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Digital In Arbeit

Das herbeigesehnte Jobwunder

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Werden im Gesundheits- und Sozialbereich in den nächsten Jahren tatsächlich sehr viele neue Arbeitsplätze entstehen? Christoph Badelt, Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Wiener Wirtschaftsuniversität und Leiter eines Sozialmanagement-Lehrgangs, ist aus gutem Grund skeptisch.

dieFurche: Immer wieder heißt es, in den nächsten Jahren werde im Gesundheits- und Sozialbereich ein wahres Jobwunder stattfinden. Ist das eine realistische Einschätzung?

Christoph Badelt: Ich glaube, daß niemand darauf eine sichere Antwort geben kann. Ich warne allerdings vor einem Euphemismus in dieser Richtung, und zwar aus folgendem Grund: Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß es schon heute jede Menge unbefriedigter Bedürfnisse im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens gibt. Aufgrund der demografischen Entwicklungen - es gibt immer mehr ältere Menschen - wird das Maß dieser Bedürfnisse in Zukunft steigen. Das ist unbestritten. Aber man muß, auch wenn das jetzt sehr nach Volkswirtschaftslehre klingt, doch auch eines bedenken: es gibt einen großen Unterschied zwischen Bedürfnis und Nachfrage. Es reicht nicht, daß die Menschen vermehrt soziale Dienste brauchen. Die entsprechende Kaufkraft muß ebenfalls da sein, damit diese auch gekauft werden. Erst dann lassen sich die entsprechenden Jobs finanzieren.

Wie groß das Ausmaß dieser Kaufkraft in den nächsten Jahren tatsächlich sein wird, ist aber heute noch völlig offen.

dieFurche: Da sind Sie aber viel vorsichtiger als beispielsweise die Gewerkschaft der Pflegeberufe.

Badelt: Offensichtlich schaut man bei solchen Prognosen nur auf die Bedürfnisseite und nicht auf die Kaufkraftseite.

dieFurche: Was könnte denn die Kaufkraft positiv beeinflußen?

Badelt: Das Pflegegeld wird - langfristig gesehen - sicherlich auch dazu beitragen, Kaufkraft zu schaffen. Dazu hat man es ja schließlich auch ins Leben gerufen. Die Frage bleibt trotzdem offen, ob dadurch auch tatsächlich Vollzeitjobs geschaffen werden können. Möglicherweise geht die Entwicklung in den Graubereich zwischen Arbeit zu Hause, Teilzeit, geringfügige Beschäftigung und reguläre Vollzeitjobs.

Im Pflege- und Gesundheitsbereich kommen doch schon heute diese halben Beschäftigungsverhältnisse besonders oft vor. Es arbeiten beispielsweise Organisationen, wie die „Heimhilfe" oder „Essen auf Rädern", über weite Strecken mit geringfügig Beschäftigten. Nur so sind diese Angebote überhaupt finanzierbar. Aber für die meisten Menschen sind nur die Vollzeitjobs interessant.

dieFurche: Was raten Sie denen, die heute vor einer Berufsentscheidung stehen und gerne in einem dieser Bereiche arbeiten wollen?

Badelt: Ich bin überzeugt davon, daß das Hineingehen in diese sozialen Dienste auf jeden Fall, langfristig gesehen, klug ist. Auch wenn ich vor allzu rosigen Zukunftsperspektiven eingangs gewarnt habe, so bin ich doch sicher, daß die Chancen hier immer noch besser sind als in anderen Bereichen. Vor allem dann, wenn man sich zu einer qualifizierten sozialen Tätigkeit ausbilden läßt. Die beruflichen Möglichkeiten sind dann größer; besonders die, selbständig zu arbeiten.

dieFurche: Sind die derzeitigen Ausbildungsmöglichkeiten gut genug?

Badelt: Die Ausbildungsstrukturen des gesamten Sozialbereiches befinden sich derzeit in einer Umbruchphase. Das heutige System befindet sich immer noch durchwegs unterhalb der universitären Ebene. Aber es gibt eine wachsende Diskussion darüber, ob man das nicht ändern sollte. Das heißt, ob nicht auch im Pflegebereich akademische Berufe geschaffen werden sollten. Hier ist einiges in Bewegung.

dieFurche: Immer wieder wird empfohlen, sich heutzutage um eine möglichst breite Qualifikation zu kümmern

Badelt: Praktisch alle Ausbildungswege im Sozial- und Pflegebereich sind, arbeitsmarktpolitisch gesehen, sehr gut. Aber es wäre eine kluge Entscheidung, sie mit anderen Ausbildungen zu kombinieren. Ich halte beispielsweise viel davon, wenn jemand eine Ausbildung zum Sozialarbeiter und dazu auch eine wirtschaftliche Qualifikation erwirbt.

dieFurche: Viele junge Menschen meinen, soziales Engagement und wirtschaftliches Denken lassen sich nicht unter einen Hut bringen ...

