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Das Schulgesetz der Arbeiterregierung Englands

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Die Engländer haben erst seit 1944 ein allgemeines Schulgesetz und ein Unterrichtsministerium. Doch sie sind mit Redit stolz darauf, daß sie, wie in einem Vortrag des British Council gesagt wurde, „mitten im Kriege, da die Nation um ihr Leben kämpfte, die Kraft, Konzentration und den Glauben an die Zukunft aufbraditen, die dieses Gesetz voraussetzte“. Ebenso bewunderungswert ist der Weg, auf dem das Gesetz zustande kam. Ein glücklicher Beginn wurde gemacht, als Mr. R. A. Butler, der Urheber des Gesetzes, sich entschloß, in direkten Verhandlungen mit den interessierten Stellen, den kirchlichen Behörden, der Gewerkschaft der Lehrer, Elternvereinigungen und Schulleitern, zu einer Einigung zu gelangen. Wenn er nach monatelangen Verhandlungen endlich dem Parlamente einen Entwurf vorlegen konnte, der, wenn er auch nicht alle Teile restlos befriedigte, so doch als eine brauchbare Lösung angenommen wurde, so verdankte Mr. Butler dies seinem und seiner Verhandlungspartner Willen, den berechtigten Ansprüchen aller Bürger des Landes, nicht nur eines Teiles, gerecht zu werden. Nicht geringer sind die Verdienste des ersten Unterrichrsministers, der vor nicht langer Zeit verstorbenen Miß W i 1 k i n s o n, der „roten Elle n“, wie sie ihre österreichischen Freunde nannten, um das Ergänzungsgesetz vom Jahre 1946.

Das Schulgesetz * entwirft einen großzügigen Plan, das Schulwesen des ganzen Landes systematisch auszubauen, in dem die Privatschulen einbezogen sind. Im gegenseitigen Einverständnis werden diese Schulen, je nach ihren finanziellen Kräften, in eine der folgenden vier Gruppen eingeordnet:Staatsschulen. Vom Staate übernommene Privatsdiulen. Privatschulen m i t Staatshilfe. Privatschulen mit Staatshilfe nach einem besonderen Übereinkommen.

D:ese komplizierte Gruppierung deutet schon an, welche Riesenarbeit es war, die vielgestaltigen Interessen zu vereinen. Bedingt wurde sie durch die neuen, notwendigen und zugleich weit voraussdiauenden Bestimmungen über die materielle Gestaltung der zukünftigen Schule, denen viele Privateigentümer (Kirchen, Vereinigungen) aus eigenen Mitteln nicht voll genügen können. Der Staat sichert ihnen im Gesetz die notwendige finanzielle Hilfe, ohne die sie den Forderungen des Gesetzes nicht nadikommen können, er nimmt aber auch je nach dem Maße dieser Hilfe einen geringeren oder größeren Einfluß auf die Leitung der Schule.

Für alle Gruppen gilt, daß die GehälterderLehrerundanderer Schulangestelltervon derregio-nalen Schulbehörde gezahlt werden. Es macht auch für die Laufbahn der Lehrer keinen Unterschied, ob sie in Privat- oder öffentlichen Schulen unterrichten. Sehr genau ist die Gewissensfreiheit der Lehrer und der Schüler, beziehungsweise Eltern geschützt. Den Lehrern darf aus dem Fernbleiben oder der Teilnahme an religiösen Übungen kein Naditeil erwadisen, den Schülern, deren Eltern es wünschen, muß in allen Schulen Gelegenheit gegeben werden, während der Unterrichtszeit an einem besonderen Religionsunterricht teilnehmen zu können, sie können aber auch von den' Eltern von jedem Religionsunterricht abgemeldet werden. An allen Schulen soll der

Unterricht mit einem religiösen Akt beginnen, sie müssen auch zwei Wochenstunden Religionsunterricht in den Stundenplan aufnehmen. An Staatsschulen folgen diese Übungen einem von allen Konfessionen •* mit Ausnahme der katholischen Kirche — angenommenen Lehrplan, an Privatschulen hat der Aufsichtsrat der Schule darüber zu bestimmen.

Dieser Aufsichtsrat, der an jeder der genannten Schulen besteht, spielt die entscheidende Rolle und hat für seine Sdiule ungefähr die Aufgabe, die unserem Landes-schulrat für alle ihm unterstehenden Schulen zukommt.

