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Das katholische Hochschulwesen in Amerika

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Nirgends in der Welt besteht ein so ausgebreitetes und vollständiges katholisches Er- ziehungs- und Bildungssystem, wie in den Vereinigten Staaten. Selbst das Schulwesen der katholischen Kanadier und Holländer kann sich mit dem der amerikanischen Katholiken quantitativ nicht messen. Dabei ist zu beachten, daß die katholischen Schulen Amerikas keiner Pfennig staatlicher Unterstützung erhalten und der katholische Bürger der USA überdies für die Erhaltung der öffentlichen Schulen sehr kräftig besteuert wird. Das finanzielle Opfer, das der amerikanische Katholik bringt, ist sehr beträchtlich; trotz der beispiellosen Freigebigkeit der Katholiken Amerikas wäre jedoch der kirchliche Erziehungsapparat ohne die Selbstlosigkeit und den Opfergeist einer Riesenarmee von praktisch unbezahlten Ordensleuten nicht aufrechtzuerhalten. Den Atheisten und Agnostikern auf der anderen Seite ist dieses Erziehungswesen sehr im Wege.

Um dieses System zu verstehen, muß man sich der Struktur des amerikanischen Schulwesens erinnern. Die Volksschule dauert acht Jahre (Alter 6—14 Jahren), worauf eine Art verbesserter Bürgerschule mit Realschulcharakter von vier Jahren, die sogenannte Highschool, folgt (Alter 14—18 Jahren). Diese Erziehung ist obligat. Dann schließt das College an mit weiteren vier Jahren, eine vertiefte Auflage des Obergymnasiums oder der Oberrealschule (Alter 18—22 Jahren). Am Ende dieses Studiums wird das Bakkalaureat verliehen, das zum Besuch der „Graduate Schools" befähigt, die unseren fachmännisch bildenden Universitäten entsprechen, sie verleihen den Titel des „Meisters“ schon nach einem Jahr, das Doktorat aber erst nach drei- bis vierjährigem Studium. Der Charakter dieses Schulsystems ist vom geistigen Standpunkt aus demokratisch, vom sozialen aus aristokratisch. Dies ist freilich eine Generalisierung, die den Umständen nicht völlig gerecht wird; die teueren und exklusiveren, zur überwiegenden Mehrzahl in privaten Händen befindlichen Universitäten sind im Durchschnitt auch besser und schwieriger als die minderer sozialer Qualität. Geistig höchst demokratisch ist allerdings die Volksschule und die Highschool, die wegen ihres obligaten Charakters dem intellektuellen Niveau aller Schüler angepaßt sein muß. Eine Auslese kann erst nach dem Alter von 18 Jahren stattfinden, wenn sich dann der ambitionierte Student um eine Aufnahme an eine Universität oder an ein College bewirbt. (Eine Universität besteht immer aus einem College für „undergraduate Studies"und den verschiedenen „Graduate Schools", in denen Medizin, Philosophie, Jus und in einigen Fällen auch Theologie gelehrt wird.)

Was haben nun die Katholiken getan, um eine Parallele zu diesem System aufzubauen? Die Errichtung der Volksschulen und der Highschools übernahmen zu allergrößtem Teil die Pfarren; als Lehrkräfte sind in ihnen zum guten Teile Nonnen beschäftigt. Diese Schulen werden durch die freiwilligen Kirchenbeiträge und sonntägliche Kirchensammlungen erhalten. Die Eltern zahlen zumeist kein direktes Schulgeld, von nichtkatholischen Kindern, die katholische Schulen besuchen, wird es eingehoben. Mit ihren Erziehungserfolgen sind diese Schulen den weltlichen sosehr überlegen, daß eine große Zahl von Nichtkatholiken ihre Kinder in diese Unterrichtsanstalten schickt.

Es bestehen noch lerntechnisch verbesserte, aber auch schon sozial enger umschriebene private katholische Highschools, die academies oder preparatory schools genannt werden und ähnlichen weltlichen Schulen würdig zur Seite stehen. Sie werden fast immer von Lehrorden geführt, unter denen die Benediktiner einen hervorragenden Platz einnehmen.

Die Kollegien und Universitäten werden mit einer Ausnahme alle von Orden geleitet. Die Ausnahme bildet die Pontifikate Katholische Universität von Amerika in der Bundeshauptstadt Washington, die unter der Kontrolle des amerikanischen Gesamtepiskopats steht und zum Unterschied von allen anderen katholischen Hochschulen eine theologische Fakultät besitzt. Die überwiegende Mehrheit der Priesteramtskandidaten wird daher in Seminarien erzogen. Die Lücke in dem Aufbau der übrigen katholischen Universitäten hat schon manche kritische Auseinandersetzungen veranlaßt.

Die meisten katholischen Volksschulen und Highschools werden unter Trennung der beiden Geschlechter geführt; doch wird der Unterricht auch für Knaben und selbst für junge Männer in der Regel durch Nonnen erteilt. Es gibt aber katholische Kollegien, die dem Koedukationsprinzip folgen. Die Opposition amerikanischer katholischer Erzieher gegen die Koedukation ist gering. Auch in den nichtkoedukativen katholischen Kollegien wird der gesellige Verkehr mit dem anderen Geschlecht von den Schulbehör- den in vernünftiger Weise. gefördert. Daß die Gesdilechtertrennung in vielen Colleges besteht, rührt nicht selten von dem Umstand her, daß ursprünglich diese Unterrichtsstätten ausnahmslos einen Internatscharakter hatten. Audi heute noch lebt ein gutes Viertel, vielleicht sogar ein Drittel der Collegestudenten auf dem Campus, das heißt im Komplex der College- oder Universitätsgebäude.

