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Digital In Arbeit

„Das macht uns ein Jüngerer billiger"

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Zu teuer und zu wenig flexibel: Altere Arbeitnehmer müssen heute damit rechnen, aufgrund solcher Überlegungen einfach vor die Tür gesetzt zu werden. Erst langsam erkennen die Unternehmen, daß gerade diese Altersgruppe über unverzichtbare Kompetenzen verfügt.

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Zu teuer und zu wenig flexibel: Altere Arbeitnehmer müssen heute damit rechnen, aufgrund solcher Überlegungen einfach vor die Tür gesetzt zu werden. Erst langsam erkennen die Unternehmen, daß gerade diese Altersgruppe über unverzichtbare Kompetenzen verfügt.

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Die verschiedenen Methoden, sich teurer - und somit meist auch älterer - Mitarbeiter sanft zu entledigen, sind bekannt: Im „Ou-tplacement" unterstützt man den betroffenen Mitarbeiter durch spezifische Einzelberatung bei der Suche nach einem neuen Job.

„New Placement" klingt etwas umgänglicher - im Grunde genommen handelt es sich um das gleiche.

Schließlich kennt man „Outsour-cing": Dem Mitarbeiter wird der Start in die - mangels anderer Chancen auf dem Arbeitsmarkt - unausweichliche Selbständigkeit erleichtert, indem man ihm für eine gewisse Zeit das als Auftrag garantiert, was er bislang als Aufgabe im Haus erfüllt hat.

In den meisten Fällen will man die Betroffenen nicht mehr beschäftigen. Gäbe es sie nicht, man würde sie nicht suchen.

Anders als erwartet entwickelte sich die Personalpolitik einer englischen Supermarktkette, die „erfolgreich" alle Mitarbeiter über 50 abgebaut hatte: Es stellte sich heraus, daß Kunden die Sache ganz anders sahen, wenn es zum Beispiel um Reklamationen ging. In kritischen Situationen wird die Wichtigkeit von „sozialer Kompetenz" besonders deutlich, was vielleicht nichts anderes heißt als zuhören können, Verständnis zeigen, Zeit haben, eine Lösung finden, die nicht kurzfristige Vorteile, sondern beiderseitige Zufriedenheit bringt. Und siehe da: Die ursprünglich verstoßene Gruppe wurde umworben und (wieder) eingestellt - was sich auch werbemäßig geschickt verwerten ließ.

Dieses Beispiel soll nicht jüngeren Mitarbeitern- die Kompetenz absprechen, kritische Situationen zu meistern. Aber es zeigt, wie wenig verzichtbar Qualitäten, die durch langjährige Berufserfahrung entstehen, sind:

■ Buhe und Gelassenheit in turbulenten Situationen:

■ Erfahrung im Umgang mit Krisen;

■ soziales Wirken innerhalb und außerhalb der Organisation:

■ Umgang mit schwierigen Kunden und so weiter.

Kooperation statt Generationenkonflikt: Der Slogan eines im Herbst 1996 vorgestellten Projekts bei einer österreichischen Großbank lautet: „Altere Arbeitnehmer sind nicht weniger, aber anders leistungsfähig". Und genau das ist das stärkste Argument, das uns über den Sinn einer altersmäßigen Gleichverteilung im Arbeitsprozeß nachdenken läßt. Nicht allein die körperliche Leistungsfähigkeit verändert sich beim berufstätigen Menschen, indem sie mit zunehmendem Alter abnimmt, sondern auch die psychische Kapazität, indem sie aber bei vielen Kriterien ganz gehörig zunimmt. Ein Unternehmen, in dem eine bestimmte Altersgruppe unterrepräsentiert ist, muß eben auf die Qualitäten gerade dieser Generation verzichten. Erkennt man diese Fähigkeiten, können sie in den Nutzen der Organisation gestellt werden. Nur dann kann ein Modell eines sinnvollen „Miteinanders der Generationen" entwickelt werden, das nicht bedeutet, die einen rackern sich ab, um die Arbeitslosenbezüge der anderen sicherzustellen.

Kernpunkt des Problems: Man sieht bei älteren Mitarbeitern vorwiegend die Lohn(neben)kosten. Daher entsteht der Schluß: Das macht uns ein Jüngerer billiger! Die volkswirtschaftlichen Folgen sind hinlänglich bekannt. Die Spirale dreht sich. Bereits 40jährige gelten heute auf dem Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar.