Badelt: Das stimmt. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, daß die Einschätzung nachläßt, sobald diese Menschen mehr Lebens- und Berufserfahrung haben. Dann kommen sie nämlich drauf, daß dieses Schwarz-Weiß-Denken so nicht stimmt. Beide Welten - also wirtschaftliches und soziales Denken - schließen einander nicht aus.

Aber psychologisch gesehen ist es natürlich ganz klar, daß jemand mit 18 oder 20 das einfach noch nicht so sieht. Die jungen Leute sind idealistisch, möchten die Welt verbessern und wollen daher von Kompromissen mit der Wirtschaft nichts wissen.

dieFurche: Kann man in diesem Alter überhaupt eine realistische VErstellung von der Arbeit im Sozialbereich haben?

Badelt: Ich bin überzeugt davon, daß ein 18jähriger sich in Wahrheit für einen Sozialberuf noch gar nicht wirklich entscheiden kann. In diesem Alter läßt sich nur schwer abschätzen, was das dann in der Praxis und im All tag überhaupt bedeutet.

Ich meine daher: es ist zwar gut, sich eine entsprechende Ausbildung zu holen. Aber man sollte nicht davon ausgehen, daß es sich dabei um die Lebensentscheidung schlechthin handelt. Innerlich sollte deshalb auch immer noch die Bereitschaft da, sein, eventuell doch noch etwas anderes zu machen.

dieFurche: Obwohl immer wieder auf die Wichtigkeit der Sozial- und Gesundheitsberufe hingewiesen wird, lassen Prestige und Bezahlung noch sehr zu wünschen übrig.

Badelt: Die Bezahlung ist heute wesentlich besser geworden. Es gibt allerdings ein anderes Problem, nämlich die ungünstigen Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit mit dem Privatleben.

Aber insgesamt gesehen teile ich Ihre Einschätzung, daß das Prestige der Sozialberufe wesentlich kleiner ist als ihre Notwendigkeit. Auch das ist mit ein Grund, weshalb es gut wäre, das Ausbildungsniveau dieser Berufe deutlich anzuheben. Die angelsächsischen Länder könnten ein Vorbild sein. Aber das ist eine bildungspolitische Frage.

dieFurche: Wie schätzen Sie die Chancen im Gesundheitsbereich ein?

Badelt: Hier gilt dasselbe wie für die Sozialberufe im engeren Sinn. Es wird ein wachsendes Bedürfnis nach Leistungen geben. Aber in welchem Ausmaß dann auch gutbezahlte Jobs finanziert werden können, hängt von der entsprechenden privaten Zahlungsbereitschaft ab. Ich glaube allerdings, daß hier die Bereitschaft höher ist als im Sozialbereich. Die Leute müssen einfach bereit sein, etwas für ihre Gesundheit zu bezahlen. Schon allein deshalb, weil das Gesundheitswesen nicht mehr finanzierbar sein wird.

dieFurche: Eine neue Chance beispielsweise für junge Arzte, hier entsprechende Dienste anzubieten?

Badelt: Ich würde meine Karten nicht lOOprozentig darauf setzen. Es wäre sehr riskant zu sagen: ich studiere Medizin und brauche später keinen Vertrag mit der Krankenkasse.

dieFurche: Sie haben darauf hingewiesen, daß es auch im Sozial- und Gesundheitsbereich zu weitaus mehr selbständigen Tätigkeiten kommen wird...

Badelt: Der Trend ist da, und eines läßt sich auch mit Sicherheit sagen: es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, daß man frisch von der Schule weg irgendwo eingestellt wird und ein sicheres Gehalt bezieht. Diese Gewißheit gibt es nicht mehr.

Aber wer sich im Sozial- und Gesundheitsbereich ausbilden läßt, hat wenigstens Qualifikationen, die es ermöglichen - wenn man gut ist —, sich die Beschäftigungsmöglichkeiten selbst zu finden.

dieFurche: Ihr Tip ßtr junge Menschen?

Badelt: Ich rate jedem, der eine innere Neigung zu einem dieser Berufe hat: Mach die Ausbildung, aber bleib offen, dir auch andere Qualifikationen zu erwerben. Dann hast du später mehr Optionen.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Teil 11 am 22. Mai 1997: Wie bewerhe ich mich richtig?

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