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Das Geschlechterproblem in der Schule

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In der letzten Zeit konnte in Wien mehrfach beobachtet werden, daß in Volksschulen und in einem guten Teil der Haupt-•chulen vom Wiener Stadtschulrat stillschweigend, ohne Deckung durch das Gesetz und gegen diesei, die Koedukation eingeführt wurde. Der dergestalt geschaffene Zustand kann nicht ohne Widerspruch hingenommen werden. Die .österreichische Furche“ hält es für ihre Pflicht, der Öffentlichkeit deshalb erneut dieses für die Erziehung unserer jungen Generation schwerwiegende Problem in seiner ganzen Tragweite vorzustellen. Wir geben deshalb hier einem e r-fahrenen pädagogischen Fachmann das Wort.

„Die österreichische Furche“

' Das gegenwärtige Ringen nach Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit der Mädchenbildung stößt das Thema Koedukation fast ins Zentrum pädagogischer Besinnung. Kaum übersehbar ist die einschlägige Literatur. Bereits der 1913 abgehaltene Dritte Deutsche Kongreß für Jugendbildung und Jugendkunde hatte sich die Behandlung des Problems zur Aufgabe gesetzt. Beide Gesichtspunkte — Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit — haben namhafte Psychologen und Pädagogen als ihre Verfechter; beide schöpfen ihr Ideengut aus der Wissenschaft. Das entscheidende Wort hat hier die Weltanschauung. Als mächtiger Fürsprecher der gemeinsamen Schulerziehung tritt seit den Umsturztagen nach dem ersten Weltkrieg die Sozialistische Partei auf.

Das Ziel der koedukativen wie der geschlechtertrennenden Schulerziehung ist die Heranbildung eines klaren und starken, zu einem festen Bestandteil des Charakters gewordenen Bewußtseins von der besonderen Art schwerer Verantwortung, die der Mensch für jedes Wesen des anderen Geschlechts zu tragen hat. Die Freunde der Koedukation glauben, dieses Ziel am besten in einer Gemeinschaft zu erreichen, in der Knaben und Mädchen in echter Kameradschaftlichkeit, beraten durch gereifte Männer und Frauen, sich mit den Problemen der Erotik und des Zusammenlebens ernst und gewissenhaft auseinandersetzen. Die getrennte Erziehung will die Geschlechter in ihrer P o-1 a r i t ä t erhalten, damit sie unverwischt und naturhaft stark und gesund aufeinander wirken können, sobald dazu die Zeit ihrer Vereinigung in der Ehe gekommen ist. ,(.

Im Vordergrund steht die Untersuchung der Unterschiede der beiden Geschlechter. Sind neben den physischen Unterschieden auch psychische vorhanden, so möchte man gerne fragen, ob sie so differenziert sind, daß ein getrennter oder ein gemeinsamer Schulunterricht den jungen Menschen förderlicher sei. Die Ergebnisse aller Forschungen konvergieren auf den gemeinsamen Punkt: Es gibt naturhafte Verschiedenheiten in der Psyche von männlichen und weiblichen Menschenkindern. Alle psychologischen Untersuchungen zeigen, daß man den Unterschied der Geschlechter nicht als Rangordnung hinstellen kann, aber daß innerhalb der Variationsbreite die psychischen Verhaltensweisen doch ganz eindeutig sich unterscheiden. L. Hübsch und K. Reininger (Zur Psychologie des Kinderspiels ... 1931) haben schon im frühen Kindesalter geschlechtsgebundene psychische Unterschiede festgestellt; vom Beginn der Pubertät an treten sie stärker in Erscheinung; vor allem im verschiedenen Entwicklungsrhythmus. Krogh-Jensen hat die Untersuchungen W. Sterns weitergeführt und stellte fest:

Das Mädchen durchläuft seine Entwicklung in 18 Jahren, während der Jüngling 24 Jahre braucht; physiologisch sind daher Knaben und Mädchen auf keiner Stufe gleichaltrig.

Die weibliche Pubertät geht schneller und in durchgreifenderer Art vor sich.

Die männliche Pubertät und Nachpubertät verläuft ohne besondere physiologische Störungen; beim Mädchen bedeutet die Menstruation eine regelmäßige physiologische Schwankung.

Th. A. Walter beweist sehr klar, daß die Differenzierungen höchst wertvoll und notwendig für ein vollendetes Menschentum sind. Die Natur hat in feinster Teleo-logie die Geschlechtsunterschiede in physischer und psychischer Hinsicht unter die Menschen verteilt; sie zu pflegen und zu gesunder Entfaltung zu bringen, ist Teilaufgabe der Erziehung. Die Entwicklung ist nach katholischer Weltanschauung gefährdet, wenn Kinder beiderlei Geschlechts immer, besonders in der Pubertät, miteinander leben; daher lehnt die katholische Kirche die Koedukation ab. Die Erziehungsenzyklika des Papstes Pius XI. spricht sich klar aus. Der Katholizismus vertritt die Überzeugung von der gottgewollten Verschiedenheit der Geschlechter und ihrer verschiedenen Aufgaben im Schöpfungsplan. Mann und Frau sollen sich gegenseitig ergänzen, bereichern und beglücken. Die typischen Unterschiede müssen ausgeprägt bleiben und dürfen durch die koedukative Schule nicht verwischt werden. Die Kirche kämpft mit dieser Einstellung für das wahre Wesen und das Glück der Frau.

