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Das „realistische Bundesheer“

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FRAGE: Als vor neun Jahren, nach dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages, die Aufstellung von Streitkräften — zunächst Grenzschutzabteilungen, später Bundesheer — vorbereitet wurde, gab es heftige Debatten und heiße Diskussionen. „Die Furche“ untersuchte im Sommer 1955 in einer Artikelserie die Probleme — geistige wie materielle —, die mit dem Schritt des Heeres aus dem Dunkel in das Licht der allgemeinen Wehrpflicht verbunden waren. Ein Abschnitt dieser Untersuchung beschäftigte sich mit der Tradition als Rückgrat jeder Armee und geistiger Basis gerade des österreichischen Soldaten. In den neun vergangenen Jahren des Heeresaufbaues scheint dieser Basis nicht immer der Wert zugemessen worden zu sein, der ihr als wirksame psychologische Waffe eigentlich zukommt. „Tradition ist Munition“ nannten wir deshalb auch einen Artikel, der sich mit dieser geistigen „Mannesausrüstung“ beschäftigte. Um so bemerkenswerter schien uns daher ein Absatz aus einer Ihrer ersten Reden, veröffentlicht in „Der Soldat“ vom 12. April 1964. Er sei hier kurz zitiert: „Das österreichische Heer insbesondere bedarf einer Basis, die nur die Kenntnis und das Bewußtsein um die geschichtliche Tradition zu bieten vermag. Die Kenntnis der Tradition allein kann die richtige innere geistige Haltung und die Erkenntnisse um die verpflichtende Aufgabe dem Volk gegenüber erzeugen. Die Tradition ist der Lebensstrom der Völker, den man nicht unterbrechen kann, ohne nicht gleichzeitig auch die Zukunft zu vernichten. Man muß das Zeitlose an der Vergangenheit erkennen lernen!“ Dürfen wir um eine kurze Interpretation dieses Satzes bitten?

ANTWORT: Der österreichische Soldat kann nicht ohne jede Beziehung zur geschichtlichen Vergangenheit seine Pflicht erfüllen. Die dreihundert Jahre österreichischer militärischer Vergangenheit waren doch nicht ganz erfolglos. Auen kann Ich mir einen Offizier ohne feste geistige Beziehung zur Geschichte seiner Heimat kaum vorstellen. Schließlich beginnt Österreich nicht erst 1918! Freilich sollen die Jungmänner vor allem auf die gewaltigen Friedensaufgaben des kaiserlichen Heeres hingewiesen werden. Denken Sie nur an die alte Militärgrenze mit ihren Schulen, aber auch an die Persönlichkeiten, die aus den Reihen der alten Armee hervorgegangen sind. Da spannnt sich ein weiter Bogen: vom Komponisten etwa über den Dichter bis zum Mathematiker oder Physiker.

Denken Sie anderseits aber auch an die Eisenbahn-, Straßen- und Brückenbauten, etwa in Bosnien und der Herzegowina! Parallelelen mit der Gegenwart ergeben sich da wohl von selbst.

FRAGE: Wie soll das Heer auf diese Basis gestellt werden?

ANTWORT: Vor allem durch eine gründliche Reform des staatsbürgerlichen Unterrichtes, der bisher wenig ausreichend gewesen zu sein scheint. Vor allem sollen mit dem Unterricht Kräfte betraut werden, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Nicht jeder gute Truppenoffizier ist auch ein guter Lehrer für Militärgeschichte oder Staatsbürgerkunde. Muster für den staatsbürgerlichen Unterricht scheint mir die Militärakademie in Wiener Neustadt. Nach ihrem Vorbild — neben Lehroffizieren tragen auch Universitätsprofessoren vor — soll der gesamte Truppenunterricht gestaltet werden. Doch dies ist — wie so vieles — von den zur Verfügung stehenden Mitteln abhängig.

Ich bin aber der Ansicht, daß der Einsatzwille des österreichischen Soldaten nicht nur durch die Kommandogewalt des Vorgesetzten, sondern auch durch die Kenntnis der gesamten Verpflichtung — und zu der zählt nun einmal auch das Wissen um die Traditionen der Heimat — bedingt ist. Denn nur in ^ießer äußeren Kontinuität kommt auch die innere Kontinuität von dreihundert Jahren österreichischen Soldaten-tums zum Ausdruck.

Ohne leere Äußerlichkeiten

FRAGE: Ist daran gedacht, diese Kontinuität auch nach außen, ohne jetzt freilich die ohnehin vieldiskutierte Frage der Ausgehuniform nochmals aufzurollen, stärker zu betonen? Etwa durch betonte „Uberlieferungspflege“?

ANTWORT: Keineswegs. Ich versichere immer wieder, daß das Bundesheer ein Heer ohne „Pflanz“ sein soll, ein Heer, dessen Leistung in seiner Präsenz bestehen soll, nicht aber in der sich in Äußerlichkeiten erschöpfenden Pflege einer Überlieferung. Denn nur durch den Ernst, mit dem sich das Heer seiner Arbeit widmet, können Zweifler eines Besseren belehrt werden. Und nur in diesem Sinn will ich den oben zitierten Satz verstanden wissen.

FRAGE: Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Territorialverteidigung — also der Grenzschutzkompanien und Landesbefestigung — wird auch die enge Zusammenarbeit zwischen Bundesheer und Exekutive aktuell. Die Reform der Exekutive, an der man zur Zeit im Innenministerium arbeitet, hängt damit sicherlich zusammen?

