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Das Problem mit der Intelligent

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In der kürzlich vom Herausgeber des „Kurier”, Peter Babl, moderierten ORF-Sendung „Zur Sache” wird über die Integration von behinderten Kindern in Hauptschulen und Gymnasien diskutiert. Der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler Volker Schönwiese weist darauf hin, daß nicht nur behinderte, sondern auch hochbegabte Kinder Probleme mit dem Begelunterricht haben. Beim Unterricht sollte immer darauf Bücksicht genommen werden, daß mit allen Schülern zwar die gleiche Sache behandelt, jedoch das verschiedene Niveau und die verschiedene Intensität der Beschäftigung beachtet wird. Als ob Schönwiese die Probleme der aus einem anderen Grund zu Außenseitern gestempelten Kinder nicht erwähnt hätte, nimmt keiner der Gesprächsteilnehmer bei der Diskussionsrunde auch nur das Wort „hochbegabt” in den Mund. Mit Ausnahme Peter Rabis, der beiläufig erwähnt, daß Zuschauer über Internet und Fax immer wieder auf die ähnlichen Probleme der Hochbegabten hinweisen. Kein Grund für die anwesende Unterrichtsministerin, auch nur einen Satz darüber zu verlieren.

19. bis 22. Oktober 1996: Im Wiener Palais Ferstel treffen einander die weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Hochbegabtenfor-schung und Hochbegabtenförderung an Council for High Ability organisiert alle zwei Jahre eine große Tagung. Auf Einladung des damaligen Unterrichtsministers Erhard Busek sollte die fünfte Tagung in Wien stattfinden. Und zwar nicht im abgelegenen Konferenzzentrum, sondern mitten in der Stadt.

Die Anwesenheit von Howard Gardner (Boston), Klaus Urban (Hannover), Franz Mönks (Nijmegen), Erika Landau (Tel Aviv) und vieler anderer Spezialisten sollte nicht unbemerkt an uns vorbeigehen. Für die mit der Anwesenheit im ersten Bezirk verbundene Aufmerksamkeit wollte man bewußt die schlechte technische Ausstattung des Palais Ferstel in Kauf nehmen. Doch diese Rechnung ging nicht auf, man machte sie ohne den Wirt, der sich überhaupt nicht dafür interessierte. Bei keiner der vier bisher stattgefundenen Tagungen war das Interesse der Gastgeber und Journalisten so gering wie in Österreich. Nicht einmal ignorieren, nennt man das in Wien.

Die Chronologie der Ignoranz gegenüber den Problemen hochbegabter Kinder ließe sich weiter fortsetzen. Es vergeht kein Tag, an dem Väter oder Mütter eines hochbegabten Kindes nicht daran erinnert werden, daß sich diese Kinder ohnehin von selber durchsetzen werden. Und überhaupt, denken sie an die benachteiligten Kinder, für diese muß sich die Schule, muß sich unsere Gesellschaft besonders einsetzen. Als ob das eine das andere ausschließen würde.

Außerdem sehen sich diese Kinder meist nicht als „Elite”, die auf Kosten der Schwachen bevorzugt werden will. Ganz im Gegenteil: Es ist vielfach zu beobachten, daß diese Kinder nicht nur früher in ganzen Sätzen sprechen und sich oft selbst das Lesen beibringen, sondern auch auffallend viel Mitgefühl mit den Schwachen zeigen. Aber bei der Fülle der Vorurteile besteht kaum eine Chance, diese Qualität zu sehen. Der Abwehrreflex von „Normal”-Begabten ist einfach zu groß. Aber was heißt schon normal? Mit welchem Recht kann der Staat einem Kind vorschreiben, daß es „normal” ist, mit sechs Jahren lesen und schreiben zu lernen, wenn es das bereits mit vier Jahren lernen will?

Anders sieht die Sache aus, wenn ein Kind ein zweiter Audi Goldberger werden möchte und dazu einiges Talent mitbringt. —Da sich unser Land seit Jahrzehnten mehr über Goldmedaillen als über Nobelpreise definiert, wird dieses Kind mit großer Unterstützung rechnen können. Die Schination Österreich braucht Olympiasieger und Weltmeister. Damit es mit dem Tourismus nicht (noch mehr) bergab geht, ist der Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit, Goldmedaillen zu erwerben, und der Idee, Talente auf diesem Gebiet speziell zu fördern, offensichtlich und wird auch nicht geleugnet. Sollte ein Kind jedoch nicht weiter als die anderen springen, sondern einfach mehr und schneller lernen wollen, wird es bei uns vor allem eines erfahren: Unverständnis.

Etwa drei bis fünf Prozent der Kinder jedes Jahrganges sind hochbegabt. Sie beginnen früh in ganzen Sätzen zu sprechen, fragen ihren Eltern „Löcher in den Bauch”, haben eine ausgeprägte Phantasie und ein sehr gutes Gedächtnis. Da sie sich bereits mit zwei oder drei Jahren gut ausdrücken können, scheint ihre positive Entwicklung gesichert.

Doch genau das ist nicht der Fall. Es widerspricht dem „gesunden Hausverstand”, aber nicht wenige dieser Kinder „bleiben sitzen” oder landen sogar in der Sonderschule. Wegen Ünterforderung. Darüber sind sich die Experten seit Jahren einig, und trotzdem geschieht (fast) nichts. Denn (mit wenigen Ausnahmen) werden diese Erkenntnisse einfach ignoriert. Nicht nur die Ministerin, auch kein einziger Landesschul-ratspräsident oder Bildungssprecher der Parlamentsparteien ist im Palais Ferstel vorbeigekommen, um sich aus erster Hand zu informieren.

Nicht einmal ignorieren. Aber das hatten wir schon.

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