Alle Schulen sind auch gleich frei in der Auswahl und Anordnung des Lehrgutes, da es keinen offiziellen, allgemeinen Lehrplan gibt. Vielmehr macht jeder Direktor den Lehrplan für seine Schule nach Auswahl der Gegenstände, Stundenzahl und Zusammensetzung der Klassen, entsprediend einem vielleicht besonderen Zweck der Schule, auf jeden Fall in der Weise, daß seine Schüler am Ende der Studienzeit für die Aufnahmsprüfung an die Universität oder an andere Institute vorbereitet sind.

Nun zu den einzelnen Gruppen Die zweite Gruppe unterscheidet sich kaum von der ersten, da die Leitung der Schule dem Staate übergeben wurde, obwohl die Schule das Eigentum der bisherigen Besitzer bleibt. Alle Lasten und Rechte gehen auf den Aufsichtsrat über, der sich aus Vertretern der Schulbehörde und der Eigentümer zusammensetzt, so daß die ersteren eine Mehrheit haben. Diese Schulen werden also dem Einfluß der bisherigen Eigentümer entzogen, da die Verwaltung der Schule dem Aufsichtsrat untersteht, aber Aufsidit über den Unterricht, mit Ausnahme des Religionsunterrichtes, übt die regionale Schurbehörde aus, von der auch, im Einvernehmen mit dem Aufsidits-rat, Direktor und Lehrer angestellt werden, wieder mit Ausnahme des Religionslehrers, der dem Vertreter der Eigentümer im Aufsichtsrat untersteht, im übrigen aber den ndern Lehrern gleichgestellt ist.

Die nächsten zwei Gruppen, Privatschulen mit Staatshilfe, sind jene Sdiulen, die den finanziellen Anforderungen des Gesetzes zu 25 bis 50 Prozent genügen können. Die Verteilung der Lasten ist bis ins einzelne für die verschiedenen Möglichkeiten, Neubau, Umbau, Zusammenziehung von Schulen, Erhaltungskosten usw. geregelt. Der Minister oder die regionale Sdiulbehörde können auch bestehende. Schulden übernehmen, oder andere Zuschüsse geben. Der Aufsichtsrat in beiden Gruppen besteht zu zwei Dritteln aus Vertretern der Eigentümer, zu einem Drittel aus Vertretern der Schulbehörde. Direktor und Lehrer werden vom Aufsichtsrat berufen, abgesehen von wenigen Fällen, in denen die Staatshiife 75 Prozent der Kosten beträgt, wo dann Direktor und Lehrer von der öffentlichen Sdiulbehörde, aber im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat bestellt werden. In allen Fällen hat die Sdiulbehörde das Redit, die Entlassung eines Lehrers zu verlangen oder zu verhindern sowie die Anstellung eines Lehrers zu verbieten. Ansonsten steht der Unterricht in Volksschulen dieser Gruppe unter der Aufsicht der regionalen Schulbehörde, in den Mittelschulen unter der des Aufsichtsrates. In allen Schulen untersteht der Religionsunterricht den Bestimmungen des Aufsichtsrates.

Die Staatsschulen selber sind jene, die von den lokalen oder regionalen Schulbehörden unterhalten werden, mit oder ohne Beihilfe des Ministeriums. Selbstverständlich besteht der Aufsichtsrat nur aus Vertretern dieser Behörden. Doch auch in diesen Schulen beginnt der Schultag mit einem religiösen Akt, der keiner Konfession folgt, und die Gewissensfreiheit der Lehrer und Schüler ist hier besonders genau geschützt. Vor allem hat die Sdiulbehörde die Pflicht, auch an diesen Staätsschulen den Kindern Religionsunterricht in ihrer Konfession während der Schulzeit zu ermöglichen.

Daneben gibt es noch zahlreich Privatschulen, die keine Staatshilfe genießen u n d v o 11's t ä n d ig unabhängig sind. Das Schulgesetz enthält Bestimmungen über sie, die aber noch nicht in Kraft sind. Diese Schulen sind vollständig frei in jeder Hinsicht, nach Zeit und Dauer des Schuljahres, sogar nach Auswahl und Anordnung des Lehrgutes usw. Viele von ihnen regeln diese Angelegenheiten gemeinsam unter sich durch die Konferenz der Direktoren. Ihr Gedeihen hängt allein von dem Erfolg ab, den sie in hrem Erziehungswerk aufweisen können. Doch haben die meisten dieser Schulen einen staatlichen Inspektor eingeladen, der bestä-:gen kann, daß die Schulen den Anfor-ierungen des Gesetzes entsprechen.

