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Das Familienproletariat

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Der Eifer, mit dem man die Familien mit unversorgten Kindern nach 1945 zu entlasten versucht hat, ist jedoch bald erkaltet.’ Von einzelnen Erhöhungen der Kinderbeihilfen in Stufen abgesehen, bis zur Groteske der Brotbeihilfe von fünf Schilling, wurde die Familienpolitik auf einem Stand der Wohlfahrtsgesellschaft von gestern verewigt. Von wachsenden Familienzulagen nach der Art der Pensionen ist kaum die Rede. Die Familienväter sind eben keine politisch interessante Großgruppe — Grund genug, um die Familien oft und nunmehr allzuoft mit wohlwollenden Worten und Gesten statt mit Geld zu bedenken. Die Unterstützung der Familien ist übrigens von allem Anfang an wirklichkeitsfern gewesen. So nahm man bei der Festsetzung der Beihilfen davon keine Notiz, daß die Kosten der Erhaltung der Kinder nicht durch die ganze Versorgungszeit gleich hoch bleiben, sondern sowohl mit dem Alter als auch mit der sehr unterschiedlichen beruflichen oder schulischen Ausbildung steigen. Die Kosten der Erhaltung eines dreijährigen Kindes und eines neunzehnjährigen Schülers sind keineswegs gleich hoch.

„Verlängert” — für die Eltern

Die Proletarisierung der Familie verstärkt sich nun in den letzten Jahren und ist durch den Gesetzgeber geradezu für die Zukunft festgelegt worden:

Die Pfiichtschulzeit wurde um ein, volles Jahr verlängert. Das bedeutet längere Versorgungspflicht der Eltern, die nach wie vor den Haüptteil der Kosten tragen und, wenn wir uns zu einer sogenannten freiheitlichen Gesellschaftsordnung bekennen wollen, auch tragen müssen. Niemand denkt daran, sämtliche Kinder schon vor ihrer Geburt an zu Pflegekindern des Staates zu machen.

Die Präsenzdienstpflicht für die jungen Männer ist zwar anscheinend für die Eltern aufwandsneutral, verzögert aber zumindest bei Studenten den Studienbeginn.

• Die allgemeinbildenden höheren Lehranstalten und die Handelsakademien haben nunmehr die Studiendauer um ein Jahr verlängert.

• Auch das Studium an den Hochschulen mußte wegen der erhöhten Anforderungen an die Akademiker für so gut wie alle Studienrichtungen erheblich verlängert werden.

Das deutsche Beispiel

Oberflächlich gerechnet, ist bei Burschen, die an einer Hochschule studieren, in den letzten Jahren die Sorgepflicht der Eltern um etwa drei bis vier Jahre, jene bei studierenden Mädchen um zwei bis drei Jahre verlängert worden.

In Deutschland wird derzeit, angeregt durch den CDU-Abgeordneten Dr. Dichgans, darüber diskutiert, daß an manchen Universitäten die Studenten ihr Studium normal kaum vor dem 30. Lebensjahr beenden können.

Vorschläge zur Besserung

Die Entwicklung zwischen Lastenausgleich durch Kinderbeihilfen und den tatsächlichen Familienlasten, die mit den allgemeinen Wohlfahrtschancen ansteigen, ist nicht proportional. Daher bedürfte es einiger Anpassungsmaßnahmen, sowohl in der Höhe der Zuwendungen als auch hinsichtlich der Dauer ihrer Gewährung.

1. Die Kinderermäßigung gemäß § 32 EStG, die den Eltern derzeit höchstens bis zum 25. Lebensjahr des in Ausbildung stehenden Kindes zustehti’ Sollte um einige Jahre, etwa bis ium 28.,’ wenn nicht bis zum 30. Lebensjahr, verlängert werden. Ähnlich müßte bei den Waisen verfahren werden (§ 32, 2 c, EStG).

Hier könnte eingewendet werden, daß die Eltern jener studierenden Kinder, die das 25. Lebensjahr überschritten haben, einen Antrag nach § 33 EStG einbringen können (außergewöhnliche Belastung). Dieser § 33 bietet jedoch in Wirklichkeit so gut wie keine Möglichkeit für eine auch nur halbwegs angemessene Abgeltung der Studienkosten, da die sogenannte „zumutbare Belastungsgrenze” die Familienerhalter zwingt, einen ganz erheblichen Teil der Aufwendungen vorweg selbst zu tragen. Zumindest müßte also diese Grenze des Kostenselbstbehaltes für Familienväter herabgesetzt werden.

2. Die Kinderbeihilfen sollten ähnlich wie anderswo nach dem tatsächlichen Bedarf ausgerichtet werden. In den Niederlanden werden die Eltern jener Kinder, die mit 16 Jahren noch studieren, bei der Kinderermäßigung besonders berücksichtigt. Studieren Kinder auswärts, gibt es bei uns die Möglichkeiten des schon erwähnten, nur bedingt wirksamen § 33, während in den Niederlanden sowohl die Kinderermäßigung als auch das Kindergeld erhöht werden.

Der geradezu peinlichen Großzügigkeit, mit der amtlicherseits und zur Gänze auf Kosten der Steuerträger der Auto- und ebenso der leidige Repräsentationsluxus begünstigt, wenn nicht sogar gefördert werden, entspricht in keiner Weise eine auch nur ähnliche Großzügigkeit bei Behandlung der Familien. Dabei geht es bei den Familien keineswegs um die Sicherung von Luxus und Konform, sondern um die Teilnahme an den bescheidensten Errungenschaften der Wohlfahrtsgesellschaft. Wenn man aber der Familie nur eine Brotbeihilfe geben will, dann reichen freilich die bisher gewährten „Geschenke” völlig aus.

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