In den katholischen Graduate Schools ist die Trennung der Geschlechter sehr selten. Immerhin gibt es in Philadelphia eine unabhängige medizinische Fakultät, die nur weibliche Hörer hat, während die von Jesuiten geführte Georgetown-Universität selbst von ihren graduierten Schulen die Frauen ausschließt Als ich zu dieser letztgenannten Universität berufen wurde, hoffte ich, meine theologischen Studien weiterzuführen, und meiner Frau Gelegenheit zu geben, Seminarien zu besuchen. Georgetown aber, die älteste katholische Universität Amerikas, hat weder eine theologische Fakultät noch läßt sie Frauen zum Studium zu.

Für die administrative Seite der katholischen Hochschulen gelten die Worte, mit denen Harnack einen amerikanischen Universitätsprofessor Kaiser Wilhelm vorstellte: „Hier ist ein Gelehrter, der von einer Monarchie in eine Republik kommt und sich für unsere Republiken in einer Monarchie interessiert." Die „Boards of Trustees“ der weltlichen Hochschulen entsprechen in den katholischen Universitäten zumeist einem Ausschuß von Ordensmitgliedern. Diese Kuratoren ernennen auf viele Jahre hin einen „Präsidenten", der die Universität als absoluter Monarch verwaltet. Die Laienprofessoren sind lediglich Angestellte, die mit recht kurzer Frist ernannt und entlassen werden können; sie können es zum Ordinarius, sehr selten aber zum Dekan, nie zum Rektor bringen. Diese Stellen beruhen auf Ernennung und sind zeitlich unbegrenzt.

Das Niveau dieser katholischen Hochschulen? Ich würde nach zehnjähriger Praxis sagen, daß sie hoch über dem Durchschnitt stehen, sich aber nicht mit den allerbesten Privatuniversitäten des Ostens oder den zwei besten Staatsuniversitäten des Westens vergleichen lassen. Nun sind es aber fast immer die Spitzenleistungen der Universitäten, die allgemein beachtet werden — Bücher von Professoren, medizinische und physische Entdeckungen und ganz besonders die Leistungen ehemaliger Studenten. Gute Durchschnittsleistungen kommen nicht in die Zeitungen, und Amerika ist ein Land der Publizität. Ich würde es nicht wagen, die Zahl der Konversionen zu bestimmen, die auf die Siege der berühmten und bewunderten — Fußballmannschaft der Notre-Dame- Universität beruhen, aber sie geht sicherlich in die Hunderte…

Nun gibt es eine Gruppe von Katholiken, Hie nicht sehr laut ist, die aber die Ansicht vertritt, daß man auf die katholischen Volksschulen verzichten, den Religionsunterricht der Kinder bis zum 14. Lebensjahr teils durch eine Sonntagsschule, teils durch Religionsunterricht in der Freizeit der öffentlichen Schulen ersetzen, hingegen aber alle Kräfte auf die Highschools und die Universitäten konzentrieren sollte. Durch eine Abstufung des College- und Universitätsniveaus für Mehr- oder Wenigerbegabte könnten die Katholiken Amerikas mit der Zeit geistig die führende Stelle erringen. Das alte Dilemma, wie zugleich religiöse Erziehung und geistige Bildung bewältigt werden könne, würde dadurch nach der Meinung dieser Gruppe aus der Welt geschafft werden.

Dieses Dilemma existiert für Universitäten wie Harvard, Princeton oder Chicago einfach nicht. Wenn ein Student den recht hohen Anforderungen dieser Universitäten bei der Aufnahme nicht entspricht, wird er einfach abgelehnt und aufgefordert, sich zu trollen. Der katholische Collegekandidat, der nicht die nötige Eignung besitzt und dessen Aufnahme verweigert wird, wird sich dann wahrscheinlich an einer minderen weltlichen Hochschule inskribieren, und dort in ungünstiger Umgebung vielleicht bald seinen Glauben verlieren. Nun steht aber jeder katholische Orden seiner Verpflichtung dem Glaubensleben der ihm irgendwie anvertrauten Menschen nicht gleichgültig gegenüber. So wird aus höheren Gründen auch ein mittelmäßiger Kandidat behalten. Heute ist das Niveau der katholischen Hochschulen überraschend einheitlich; der enorme Unterschied, wie er zwischen den weltlichen (und auch den wenigen protestantischen) Hochschulen herrscht, ist bei ihnen unbekannt. Sie haben andere Probleme; finanziell verfügen sie nicht über die riesigen Summen der großen Privatuniversitäten und deshalb ver lieren sie häufig ihre besten Professoren, die sich in anderen Unterrichtsanstalten nicht nur bessere Gehälter, sondern auch bessere Karrieren erwarten. Sehr wenige Professoren an katholischen Universitäten haben ein Einkommen, das höher wäre, als der Lohn eines „couple“ (Köchin, Chauffeur).

Im ganzen gesehen ist die erzieherische Leistung des amerikanischen Katholizismus zu bewundern. Es kann nicht bezweifelt werden, daß seine Hochschulen noch eine große Zukunft vor sich haben. Sie haben Tausenden und aber Tausenden von jungen amerikanischen Katholiken ein sehr gediegenes geistiges Rüstzeug gegeben. Als ein Ergebnis dieser Bildung und Erziehung hat der einigermaßen gebildete amerikanische Katholik immerhin eine geistige Schau seines Glaubens, die dem katholischen Durchschnittseuropäer häufig abgeht. Auch wir haben da eine Reihe von Dingen von dem katholischen Amerika zu lernen und nachzuholen.

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