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Digital In Arbeit

Das Leben beginnt mit Funfundsechzig

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Amerika hat zuerst die „höhere Lebenserwartung“ des Menschen in der Gegenwart entdeckt und sich mit der Frage der Verwertung der „geschenkten“ Jahre auseinandergesetzt. Zunächst wurde die Leistungsfähigkeit der reiferen Jahrgänge genau untersucht, und das Ergebnis war im wesentlichen positiv, so daß die ursprünglichen Bedenken gegen die Verwendung älterer Jahrgänge in den Betrieben zusehends abnahmen. Die Zahl der in Arbeit stehenden Frauen von 30 bis 65 Jahren und darüber ist in den USA von 1947 bis 1956 um 50 Prozent gestiegen. In den nämlichen zehn Jahren hat die Zahl der arbeitenden Frauen unter 35 Jahren nur um 5 Prozent, die der Männer unter 3 5 ürri 10 Prozent zugenommen. 1956 waren 3 5 Prozent aller arbeitenden Frauen mehr als 35 Jahre alt. Dabei ist die ganztägige Arbeit gegenüber der Halbtagsarbeit im Zunehmen. Arbeitslosigkeit ist bei den mehr als 3 5jährigen seltener als bei jeder anderen Altersgruppe. Sie betrug nur 3,2 Prozent für Frauen von mehr als 35, dagegen 9 Prozent für Frauen im Alter von 18 bis 19 und 5,6 Prozent im Alter von 20 bis 24 Jahren. Das scheint den Schluß zuzulassen, daß die jüngeren Jahrgänge im Hinblick auf spätere Verwendungsmöglichkeit daheim blieben, solange Kleinkinder zu betreuen waren, und erst später berufstätig wurden oder in ihren Beruf zurückkehrten. Diese Zahlen sind amtlich verlautbart vom U. S. Departement of Health, Education and Weifare, Washington („Aging“, IX/1957). Amerika hat also in der Frage der Altersarbeit den toten Punkt bereits überwunden und verwendet Frauen reiferen Alters in nahezu allen Berufen, während in Oesterreich ein Berufswechsel von 35 Jahren an auf große Schwierigkeiten stößt.

Zugleich aber ist Amerika an die Lösung der Lebensfrage des alternden Menschen herangetreten, wie die „geschenkten“ Jahre, die noch leer und inhaltlos sind, mit Leben erfüllt werden können. Der amerikanische Bürger, der ein braver Steuerzahler ist, hat ein Recht darauf, daß der Staat samt allen jüngeren Bürgern dafür sorgt, daß das „geschenkte“ Alter als Glück erlebt wird. Zur Forderung wurde: Health and Happiness (Gesundheit und Freude), Live long and like it (Lebe lang und freue dich des Lebens). Dazu aber braucht der Mensch nicht bloß das Einkommen aus seinem „Job“, sondern die lebensvolle, warme Fühlung mit dem Mitmenschen, Wiedereingliederung in die Gemeinschaft, „rehabilitation“. Aus dieser Forderung ergaben sich die weiteren sozialpolitischen Schöpfungen in den USA: die „Golden Age Clubs“, die Alterszentren, die der Forderung nach Geselligkeit entsprechen, der Ausbau der Erwachsenenbildung zur Altersvorbereitung schon für die Menschen im „middle age“, die Schaffung von Betreuerinnen für die hilfsbedürftigen Alten und von modernen Altersheimen — eine gewaltige Sozialarbeit, die in verhältnismäßig kurzer Zeit geleistet worden ist.

Diese großzügige soziale Altersarbeit wird seit etwa zehn Jahren durch die Arbeit der Forschungsinstitute für Gerontologie an amerikanischen Universitäten unterstützt. Am bekanntesten ist das Institut der Universität in Michigan unter Leitung von Dr. Wilma D o h a n u e. Die Forschungsergebnisse werden aber nicht bloß an den Hochschulen, sondern in der gesamten Erwachsenenbildung ausgewertet, die in den großen Betrieben der Oil Companies, General Motors usw. die gesamte arbeitende Bevölkerung erreichen. Die im mittleren Lebensalter stehenden Angestellten und Arbeiter werden dort zu Kursen eingeladen, in denen die neuen Errungenschaften bekanntgejnapht und lue Frage der Lebensgestaltung, im' Alter ejnf gehend besprochen werden. Jeder, der den Betrieb verläßt, soll bereits vor dem Retirement genau wissen, w o h i n er sich zurückzieht, w i e er sein Leben nach dem Verlassen des Betriebes einteilen wird. An diese Vorbereitungskursc schließt sich ein Netz von Bildungseinrichtungen für die aus dem Dienst Ausgeschiedenen an, die in Libraries, Klubs, Alterszentren usw. ihren Sitz haben. Man ist dort der Ueberzeugung, daß jeder Mensch neben seinem Heim, in dem er schläft und wirtschaftet, noch ein zweites Heim braucht, in dem er Freunde treffen, Bücher, Zeitschriften und Zeitungen vorfinden und durch eine andere Atmosphäre wieder Lebensauftrieb finden kann. Diese Erkenntnis hat in den gehobenen Gesellschaftsschichten zum Klub, in Oesterreich für die Mittelschichte zum Kaffeehaus und für die Bedürftigen zu den Tagesheimstätten geführt. In den USA bemüht man sich, solche Tagesheimstätten allen zugänglich zu machen, weil man sie für Stützen der geistigen Gesundheit hält. In diesen Zentren beraten nun die „senior Citizens“ selbst über ihre Lebenssituation, arbeiten an deren Verbesserung tatkräftig mit und unterbreiten ihre Vorschläge den maßgebenden Stellen. Solche Zentren sind von Michigan und Detroit bis Kalifornien verbreitet. Massachusetts hat mehr als hundert „Councils“ für die alternden Menschen, die ihre oberste Instanz in dem State Council haben. Die Councils (etwa Sozialinstitute) sind zur Beratung und Förderung bestimmt und koordinieren die Bestrebungen. Alle diese Stellen haben ihre Spitze in einer Abteilung des U. S. Departement of Health, Education and Weifare- in Washington, die auch ein Mitteilungsblatt herausgibt: „Aging.“

Aus den zahllosen Bestrebungen zur Förderung der älteren Generation können wir des beschränkten Raumes wegen nur noch zwei hervorheben: die vorbildliche Arbeit des Sekretärs der katholischen Caritas, Father Wilbur Sued-k a m p, in Detroit, der in seinen „Campus Residency Plan“ neue Wege zur Förderung der „senior Citizens“ geht, und die Uebertragung einer ursprünglich deutschen Institution, der „Golden Age Clubs“, durch den Direktor für öffentliche Wohlfahrt Oskar Schulze aus Leipzig, der im Jahre 1940 nach Cleveland flüchtete und in einem Settlement den ersten „Golden Age Club“ errichtete.

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