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Das Land baut seine Schulen

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Es war wohl eine einzigartige Situation in der Geschichte des österreichischen Schulwesens, als 1945 die neue österreichische Schulaufsicht in den einzelnen Schulbezirken, besonders im Osten der Republik, den Neuaufbau des Schulwesens begann. Ohne den notdürftigsten Verwaltungsapparat — was damals an opfervoller Kleinarbeit unter den schwierigsten Verhältnissen geleistet wurde, wissen nur die zu würdigen, die damals dabei waren — und mit einer kleinen Zahl geeigneter Lehrpersonen galt es, ohne Lehrbücher, Lehrmittel und Lehrbehelfe den Schulbetrieb in den Pflichtschulen wieder aufzunehmen. Sosehr sich in der Folgezeit der Verwaltungsaufbau konsolidierte und die Personallage sich besserte, so sehr blieb ein Problem von Anbeginn stets das gleiche: die bedrohliche S c h u 1 r a u m-n o t. Die Kriegsgebiete verfügten meist über von allen notwendigen Einrichtungen entblößte Schulhäuser, in vielen Orten über mehr oder weniger schwer beschädigte Schulhäuser oder über Schulruinen. Aber selbst dort, wo die Schulhäuser erhalten blieben, bereitete eine arge Schulraumnot der Schulverwaltung große Sorgen. In den meisten Bezirken gab es seit Jahrzehnten nur noch vereinzelt Schulneubauten. Das starke Ansteigen der Schülerzahlen seit 1944 — eine Folge des starken Geburtenanstieges um den Beginn der vierziger Jahre — schuf neue Probleme, zunächst für die Volksschule, mit dem Einrücken dieser Jahrgänge in die Stufe der Zehn- bis Vierzehnjährigen in der Folgezeit auch für die Hauptschule.

Nach den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen liegen nur die Personallasten des Pflichtschulwesens beim Bund, der Sachaufwand und damit die Sorge für das Schulhaus und seine Einrichtungen aber ist grundsätzlich Sache der Gemeinden unter Beihilfe der Länder. Mit dieser Lage mußte auch 1945 gerechnet werden. Unbemerkt von der großen Öffentlichkeit, gefördert von den zentralen Stellen der Länder, im großen und ganzen aber opfervoll getragen von den Gemeinden selbst und verständnisvoll betreut von der zuständigen Schulaufsicht, setzte schon nach 1946 eine lebhafte Schulbautätigkeit auf dem Gebiete des Pflichtschulwesens ein. Wir können heute —• nachdem der Höhepunkt der Bautätigkeit auf diesem Gebiet überschritten erscheint — schon feststellen, daß seit den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten der Schulgesetze des politischen Liberalismus im vorigen Jahrhundert

, noch niemals in der österreichischen

Schulgeschichte eine so lebhafte Schulbautätigkeit zu verzeichnen war wie in den Jahren nach 1946. Nach einer vorläufigen Statistik wurden seit 1945 in den Bundesländern (von Wien abgesehen) 300 neue Schulhäuser für Volks- und Hauptschulen mit rund 1400 Klassen für etwa 40.000 Schüler errichtet, wobei hier nur echte Neubauten, keine Reparaturbauten, Zu-oder Umbauten gezählt sind. Ein einziger Tiroler Schulbezirk — der Innsbruk-ker Landbezirk — errichtete in dieser Notzeit allein 23 neue Schulhäuser, der Vorarlberger Schulbezirk B 1 u d e n z 18 neue Schulhäuser für Volks- und Hauptschulen. Von den Grenzgebieten des so schulerneuerungswilligen Burgenlandes bis zu den Hochtälern im Westen Österreichs liegen diese 300 neuen Schulbauten als von der betriebsamen Kulturreklame der großen Öffentlichkeit unbemerkte Zeugen echten, dem Volk selbst entstammenden Kulturwillens. .

Wie sehr diese Leistungen echte Gemeinschaftsleistungen des betreffenden Gemeindegebietes und seiner Talschaft sind, das bezeugen nicht zuletzt die grundlegenden Gemeindeleistungen, die besonders in den Gebirgsgegenden des Westens neben finanziellen Lasten fast immer auch Arbeitsleistungen jedes männlichen Gemeindebewohners, Hand- und Zugrobot sozusagen modernster kultureller Art und Sachleistungen in Material voraussetzten. Nirgends mit mehr Recht als hier kann die Schuleinweihungsfeier dieser Dörfer als echtes Gemeindefest begangen werden.

