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Das Sprechen der Lämmer

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„Liebe Brüder im Bischofsamt!” So beginnt der „Herdenbrief”, der Mitte Oktober erstmals öffentlich vorgestellt wurde...

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„Liebe Brüder im Bischofsamt!” So beginnt der „Herdenbrief”, der Mitte Oktober erstmals öffentlich vorgestellt wurde...

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Es ist der erste einer Reihe von Rriefen, welche die Initiatoren des Kirchenvolks-Regehrens und engagierte Christen an die Bischöfe richten wollen. Die „Herdenbriefe” verstehen sich als Pendant zu den lehramtlichen Schreiben und zu den bischöflichen „Hirtenbriefen”, sowohl inhaltlich als auch formal. I Ierdenbriefe wollen „keine definitiven, unfehlbaren und unabänderlichen Antworten” geben, sondern die Fragen vertiefen „und mehrere Antworten aufzeigen, wo dies sinnvoll erscheint”; weiters sollen jene Positionen offen genannt werden, welche abseits der offiziellen kirchlichen Sexualmoral von Christen vertreten werden. In formaler Hinsicht sind die Briefe bemüht um „eine Sprache abseits des Pastoraljargons innerkirchlicher Texte”, nämlich „eine schlichte, poetische und herzliche Sprache”.

Der erste Brief kreist um den Themenbereich „Liebe - Eros — Sexualität”. Sexualität, so die Autoren, ist ein Bereich, der vom kirchlichen Lehramt stiefmütterlich behandelt und gerne als „Nebenfrage” abgetan wird. Sie zielen, wie schon beim Kir-chenvolks-Begehren vorgetragen, auf eine positivere Bewertung der Sexualität von kirchlicher Seite ab. „Eros und Sexualität sind vitale Grundkräfte des Menschen. Sie sind in sich gut und bedürfen keiner besonderen Bechtfertigung”, lautet die erste von insgesamt zwanzig Thesen, in denen die Autoren ihre Anliegen kurz zusammenfassen.

Poetisch gestützt auf das bekannte Friedsche Diktum „Es ist, was es ist”, machen die Autoren eine Bestandsaufnahme sexueller Lebensformen und kommen zu dem Schluß: „Es ist - ob es uns gefällt oder nicht - was es ist: die geglückte Ehe ebenso wie die mißglückte, die andersgeschlechtli-che Liebe ebenso wie die gleichgeschlechtliche, die eheliche Liebe ebenso wie die vor-, außer- und uneheliche Liebe, die kirchlich erlaubte Liebe der Ehepartner ebenso wie die kirchlich verbotene der Priester oder anderer freiwilliger oder unfreiwilliger Singles. Wir wollen den Menschen in jeder Gegebenheit annehmen und ernstnehmen - und wir wollen versuchen, ihn zu verstehen.”

Typische kirchliche Konfliktfelder wie voreheliche Beziehungen, Selbstbefriedigung, Homosexualität, Zölibat, Frauenordination, Empfängnisverhütung und Geschieden-Wiederverheiratete werden aufgegriffen. Insgesamt plädieren die Verfasser für

Liberalismus und lehnen die gegenwärtigen Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes dazu ab. „Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind wie andersgeschlechtliche insoweit gut, als sie verantwortlicher Ausdruck von Liebe sind. Liebe und Treue verlieren nicht ihren Wert, wenn sie gleichgeschlechtlich gelebt und erfahren werden”, lautet etwa die elfte These.

Der vorliegende Brief hat eine recht aufwendige Bedaktionsge-schichte hinter sich. Anlaß für die

„Herdenbriefe” war die für die Initiatoren enttäuschende Beaktion der Bischofskonferenz vom Herbst 1995 auf das Kirchenvolks-Begehren. Vier der fünf Forderungen hatten mit Sexualität zu tun.

Die Anfang 1996 gegründete Plattform „Wir sind Kirche” wollte nun eigene Beiträge zur Kirchenreform leisten. In einer ersten Etappe sammelte man Thesentexte von Mitarbeitern der Plattform sowie engagierten Personen. Eine erste Textfas-

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