zu überwinden versucht und die Möglichkeit einer einheitlichen Leitung den einzelnen Bundesländern freigestellt. Diese • Möglichkeit wurde als „Kann-Bestimmung“ in die Debatte geworfen und ist bisher sozusagen der dernier cri auf schulpolitischem Gebiet.

Sie ist freilich in keiner Weise geeignet, die grundsätzlichen Bedenken zu überwinden, die gegen die Teilung der Leitung überhaupt bestehen. Im Grunde handelt es sich auch gar nicht um ein echtes Kompromiß, sondern um eine Manipulation, die ein einseitiges Ueber-gewicht unter den Verhandlungspartnern schafft, ohne daß es der andere allzusehr merken soll.

Als starkes Argument wird gegen diese „Kann-Bestimmung“ vorgebracht, daß sie geeignet ist, die Einheitlichkeit des österreichischen Schulwesens zu gefährden, da sich die einzelnen Bundesländer in der Organisation der Lehrerbildung nicht mehr konform verhalten würden. Zweifellos würden dadurch auch weitere politische Akzente im Schulbereich gesetzt, was weder den Interessen noch den wahren Intentionen der Oeffentlichkeit entspräche. Nicht zuletzt käme es zur Degradierung der bisherigen österreichischen Lehrerbildung zum pädagogisch-politischen Experimentierfeld — und damit zur tödlichen Bedrohung des österreichischen Lehrerideals, dem ein maßvoller, wohlüberlegter und erprobter Bildungsgang bislang gedient hat.

Es wäre also unbillig, zu erwarten, daß die „Kann-Bestimmung“ vom fachlichen Standpunkt her als annehmbarer Ausweg aus der Sackgasse, in der die Schulverhandlungen vor den Wahlen gelandet sind, gewertet werden könnte. Auch vom Blickpunkt des standesbewußten katholischen Lehrers aus ist er wegen der Problematik .für die Schule, damit aber für Jugend und Vaterland unannehmbar. Nur derjenige, der es als wünschenswert erachten könnte, den österreichischen Lehrer, wie er seit Generationen den Menschen unserer Heimat zu formen hilft, abzuschaffen und dafür einen gänzlich; neuen Typ zu kreieren, dürfte für die bedenklichen .Wege stimmen, die hier gegangen werden sollen. Nach Me'nung der Einsichtigen und Gutgesinnten aber kann die Lösung nur dann gefunden werden, v/irm die endgültige Gestalt der österreichischen Lehrerbildung nicht in Experimenten, nicht in radikalem und problematischem Umbau, sondern im organischen Ausbau des' Bestehtnden gesucht wird.

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