Ein bißchen liegen die Ursachen für die heutige Situation allerdings auch bei den Betroffenen selbst: 1. „Was soll ich denn noch lernen?" Der eigene Ruf nach Fortbildung wird mit zunehmendem Lebensalter leiser bis unhörbar. Der Anteil aktiver Kursteilnehmer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sinkt in den Volkshochschulen ab 50 Jahren auf die Hälfte, (30 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung zu 15 Prozent Anteil an den Kursteilnehmern), ab 60 auf ein Drittel (20 Prozent zu sieben Prozent). Von den WIFIs hört man, daß nur 15 Prozent der Teilnehmer über 40 sind. 2. „Wir werden nicht alt": Man kann es nicht verleugnen, daß man älter wird, aber viele empfinden es nicht nur als unerfreulich, sondern geradezu als unschicklich. Aus dem vermeintlichen Ewig-Jungsein wird eine Kaninchen-Haltung vor der „Kostenkontroll-Schlange". Dabei ist weniger das Geburtdatum das Problem, sondern eher der Arbeitsstil. 1990 wurde eine Studie zum Thema „Aktive Pensionsvorbereitung in Österreich" in Auftrag gegeben. Die Suche nach Veranstaltungen zu diesem Thema blieb praktisch ergebnislos. Das Expertenteam ging daraufhin der Frage nach, ob Österreicher sich mit ihrem Älterwerden wirklich nicht befassen wollen oder warum sonst das Thema so tabu ist.

Schließlich stellten sich sozialpartnerschaftliche Interessenunterschiede in dieser Frage heraus. Die Arbeitnehmerseite wehrte sich seinerzeit gegen die Idee des Bildungsurlaubs und statt dessen wurde die fünfte Urlaubswoche ausgehandelt welch interessanter Zusammenhang.

Dabei liegen gerade im Älter- und Reiferwerden ungeahnte Chancen für den Menschen wie für die Organisation. Es bedarf (leider auch hier) eines Blicks nach Asien, wo der Mensch bekanntlich mit zunehmendem Alter einen immer höheren Stellenwert bekommt. Als „weise Gewordener" übernimmt er neue Funktionen im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge. Ältere Manager werden zum Beispiel in Japan gerne als Marketing-Promotoren eingesetzt, um jahrelang aufgebaute Beziehungen weiterzuführen. Sie erfüllen schwierige Missionen und führen heikle Gespräche als Buhepol zwischen hitzigen Expertenmeinungen usw.

Manchmal kann man in unseren Breiten beobachten, wie sich ältere Manager durch Geheimnistuerei, Informationsblockade, exklusive Beanspruchung von „wichtigen" Kontakten und ähnlichem Verhalten unentbehrlich machen wollen. Als ob das jemandem nützt. Plötzlich steht man doch allein da, steigt aus - und befindet sich in der Gefahr eines gewaltigen Pensionsschocks.

Was ist nun ein positiver Nutzen des Älterwerdens im Arbeitsprozeß?

■ Die gezielte Befassung mit der nach -sten (und übernächsten!) Generation öffnet zusätzliche Perspektiven und fördert das Kooperationsklima.

■ Der Erfahrungsvorsprung wird sinnvoll genutzt und unterstreicht die positive Bolle des „Seniors". Es fördert die Kommunikation zwischen den Generationen.

■ Es bleibt mehr Zeit, sich mit Dingen zu beschäftigen, für die man in den Jahren des „Täglich-an-der-Front-sein-Müssens" mit intensiver Beisetätigkeit ohnehin keine Zeit hatte.

■ Plötzlich wird man gerne um Rat gefragt - und muß ihn nicht mehr un -gefragt äußern, wenn er gar nicht gewollt wird.

3. Die Sache mit der Gehaltskurve: In vielen Fällen sind die „großen Ausgaben des Lebens" mit 50 bewältigt. Die Eigentumswohnung ist abgezahlt, die Kinder stehen auf eigenen Beinen, die Freizeitaktivitäten sind vielleicht weniger spektakulär. Dennoch steigt das Gehalt entlang einer anscheinend unbeirrbar verteidigten Linie kontinuierlich weiter und erschwert die Position älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. Dieser Teilaspekt ist zwar häufig diskutiert worden, eine Veränderung ist noch nicht in Sicht.

Zugegeben, es ist für Politiker sicher schwierig, geeignete Maßnahmen zu erfinden, um dem Übel bei-zukommen.

Die vom kürzlich ausgeschiedenen Sozialminister erfundene Ausgleichszahlung bei Kündigung älterer Arbeitnehmer kann aus mehreren Gründen aber nicht der Weisheit letzter Schluß sein.

■ Über ein „Pönale" von im äußersten Fall 70.000 Schilling wird sich jedes Unternehmen hinwegtrösten, wenn dafür Personalkosten von mehreren 100.000 Schilling in den Folgejahren wegfallen.

■ Derartige Gesetze wirken immer nur über die Negativmotivation „Vergehen versus Strafe". (Ich mache mich gegenüber dem System ein bis-serl schuldig, kann das aber über eine vereinbarte Gegenleistung sofort wieder gutmachen.)

■ Solche Bestimmungen bewirken häufig das Gegenteil: Die schützenswerte Gruppe wird durch die Schutzbestimmungen erst recht vom Arbeitsprozeß ausgeschlossen.

