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Das Machbare auch tun

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Armut, wie sie im Bericht der europäischen Kirchen gegen Armut und Ausgrenzung definiert wird, könne nicht bekämpft werden, da wir kein Geld hätten. So das kurzgefaßte Resümee des Kommentars von Fridolin Koch (Furche Nr. 10, Seite 12) über den Bericht der Kirchen und ihrer Verbände an die EU-Kommission zur Armutsfrage. Koch denkt konsequent weiter. Wenn schon keine strukturellen Veränderungen möglich sind, bleibt nur der Gesinnungswandel.

Er beruft sich auf ökonomische Sachzwänge - und erliegt einer dieser Argumentation inhärenten Gefahr: dabei unökonomisch zu werden. Denn bei der Formulierung von Zielen für die europäische Integration zählt nicht zuerst die Menge des Geldes, sondern wie Prioritäten und qualitative Maßstäbe für die Verteilung der verfügbaren Finanzen gesetzt werden.

Osterreich ist das drittreichste Land der EU und dennoch liegt die Armutsgefährdung in einzelnen gesellschaftlichen Gruppen weit oben im EU-Vergleich. Ein Beispiel aus dem österreichischen Beitrag zum europäischen Kirchenbericht: Der österreichische Familienlastenausgleichs-fonds liegt an der Spitze der EU-Länder, dennoch ist die Rate armutsge-fährdeter Kinder eine der höchsten. Da stimmt offensichtlich etwas nicht mit der Verteilung. Ganz zu schweigen von den Umverteilungen von unten nach oben, etwa in den Rereichen Wohnen und Rildung.

Wie entstehen aber die Prioritäten für die Verteilung des Budgets? Nicht ökonomisch, sondern politisch. Es ist Aufgabe der Politik, lebensfeindliche Folgen falscher Prioritäten aufzuzeigen und Veränderungen einzumahnen. Die Verteilungsfrage ist Sache der Politik und nicht der Ökonomie. Auch nicht des Staates allein. Hier gilt es von seiten der Kirchen, als Teil der Öffentlichkeit, Fragen zu stellen und eigene Erfahrungen einzubringen.

Gerade in der Armutsbekämpfung bringen die Kirchen Kompetenzen ein, die sie dazu befähigen, Machbares einzufordern: Die EU-Kommission soll ihre Anti-Armutsprogramme fortsetzen können, auch gegen nationale Widerstände. Sie soll Beobachtungsstellen einrichten und zur Meinungsbildung bei den Regierungen beitragen können. Denn wer nichts über die Armut weiß, kann ihr auch nicht wirkungsvoll begegnen. Es ist eben nicht die Frage, ob alles Wünschenswerte auch machbar ist. Im Gegenteil, die Verantwortlichen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob Machbares auch gewünscht wird.

Wer Staatsverschuldung und Standortsicherang gegen Armutsbekämpfung auszuspielen versucht, macht es sich zu einfach. Da gilt es, sachliche Konflikte auszutragen, ohne „die" Ökonomie als Keule zu schwingen. Mag eine solche Argumentation manchen politisch opportun erscheinen, da sie Resitzstände absichert und Wählerstimmen der breiten Mittelschicht bringt, so verschärft sie Armut und Ausgrenzung.

Soziale Phantasie ist gefragt, jenseits der eingefahrenen Geleise der traditionellen Sozialpartnerschaft und des Lagerdenkens. Die Kirchen verstehen sich dabei als Teil einer immer bewußter agierenden Zivilgesellschaft, die zu Sachlösungen und Prioritätensetzungen zugunsten der Armen beitragen möchte. Einige Reispiele: Eine zentrale Strategie zur Finanzierung der Armutsbekämpfung wäre die höhere Besteuerung der Energie bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors Arbeit, kurz: Öko-Steuerreform; oder: die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Österreich in vergleichbarer EU- oder OECD-Höhe würde jährlich zirka 40 Milliarden einbringen, mit denen einerseits die Staatsverschuldung und andererseits die Armut bekämpft werden könnten; oder die Wertschöpfungsabgabe, für die es auch eine gemeinsame Empfehlung der christdemokratischen und der sozialdemokratischen Fraktionen des Europäischen Parlaments gibt; all das und vieles mehr (Tobin-Steuer) müßte nicht neu erfunden, sondern politisch und ökonomisch vorurteilslos diskutiert werden.