Das Bundesministerium für Unterricht hat in richtiger Erkenntnis der fachlichen Betreuung 1949 die Zweite österreichische Land schultagung, an der neben Verwaltungsjuristen, Architekten und Hygienikern Pädagogen und Schulfachleute teilnahmen, unter das Motto „Das neuzeitliche Landschulhaus“ gestellt. Im Sinne der nach 1945 eingeleiteten österreichischen Landschulerneuerung — über die das im österreichischen Bundesverlag 1948 erschienene Buch „Landschule und ländliche Erziehung in Österreich“ berichtet — galt es besonders die 'vorwiegende Bedeutung der pädagogischen Gesichtspunkte im Schulhausbau stärker hervorzuheben und im Zuge der Herausstellung der Eigenständigkeit der ländlichen Schule auch die eigenständige und land schaff s-gebundeneArt des neuenLand-schülhauses schon im Hinblick auf die nicht immer erfreulichen Schul-bäuten der Vergangenheit stärker zu betonen.“ Die praktischen Baulösungen, die wir in den einzelnen Bundesländern finden konnten, zeigen eine erfreuliche Übereinstimmung mit diesen theoretischen Einsichten. Das neue Schulhaus des kroatisch-burgenländischen Bauerndorfes Glitten-ba c h sieht ganz anders aus als das neue Schulhaus der oststeirischen Berggemeinde Waisen egg mit seiner Schulkapelle und seinem schmucken Lehrerhaus, und ebenso unterscheiden sich die großräumigen oberösterreichischen Schulbauten von den stark landschaftsgebundenen Tirols und Vorarlbergs, wo das Montafoner Schulhaus wieder ein anderes Gepräge zeigt als die neue Landschule im Walsertal ,

Die neuen Schulen dieses Hochtales kennzeichnet die durchaus zeitgemäße Form des neuen Landschulhauses. In fast tausend Meter Seehöhe wurde eine zweiklassige Volksschule errichtet. Einen Rundblick in das Gebirge gewährt der Schulplatz, dessen Tannenzweigzäune einen geräumigen Spielplatz, einen Schulgarten 'und ein Schulversuchsfeld umfrieden. Links über dem Eingang schmückt ein Fresko die Straßenseite des völlig im Stil der dortigen Bauernhäuser erbauten Schulhauses. Durch die nach heimischer Art gestaltete schwere Schultür gelangt man in das Stiegenhaus und in den geräumigen Vorraum. Zwischen den Klassen liegen die Kleiderablageräume; auch die Landkinder betreten nur mit Hausschuhen ihre schönen Schulklassen Moderne Schulmöbel im ländlichen Stil, an Stelle der alten Allerweltsviersitzer Tische und Stühle, neuzeitliche Buchtafeln an der Stirnwand, große Schreibflächen an der Seitenwand, eingebaute Schulkasten, Leuchtröhrenbeleuchtung und Zentralheizung, kein Podium und kein alter Lehrerkatheder, aber ein heimischer Herrgottswinkel, all das gibt ein anheimelndes Bild einer ländlichen Schul-Wohnstube. Im Kellergeschoß liegen neben den notwendigen Ablageräumen für Ski und Schlitten der weite Schulwege zurücklegenden Bergbauernkinder die Räume der Hauswirtschaftsschule und der bäuerlichen Fortbildungsschule, die Schulküche mit Speiseraum, die Schulbrausebäder und die Zentralheizungsanlage. Mit besonderem Stolz zeigt der den Schulbau betreuende Bezirksschulinspektor das erste Stockwerk: die geräumige, moderne Dreizimmerwohnung mit allen Nebenräumen für die kinderreiche Familie des Schulleiters, die zweiräumige Wohnung für die ledige Lehrerin und den Raum für die Beratungen der Gemeinde. All dies wurde geschaffen und gebaut in den Jahren nach 1948 in einer Bergbauern-gemeinde Vorarlbergs.

Im Gespräch mit dem Schulleiter und Bezirksschulinspektor kommen wir auch auf die da und dort gehörten Bedenken zu sprechen, ob nicht solche modern eingerichtete Schulhäuser mit ihrem Gegensatz zwischen neuer Schuleinrichtung und altem Bauernhaus die Landfluchtgefahr verstärken würden. Der Schulleiter ant wortet zunächst mit einem Hinweis auf moderne Lagerhäuser, Genossenschafts einrichtungen, Silos usw. der bäuerlichen Wirtschaft und erzählt dann, daß sein Familie bereits in dritter Generation als Schullehrer hier lebt. Die innere Haltung sei das Entscheidende. Wo die richtigen Lehrer und Erzieher des Landes wirken, liegt die im Sinne der österreichischen Landschulerneuerung so wichtige .Er Ziehung zum Lande“ auch im neuzeitlichen, landschaftsgebundenen Schulhaus in guten Händen. Die beachtlichen Erfolge der in der Richtung zur „dorfeigenen Schule“ arbeitenden ländlichen Versuchsschulen legen dafür ein beredtes Zeugnis ab.

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