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Das Votum der deutschen Rektoren

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Obwohl die Universität Im ihrer Krisensituation auf die neuen Aufgaben und Probleme nicht sehr erpicht ist, hat sie, wenn man einmal Gegenstimmen unterschlagen darf, 1m Votum der Westdeutschen Rektorenkonferenz vom Oktober 1963, dem sogenannten „Engelhardt“-Gut- achten, die Einheit der Lehrerausbildung bejaht und sich für deren Übernahme ausgesprochen. Die Instruktion der VOlksschullehrer nämlich, heißt es dort, könne sich nicht mehr mit der „Übermittlung elementarer Kenntnisse und Fertigkeiten“ begnügen, sondern ziele auf „geistige Selbständigkeit und ein kritisches Vermögen in Auswahl und Darstellung der Lebrgehalte“, um die „Voraussetzungen und Methoden richtigen Denkens" zu erfüllen. Deshalb gehör die Lehrerausbildung insgesamt in den „Bereich der Wissenschaft“. Vargeschlagen wird ein sechssemestriges Studium an den Universitäten in den Erziehungswissenschaften und einem W’ahlfach.

Das Bremer Modell

Und als Zeichen für das zunehmende Bewußtsein der Universität von ihrem wissenschaftlich-prakti schen Erkenntniisiiniteresse und ihrer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft muß man es sicher werten, wenn sich die Rektoren in Hessen bereit erklärten, die volle Verantwortung für die Ausbildung aller Lehrer zu übernehmen, als der hessische Landtag daran ging, zwei Hochschulen für Erziehungswissenschaft mit allen akademischen Rechten zu gründen. Uridversitätsneu- gründungan wie das Bremer Modell sehen bereits die Ausbildung der Lehrer aller Schularten an der Universität vor, und der Wandel der Einstellung ist inzwischen weiter fortgeschritten, so daß jedenfalls für die offene Diskussion der Probleme, ungehemmt von versteckten oder offenen Gruppendnteressen, der Boden bereitet äst, zumal die junge Generation an der Universität das Standesdenken nicht nur privatim zu überwunden, sondern radikal zu bekämpfen trachtet. Die Fromtbdldung für oder wider die „rein“ wissenschaftliche Lehrerausbildung unabhängig von der jeweils bevorzugten institutionellen Form geht heute, mehr als vor Jahren, quer durch die verschiedenen gesellschaftlichen Klassen, Gruppen und Verbände. Der

Prozeß einer gewissen Emtädeologl- siierung hat eingesetzt. Am umstrittensten scheinen die neuen Formen der Lehrerbiidung momentan fast noch unter den Fachleuten, unter den Pädagogen also, zu sein. Welche Rolle dabei der Befangenheit in tradierten Billdungsidealen zukommt, ist zu prüfen.

Die Gegner der Akademisierung

Die Gegner der zunehmenden Aka- demiisiierung der Lehrerausbildung führen folgende Einwände ins Treffen: Die dafür vorgesehenen -Institutionen würden damit den Charakter von „Bildungsstätten“ und „Bildnerhochsehulen“ einbüßen. Wolle man ihnen diese Funktion bewahren, so müsse man sie als „über schaubare Gemeinschaften“ (H. Bohnenkamp) installieren, in denen Fest und Feier noch möglich seien. Die Bedeutung des Musischen für eine „volkstümliche Bildung“ dürfe nicht übersehen werden. Die Wissenschaft könne nur ein bildendes Moment neben anderen sein, man dürfe sie nicht überbewerten, wenn man nicht „kaltem“ Rationalismus verfallen wolle. Schließlich dürfe nicht die besonders enge Bindung des pädagogischen Studiums an die Berufspraxis verkannt werden.

Zum Teil sind solche Bedenken wohl durch bestimmte Formen des etablierten universitären Wissenschaftsbetriebes, durch inhumanen Positivismus nämlich oder durch praxisfremdea Spezialistentum in manchen Studiengängen, hervorgerufen und insoweit als Schreckreaktionen verständlich. Zum ändern aber wurzelt jener wissenschaftsfeindliche oder doch zumindest szientiftsch enthaltsame Vorstallungskomplex in Gedanken der Romantik, der Jugendbewegung, der Lebensphilosophie und Reformpädagogik sowie ähnlicher Zeitströ- mungen, entspringt zum Teil auch einer Pervertierung und Abwertung pädagogischer Ideen wie der Idee des „Elementaren“ bei Pestalozzi.