Wir dürfen eins nicht vergessen: Ein „Wirtschaftsstandort" braucht in erster Linie die Menschen, die ihn aufrechterhalten, insbesondere ihre geistigen, sozialen und kreativen Ressourcen. Deren Entfaltung setzt einen menschenwürdigen Lebensstandard voraus, dieser ist also Voraussetzung für das Funktionieren der Wirtschaft. Gerade an dem von Koch angesprochenen Standortfaktor Rildung wird diesdeutlich. Er wird zu einem immer bedeutenderen Produktionsfaktor angesichts der immer differenzierteren und ständigem Wandel unterliegenden Produktionsprozesse. Menschen, die ihr Überleben sichern müssen, können sich kaum zusätzlich um ihre Qualifikation bemühen. Hier setzen machbare Modelle - wie das dänische - an, die Arbeitszeitflexibilisierung auch arbeitnehmergerecht ausgestalten und kombinieren mit Bildungs-zeiten. Noch dazu großteils aufkommensneutral für den Staat.

Die Ausrede der leeren Kassen zählt nicht. Budgetpolitik kann Sozialpolitik nicht ersetzen. Der gesellschaftliche und demokratische Preis der Armut ist zu groß.

Auch wenn wir derzeit im EU-Vergleich noch gut dastehen. Die Probleme liegen auf dem Tisch. Armut hat strukturelle Ursachen. Die Ausmerzung vom Arbeitsmarkt wächst und das in einem System sozialer Sicherung, das bei uns in erster Linie über den Status des Versicherten am Erwerbsarbeitsmarkt definiert wird. Die demographische Entwicklung tut ihr übriges dazu. Die „relativ" guten Zahlen sollten uns Ansporn sein, dem Rad jetzt in die Speichen zu greifen.

Dies läßt sich nicht auf den Sankt -nimmerleinstag verschieben, denn: Die Europawahlen besonders, aber auch die Nationalratswahlen in Österreich zeigen eindeutig, daß die wachsende Spaltung zwischen Modernisie-rungsverliererinnen und -gewinnerinnen wahlmitentscheidend geworden ist. Spaltung der Gesellschaft aufgrund struktureller Ureachen kann entweder politisch bearbeitet oder mit Aufrüstung eines Polizeistaats und wachsender Kriminalisierung verdrängt werden; oder, was wir in Österreich deutlich erleben, Populis-men machen sich die Verärgerung derer, die ausgegrenzt werden, für eigene Interessen zunutze und rufen die Konkurrenzgesellschaft herbei: Inländer gegen Ausländer, Jung gegen Alt, Männer gegen Frauen.

Der Rat der Weisen der EU-Kommission weist darauf hin, daß die Akzeptanz für die europäische Integration von ihrer sozialen Ausgestaltung abhängt. Es ist entscheidend, ob sich Menschen nur als Produktionsfaktoren erleben oder als vollwertige Bürger eines zukunftsfähigen Europa. Europa darf keine Produktionshalle sein, sondern muß Lebensraum für seine Bürgerinnen und Bürger bleiben. Das geht nur, wenn politische Auswege aus der Armut gefunden werden und eine möglichst breite Beteiligung bei deren Umsetzung.

Mit ihrer Stellungnahme beziehen die Kirchen und ihre Verbände Caritas und Diakonie Position an der Seite der von Armut und Ausgrenzung Bedrohten. Sie lassen sich nicht mehr auf die Rolle der moralischen Ezzesgeber reduzieren, sondern wollen an Problemlösungen mitarbeiten.

Die richtige Gesinnung allein hilft da wenig. Machbares muß gewünscht und getan werden.

Michael Chalupka ist Direktor der DIAKONIE-Österreich, Markus Clatz-Schmallegger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie. Beide waren Delegierte der österreichischen Kirchen beim Konsultationsprozeß der Europäischen Kirchen und ihrer Verbände zu Armut und sozialer Ausgrenzung in Brüssel mit der Europäischen Kommission.

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