Wie man sieht, gibt dieses Schulgesetz der Arbeiterregierung Englands einen nicht allgemein vermuteten Eindruck. Die Katholiken Englands, die nicht mehr als vier Millionen zählen, und andere religiöse Bekenntnisse sind mit dem Gesetz allerdings nicht restlos zufrieden, da ihnen neben den allgemeinen Steuern noch genug Sonderausgaben für die Schulen bleiben, die sie ihrem Gewissen nach zu haben wünschen und daher vom Staate zu fordern berechtigt sind. Doch bedeutet das Gesetz wieder einen Fortschritt gegenüber den Zeiten, da sie ihr Schulwesen ganz aus eigenen Mitteln (Sammlungen, Einnahmen von Vorstellungen, Schenkungen usw.) aufbauen mußten. Auf der anderen Seite sind die neuen Lasten auch nicht sehr dringend. In einem vor kurzem veröffentlichten Bericht über den augenblicklichen Stand des Schulwesens **, herausgegeben von einem Beratungskörper im Unterrichtsministerium, wird betont, daß es noch ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis hur alle Volksschulen auf den verlangten materiellen Stand gebracht sein werden (S. 12).

Uns jedoch erscheint die Regelung von erstaunlicher Weite, da bis jetzt in Österreich von staatlicher Seite für die Privatschulen nichts geleistet wurde, von den Eltern der darin erzogenen Schüler vielmehr ein Geschenk an ersparten Ausgaben ohne Erröten angenommen wurde.

Das Zentralproblem der Erziehung, die sittliche Erziehung, wird von der oben zitierten Schrift des Unterrichtsministeriums klar gesehen:

„Jeder, der sich mit-der Erziehung befaßt, stößt bald auf die Schwierigkeit, entscheiden zu müssen, für welche Art von Gesellschaft er erziehen soll. Denn Erziehung kann nicht ins Leere geschehen, sie ist ein Teil einer allgemeinen Kultur, einer gemeinsamen Haltung zum Leben.“ (S. 92.)

Die Verfasser bemerken, wie das Glaubenssystem des Mittelalters zusammenbrach und „die Menschen heute den Verlust einer allgemeinen Norm für ihr Verhalten und ihren Glauben als eine ungerechtfertigte Last empfinden. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Geschlossenheit von Glauben und Verhalten, auf Überlieferung beruhend, Gedanken- und Wahlfreiheit ersetzen könne. Es soll nur gesagt werden, daß der einzelne in seinem Leben und Denken sich auf ein verhältnismäßig sicheres System in seinen sozialen, kulturellen und religiösen Belangen verlassen will. Wird dieses System unsicher, muß er die Fundamente neu prüfen oder sogar nach etwas Neuem Ausschau halten, das dessen Platz nehmen kann. Das geschieht offenbar heute, wenn man versucht, ,das Wohl der Gemeinschaft' oder ,den ständigen Fortschritt der Wissenschaft' als Grundlage für eine neue Sittlichkeit zu nehmen. Ob dies wirklich neue Normen sein können, ist eine Frage aufrichtiger Meinungsverschiedenheit. Inzwischen ist es aber eine dringliche Aufgabe, daß der einzelne nicht auf unbestimmte Zeit hinaus ohne d;e nötige Hilfe sein soll. Denn das hieße der moralischen Unverant-wortlichkeit oder starker moralischer Spannung die Türe öffnen. Das gilt besonders für die heranwachsende Generation. Und gegenwärtig verlangt man von ihr ein für ihr Alter ungebührliches Maß von Verantwortung an sittlicher Entscheidung. Die Maschine läuft auf voller Tourenzahl, statt daß sie sorgfältig eingelaufen wird.“ (S. 99.)

Die Antwort, die sich die Verfasser geben, klingt resigniert:

„Die Lösung muß gefunden werden in geduldiger und aufrichtiger Darlegung und Dis.

** School and Life, Report of the Central Advisory Council of Education (England). London: H. M. Stationery Office, 1947.kussion der auseinandergehenden Meinungen durch überzeugte Vertreter derselben. Es ist ein Problem auf lange Sicht.“ (S 105.)

In solcher Lage sind Schulen mit klarer sittlicher Führung für ein Land unentbehrlich, ihr Einfluß als Vertreter einer konsequenten Weltanschauung und Bildner von Männern mit sicherer Uberzeugung kann nicht entbehrt werden, abgesehen davon, daß diese Schulen für viele Eitern die einzigen sinddenen sie ihre Kinder anvertrauen können.

Abschließend möchten wir noch sagen: was immer die Folgen des neuen Sdiulgesetzes für die Privatschulen, besonders der Katholiken in England sein mögen, wir können nur ihren Opfermut bewundern, mit dem sie ungeheure Summen für ihr im ganzen Lande geachtetes Schulwesen aufgebracht haben, und ihnen wünschen, daß sie unter dem neuen Gesetz zu neuen Erfolgen schreiten mögen.

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