Anders ist die Situation bei Umweltvergehen: Ein Ölmulti, der sich der Meeresverschmutzung schuldig gemacht hat, muß mit heftigen Reaktionen der Öffentlichkeit, Konsumentenboykott und so weiter rechnen, was empfindliche Ertragseinbußen zur Folge haben kann. Das Lobbying von Ümweltschutzorgani-sationen fehlt älteren Arbeitnehmern genauso wie es Behinderten oder Frauen eigentlich nach wie vor fehlt. Statt dessen behindern einzelne Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes beziehungsweise des Mutterschutzgesetzes den ganz normalen Zugang zu ganz normalen Arbeitsplätzen - wo einfach auf physische Nachteile Bücksicht genommen wird. Die ebenso existente Prämienzahlung für die Einstellung von Behinderten sollte als positiver Anreiz genügen!

Solange betriebswirtschaftliche Kriterien für unternehmerische Entscheidungen ausschlaggebend sind -und das werden sie hoffentlich auch bleiben -, solange wird das Spannungsfeld zwischen Gesetz und Verstoß aufrecht bleiben.

Die betriebswirtschaftlichen Kriterien sind aber vereinbar mit besserem Wissen. Man kann dem Thema „ältere Arbeitnehmer" sachlich beikommen, wenn ausreichende Information vorhanden ist.

■ Toyota setzt ältere Führungskräfte aus der Zentrale in der Peripherie der Tochtergesellschaften und Lieferanten ein, um dort den „Toyota-Geist" zu verbreiten. Damit soll nicht abhängig gemacht werden, was bisher unabhängig war, sondern im positiven Sinn der Gemeinschaftsgeist der Gruppe auch in den - wirtschaftlich weiterhin unabhängigen - Randbereichen zu einem gewissen „corpora-tefeeling" führen.

■ Großunternehmen in Deutschland und auch Österreich haben ebenfalls begonnen, sich mit dem Thema der Einsatzoptimierung älterer Arbeitnehmer in konstruktiver Weise auseinanderzusetzen, entsprechende Projekte sind im Anlaufen.

■ ABB Schweiz beispielsweise hat einen Pool interner Berater aus älteren Führungskräften rekrutiert. Die Auslastung dieser Leute liegt bei 140 bis 170 Beratertagen pro Jahr ein Wert, von dem mancher selbständige Berater nur träumen kann.

■ Shell Austria hat ein Schweizer Modell von Pensionsvorbereitungstrai-nings nach Österreich übernommen (und damit ein äußerst positives Echo bei den Teilnehmern erreicht).

Wir können erwarten, daß die Welt in der Frage „Ältere Arbeitnehmer" in ein paar Jahren anders aussieht als heute. Die Frage ist, welcher der wirk -samste Hebel dazu sein wird. Wird es der volkswirtschaftliche Zwang sein, der uns die Finanzierung der Langzeitarbeitslosen und Frühpensionisten nicht mehr ermöglicht? Oder wird es der Durchbruch sozialen Empfindens (um nicht zu sagen Mitleids) sein, der uns moralisch zu einem Umdenken zwingt?

Eine dritte Möglichkeit ist, den beiden ersten Varianten zuvorzukommen, indem man den Nutzen erkennt, den der gleichverteilte Einsatz von Arbeitnehmern aller Altersstufen im richtigen Ausmaß und in der richtigen Qualität bringen kann.

Im Falle älterer Arbeitnehmer heißt das:

■ Durch den Gesetzgeber und die Sozialpartner: Erkennen und beseitigen der gesetzlichen und kollektivver-traglichen Hemmschwellen, welche zum Teil als „wohlerworben" oder „schützend" gelten, ohne daß sie das eine oder das andere sind, statt dessen wohlüberlegtes Setzen von positiven Anreizen, wenn zum Beispiel eine gute Gleichverteilung in der Arbeitnehmerstruktur erreicht wird.

■ Durch die Betroffenen: Loslassen von vertrauten sozialen Bollen, welche längst von der nächsten Generation wahrzunehmen sind, statt dessen höhere Flexibilität, sich auch ab 45 oder 50 mit neuen Themen auseinanderzusetzen, um kompetenzmäßig im Arbeitsprozeß voll integriert zu bleiben, und nicht (vielleicht unbewußt) Veränderungen zu blockieren, weil man merkt, daß man fachlich „die Überfuhr versäumt" hat.

■ Durch die Unternehmen: Erkennen, entwicklen und nutzen der Kompetenzen älterer Arbeitnehmer vor allem im Verhaltensbereich und in sozialen Fragen sowie ihr positives Wirken auf Betriebsklima und Unternehmenskultur.

Die Frage ist nicht: Wer macht den Anfang? Denn der ist - siehe obige Beispiele - bereits gemacht. Die Schwierigkeit besteht darin, diesen Prozeß weiter zu führen und zu beschleunigen. Und dazu muß jede der beteiligten Gruppen zum richtigen Zeitpunkt erkennen, wann sie an der Reihe ist, ihren Beitrag zu leisten.

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