ANTWORT: Die Aufgaben der beiden bewaffneten Körper — Exekutive und Bundesheer — sind in der Bundesverfassung und im Wehrgesetz genau festgelegt. Erinnern Sie sich nur an das Sprengstoffattentat in Ebensee. Die Kräfte der Exekutive hätten für Sicherungsaufgaben an Tunnels, Brücken, Straßen, Kraftwerken usw. kaum ausgereicht. Anderseits wäre aber im Ernstfall das Heer durch solche Aufträge blockiert, so daß ich feststellen kann, daß eine Zusammenarbeit zwischen Heer und Exekutive wohl eine gegenseitige Ergänzung, aber keinesfalls ein Konkurrenzkampf sein kann. Ob die Exekutive zum zweiten Bundesheer wird? Meiner Ansicht nach nicht. Denn dies wäre wohl viel zu teuer. Außerdem ist die Kommandofrage — die schon beim Bundesheer durch viele Sicherungen geregelt ist — bei einer mit leichten Waffen,

Schützenpanzerwagen, kurz, militärisch ausgerüsteten Exekutive sicherlich auch nicht leicht zu lösen. Freilich möchte ich eines betonen: Man soll doch endlich aufhören, das Heer ständig aus dem Blickwinkel eines drohenden Marsches aufs Parlament zu sehen. Möglicherweise entspringt auch der geplante Ausbau der Exekutive ähnlichen Uber-legungen.

FRAGE: Vor einigen Jahren zählte der damalige Oberstleutnant des Generalstabes Heller in einem Vortrag alle Punkte auf, die einer echten Mobilisierung noch hemmend im Wege stehen könnten. Neben rein militärischen Mängeln, die sich aus der früheren Organisation des Heeres ergaben und die man durch die neue Organisation beseitigt zu haben glaubt, blieb den Zuhörern vor allem das vom Vortragenden aufgezeigte gänzliche Fehlen irgendwelcher Bewirtschaftungsverordnungen — von Nahrungsmitteln gleicherweise wie von Treib- oder Brennstoffen — in Erinnerung, aber auch die Tatsache, daß die Bundesregierung in einer Krisensituation, in die Österreich nicht einmal verwik-kelt zu sein braucht, auf das immer noch in Kraft stehende deutsche Reichsleistungsgesetz zurückgreifen muß. Während ihrer letzten Pressekonferenz deuteten Sie, Herr Minister, an, daß inzwischen Maßnahmen für Krisenfälle, die eine ganze oder auch nur teilweise Isolierung Österreichs bedeuten könnten, getroffen wurden.

ANTWORT: Wir — und da meine ich nicht nur das Bundesministerium für Landesverteidigung — sind inzwischen wenigstens zur Regelung von Teilkomplexen, ein Mobilisierungsgesetz betreffend, gelangt. Im Rahmen der gesamten Landesverteidigung arbeiten nämlich auch die anderen Ministerien, vor allem das Handels- und das Innenministerium, an der Lösung dieser heiklen — vor allem psychologisch heiklen — Fragen mit. Der Bevölkerung muß vor allem klar sein, daß in einer Konfliktsituation für die Versorgung eine erträgliche Größenordnung aufgestellt ist. Nehmen Sie doch das Schweizer Beispiel: Angstkäufe, Käufe aus Panik, wie wir Österreicher sie in tlen Jahren seit 1945 einige Male erleben konnten, sind dort Unbekannt. Jeder Schweizer hat eben nicht nur sein Gewehr im Schrank, sondern kennt auch genau die Maßnahmen seiner Regierung, die sich schon während zweier Weltkriege gut bewährt haben. Und dieses Gefühl der Sicherheit auch in Österreich hervorzurufen, dies eben ist der psychologische Effekt unserer Vorbereitungen. Vergessen Sie auch nicht das praktisch-wirtschaftliche Moment bei diesen Maßnahmen: Volkswirtschaftliche Fehleinsätze — und Angstkäufe sind nun einmal nichts anderes — helfen niemandem.

Schließlich besteht doch der Sinn sowohl des Grenzschutzes als auch der Einsatzbrigaden vor allem im raschen Schutz des Landes, in einem Aufmarsch ohne Inanspruchnahme ziviler Fahrzeuge. Ich glaube, dies der Bevölkerung klarzumachen würde viele Mißverständnisse und Unklarheiten, auch Gerüchte und Schlagworte aus der Welt schaffen.

FRAGE: Wenn schon von Mißverständnissen und Unklarheiten die Rede ist, so wäre wohl an dieser Stelle auch die Anlage der Landesbefestigung zu nennen. Gerade die jüngst angelegten Werke im Mühlviertel riefen wieder einen Sturm der Meinungen hervor. Haben die Bauten praktischen Wert?

ANTWORT: Im Ernstfall wird das Bundesheer zunächst um nichts anderes kämpfen als um Zeit. Und alles, was uns auch nur eine Stunde Zeitgewinn bringt, ist uns willkommen. Darin besteht für uns zunächst der größte Wert der Befestigung. Daß anderseits der mögliche Gegner durch Umgehung der Sperren in eine bestimmte Richtung gedrängt wird, ist uns ebenfalls willkommen.

Was nun die Kosten der Sperren betrifft, so kann ich selbstverständlich darüber nichts sagen, aber vielleicht genügt Ihnen die Versicherung, daß sie wesentlich niedriger gehalten sind, als Sie glauben. Außerdem werden die Sperren zum Teil im regulären Ausbildunsgprogramm der Pioniere erbaut, was ebenfalls zur Senkung der Kosten beiträgt.

Eingebaut in die Sperren werden Waffen, die aus Gründen der Typenvereinfachung aus dem Gebrauch der Truppe ausgeschieden wurden. Der Geschützturm des T 34 etwa, dessen Fahrgestell noch durchaus verwendbar wäre.

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