Aber mit dieser historischen Ordnung und ideologischen Reduzierung ist freilich erst der Weg freigelegt für die systematisch-kritische Stellungnahme, welche die. Frage nicht auslassan kann: Was gilt? — und zwar nicht bloß heute und morgen, sondern was muß gelten, damit überhaupt etwas heute und morgen für uns gelten kann, damit unser Zusammenleben ein sinnvolles, ein menschliches wird? Bei diesen Überlegungen könnten tradierte und „zeitgemäße“ Biildungsvorstellungen ins Wanken geraten.

Nicht Gesinnung produzieren und manipulieren!

Sollte man auf Grund rationaler Besinnung dahin gelangen, daß freie Gebundenheit oder Autonomie jene Grundbedingung humaner Existenz und Koexistenz ist — und ich bin überzeugt, daß sowohl eine strenge philosophische und pädagogische als auch eine sozialwirtschaftliche Analyse zu diesem Grundprinzip vorstoßen muß —, dann erhebt sich die Frage, ob man an sogenannten „Bildungsstätten“ Menschen in einem bestimmten Geiste, wenn auch noch so suibliim, beeinflussen darf, ob man sie in einer gewissen „geistigen Atmosphäre“ mit einem bestimmten Ethos aufladen darf und kann.

Denn auch das ist zu bedenken, was Wissenschaft und Erkenntnis- Vermittlung überhaupt erreichen sollen, wenn sie ihrer Aufgabe treu bleiben. Sie können und sollen nicht Gesinnung produzieren und manipulieren. Haltung addiert sich nicht gleichsam zum Wissen, ebensowenig berufliches Ethos zur Wissenschaft. Der Lehrer sollte aber freilich gerade angesichts dieser definierten Relation von Wille und Erkenntnis den Schülern oder Studierenden helfen, sie provozieren, nicht unverbindliche Wissensbestände in sich ZJU sammeln, sondern begründete Stellungnahmen zu vollziehen und ihr Wissen auf die sittliche und soziale Praxis zu projizieren. Das erfordert vom akademischen Lehrer nicht mehr und nicht weniger, als selbst argumentative Standpunkte zu beziehen, das heißt, sich der Wissenschaft verpflichten. Er darf sich nicht hinter ihre vermeintliche „Wertfreiheit“ zurückziehen (eine magische Formel der widerspruchsvollen spätbürgerlichen Gesellschaft). Er muß auf den philosophischen Ursprung oder Horizont seines Faches und damit auf die Beziehung zu anderen Fächern zurück- kommen. Er darf sich nicht im Elfenbeinturm sogenannter „reiner“ Erkenntnis verschanzen. Dann kann er beanspruchen, von den Studierenden „ernst genommen" zu werden und „pädagogisches Ethos“ zu vermitteln.

Drei Momente des Lehrens und Lernens

Eingeschlossen ist in jenes Postulat des begründeten Stellungnehmens die aktive Universalität, das Engage ment, die Diskussion — drei entscheidende Momente des Lehrens und Lernens dm pädagogischen Sinn.

Universalität meint, wie schon angedeutet, das Überschauen der Fach- komplexe, überhaupt der Geltungsgebiete, auch des Ästhetischen zum Beispiel, und die Einordnung des jeweiligen Faches in das Ganze der Kultur, Reflexion über seine kulturelle Funktion. Es heißt gerade nicht, alles Mögliche (und Unmögliche) studieren zu müssen. Das ist heutzutage illusorisch und überdies pädagogisch wertlos. Überall „bie- niseh naschend“ wird der Studierende sieh alles andere als Universalität erarbeiten. Er gewinnt diese nur in der Dimension philosophischer Fragestellung.

Fachphilosophie und Erfahrungswissenschaften

Solche Erörterungen tragen auch Konsequenzen für die institutioneile Organisation der Lehrerausbildung. So muß die Fachphilosophie neben der (philosophisch-) pädagogischen Theorie und den zur Erhellung des Erziehungsfeldes heute unerläßlichen empirischen Wissenschaften als Grundwissenschaft etabliert werden. Als schmückendes Beiwerk jedenfalls ist sie gar nichts. Ebenso müssen die Bedingungen geschaffen werden, um die geforderte Diskussion zu ermöglichen. Das verlangt die Anordnung von Seminarveranstaltungen oder Arbeitskreisen im Studien- plan, und das wiederum die ausreichende Bestallung von Dozenten und Assistenten. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit läßt dann auch die ohnedies illusorische Forderung nach der „überschaubaren Gemeinschaft“ hinfällig werden. Nicht nur Fest und Spiel stiften Gemeinschaft, sondern vor allem das gemeinsame Interesse am sachlichen Problem, das sich in der Konfrontation mit den Realitäten bewähren wird, während den aus der Gemeinschaft der „pädagogischen Provinz“ kommenden Junglehrer die Diskrepanz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit nur zu leicht ins ideologische Sektierertum oder aber in den Pragmatismus treiben könnte.

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