Gerne weisen die Koedukationsfreunde auf das Vorbild der Familie hin, in der die Kinder auch mit den andersgeschlechtlichen Geschwistern zusammenleben. Alle Eltern wissen von dem unendlichen Reichtum menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten, die dem Aufeinanderwirken ihrer Kinder verschiedenen Geschlechts entströmt. Sie halten aber auch sorgsam alles fern, was das ungetrübte Beisammensein stören könnte; hiebei werden sie glücklich unterstützt von der meist vorhandenen Altersdifferenz und vor allem von dem Bande des gleichen Blutes. Das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie, die erheblich geringere Kinderzahl und viele andere Komponenten werden es leider nie ermöglichen, die Schule als Abbild der Familie zu gestalten.

Eines ist sicher: Der Jugendliche braucht zu seiner harmonischen Entwicklung die Auseinandersetzungen mit dem andern Geschlecht; er findet sie aber selbst bei Spiel, Beschäftigung und Arbeit. Die Zusammenführung in der Koedukationsschule ist ein erzwungener und dabei unnötiger Akt; man überlasse die an sich nötige Berührung mit dem andern Geschlecht dem Bedürfnis des Kindes und dem Willen der Eltern.

Die Koeduktationsfreunde meinen, daß die Planke, welche in der Schule die Kinder trennt, die sexuelle Neugier aufstachle. In der Gemeinsamkeit täglicher Arbeit, in der Ausgelassenheit des Spieles, in der Bindung gemeinsamer Erlebnisse, durch das Sichkennenlernen und durch das Bewußtsein von Fehlern und Vorzügen werden die naturgewollten Spannungen leichter überwunden (E. Löwenberg; Koedukation 1929). G. Stanley Hall sieht in der Herabsetzung der geschlechtlichen Spannung keinen Gewinn, sondern einen Schaden, da sie, an sich nicht unsittlich, einer der feinsten und mächtigsten Faktoren ist, die zu hohem Menschentum führen. Die eingeschlechtliche Schule schafft einen gewissen Abstand vom andern Geschlecht; daraus entsprießen die Scheu und die Ehrfurcht voreinander, die schließlich bewahrend und behütend wirken.

Wenn die Schule ein Abbild des Berufslebens sein soll, dann finden sich allerdings viele Gründe für die Koedukation. In den politischen, sozialen, beruflichen Gemeinschaften leben Frau und Mann gleichwertig beisammen, wenigstens theoretisch. Die Vorbereitung auf den Beruf muß freilich für beide Geschlechter gleichwertig erfolgen, damit sie die gleichen Voraussetzungen für einen gesunden Existenzkampf und für wertvolle Konkurrenz haben. Die Bedenken gegen eine gemeinsame Berufsausbildung werden um so schwächer, je älter die Schüler sind und je stärker Lehrer, Schüler und Lehrgut vom Berufsethos durchdrungen sind.

Die Koedukation könnte den Kindern die Möglichkeit bieten, das andere Geschlecht als gleichwertige Menschen kennen, achten und lieben zu lernen, wenn sie von restlos verantwortungsbewußten männlichen und weiblichen Lehrkräften geführt werden, die ihren Beruf nicht nur ernst nehmen, sondern, sich aufopfernd, in ihm vollkommen aufgehen. Wird der Dienst jedoch bloß vorschriftsmäßig ausgeübt, dann werden alle Mängel unreparabel.

In den Ländern, welche die Koedukation eingeführt haben, werden ernste Gegenstimmen laut. Rußland hat die seit 1918 eingeführteKoedukationwie der aufgehoben. Der sowjeti russische Pädagoge J. M e-dynskij begründet dies als zeitgemäße Forderung, „Rücksicht zu nehmen auf die im Alter der Mittelschüler besonders stark ausgeprägten Eigenarten der Knaben und Mädchen ... auf die Notwendigkeit, in der Schule und Klasse eine möglichst gleichartige Kindergemeinschaft zu schaffen, welche die Erziehungsarbeit erleichtert“. (.Die Bildung des Volkes in der UdSSR.) Vielleicht hat bei dieser Stellungnahme die Erfahrung mitgewirkt, daß der gewiß unschuldig ungezwungene, ja sanktionierte Verkehr der Geschlechter in der Koedukationsschule nach dem 14. Lebensjahr fortgesetzt wird, dann aber die Aufsicht fehlt, so daß aus der guten Kameradschaft sich leicht bedenkliche Vertraulichkeiten entwidceln können. Die Geschlechtertrennung durch den Bestand eigener Mädchenschulen wirkt behütend; sie ist zugleich die Bürgschaft für die Pflege der besonderen weiblichen Bildungswerte. Weder Voreingenommenheit noch Ängstlichkeit ist es deshalb, wenn christliche Eltern und Erzieher einem leichtfertigen Experimentieren mit der Koedukation schwerste Bedenken entgegenstellen. Es kann für das österreichische Schulwesen nur ein Segen sein, wenn diese Frage nicht im Sinne einer Doktrin, sondern mit jenem Ernst und jenem Mut zur Wirklich k.eitssc hau behandelt wird, die um unserer so schwer gefährdeten Jugend willen dringend notwendig sind.

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