Dem Rad in die SPEICHEN FALLEN

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Das Christentum und seine "Tradition" wird von neurechten Bewegungen gern im Mund geführt. Gegen diese Reduktion im Sinn einer Zivilreligion ist aber theologischer Widerspruch anzumelden.

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Das Christentum und seine "Tradition" wird von neurechten Bewegungen gern im Mund geführt. Gegen diese Reduktion im Sinn einer Zivilreligion ist aber theologischer Widerspruch anzumelden.

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Zum ideologischen Rüstzeug neurechter Bewegungen gehören Bezugnahmen auf christliche Traditionsbestände bis hin zur Konstruktion eines ehedem integralen "christlichen Abendlandes", zu dessen Verteidigung man sich berufen fühlt. Diese politische Inanspruchnahme von Religion ist nicht neu, sie begegnete bereits im Konzept der sogenannten "Zivilreligion". Angesichts gewachsener Unübersichtlichkeit bedürfe es, so die These, einer neuen sinnstiftenden gesellschaftlichen Metaerzählung, einer "Zivilreligion", die das soziale Band legitimiert und sicherstellt.

Dahinter stand die Auffassung, dass dem demokratisch verfassten Gemeinwesen aufgrund der Autonomie und der Pluralität von Überzeugungen und Weltanschauungen sowie des Mehrheitsprinzips und des Verfahrens zur Entscheidungsfindung ein defizitäres Moment zu eigen sei, und dass die Bindung der Bürgerinnen und Bürger an das Gemeinwesen nicht allein durch einen "Verfassungspatriotismus" zu gewährleisten sei, sondern durch ein (quasi-)religiöses Gefühlsmoment. Die Ursachen von politischen, sozialen und ökonomischen Krisen wurden denn auch in erster Linie in der herrschenden Kultur gesehen, etwa in Werteverfall, Traditionsschwund, im Zerfall des bürgerlichen Familienideals nebst emanzipatorischer Bildung u. a., nicht aber in konkreten politischen und ökonomischen Machtverhältnissen.

Reduzierter Blick auf die Religion

Dieses zivilreligiöse Modell und die damit verknüpfte Reduzierung von Religion auf ihre Funktion zur Bewältigung des Lebens sowie als Garantin eines bürgerlichen Wertekonsenses sind theologisch gesehen problematisch. Zum einen wird dadurch die eigene, christliche Religion insgeheim zum Modell der Zivilreligion, womit letztlich all diejenigen aus dem behaupteten Legitimationskonsens ausgeschlossen werden, die diese Optionen nicht teilen. Zum anderen wird die insgeheim in Anspruch genommene christliche Tradition ihrer kritischen Gehalte beraubt und entleert.

Und vor allem wird übersehen, dass die Begründungsverpflichtung politischer Macht und politischer Institutionen sich im demokratischen Gemeinwesen gerade nicht mehr an einem religiös legitimierten "top/down"-Modell orientiert und somit keine Sakralisierung von politischen Ämtern, Institutionen und handelnden Personen impliziert. Letztlich verstricken sich Versuche einer quasireligiösen Legitimation des Staates im Problem der Repräsentation, insbesondere in das Problem autoritärer Repräsentationsmodelle und deren Verknüpfung mit politischen Legitimationserzählungen, die das angebliche Begründungsdefizit demokratischer Gesellschaften beheben sollen.

Heute sind wir mit politischen Bewegungen konfrontiert, die auf eine ideologische Mischung von Nation und Religion als Metaerzählung zurückgreifen, wobei den Platz der Religion nicht mehr ein abstraktes zivilreligiöses Konstrukt einnimmt, sondern ein kultur-,gesellschafts-und sozialkonservativ interpretiertes Christentum in der Tradition der sogenannten "konservativen Revolution" im Deutschland der Weimarer Republik. Diese ideologisch einseitige Interpretation des Christentums ist theologisch zu kritisieren, und dies in Verknüpfung mit einer Kritik derjenigen eigenen Traditionen, die von rechts politisch rezipiert wurden und werden. Exemplarisch sind hier zwei Traditionsbestände zu nennen, die solch einer Kritik bedürfen: der Gedanke der Souveränität und das (spezifisch katholische) Verständnis der Repräsentation.

Der Souveränitätsgedanke kommt zum einen hinsichtlich der Konstruktion einer Begründung des Staates "von oben" durch einen Akt absoluter Durchsetzungsmacht zum Zuge, wie sie etwa Carl Schmitt vertreten und dabei eine Analogie zur absoluten Souveränität Gottes hergestellt hatte. Im Zuge dieses Souveränitätsverständnisses wurde auch an einem Ideal nationalstaatlicher Souveränität als Ausdruck von Stärke und Autonomie festgehalten. Diese Rezeptionsmöglichkeit fordert zu Überlegungen zu einem vom Begriff der Souveränität unterschiedenen Verständnisses der Allmacht und des Handelns Gottes und zu Kritiken eines interventionistischen Gottesbildes, also eines Gottes, der von außen eingreift, heraus.

Zum anderen wird der Souveränitätsgedanke im Zusammenspiel mit demjenigen der Repräsentation virulent -sei es die Repräsentation von Macht und Herrschaftsgewalt, sei es diejenige eines angeblich einheitlichen, allgemeinen, "wahren" Willen des Volkes. Das kann mit dem Ideal der Repräsentation dieses Willens durch einen einzigen Souverän verknüpft werden, mit der Idee einer Korporativgestalt, die diesen Willen direkt verkörpert, repräsentiert. Auch der Staat oder die Nation kann als solch eine korporative Größe vorgestellt werden, in den die Einzelnen inkorporiert werden. Genau hier greifen denn auch die Schemata von Inklusion und Exklusion, Innen und Außen, Freund und Feind.

Gottes Heilszusage richtet sich an alle

Modelle der direkten Repräsentation kennt durchaus auch die katholische Tradition. Doch man kann theologisch solche Modelle kritisch reflektieren und alternative Konzeptionen von Repräsentation entwickeln. In diesem Zusammenhang ist von theologischer Seite auch die Sehnsucht nach einem top/down-Modell nicht nur in Fragen von Souveränität und Repräsentation, sondern auch hinsichtlich der Legitimation des demokratischen Staates durch religiöse Rückbezüge zu problematisieren.

Demokratien brauchen keine Legitimation von oben, denn sie können sich "von unten" durch die Kreativität und Handlungsmacht ihrer einzelnen Bürgerinnen und Bürger legitimieren, die die polis - das Gemeinwesen -sowohl begründet als auch zusammenhält. Allenfalls werden religiös Gesinnte diese Fähigkeit letztlich als Zeichen dafür interpretieren, das der Mensch als Bild Gottes geschaffen wurde. Sie werden dies aber nicht allen anderen als sinnstiftende politische Metaerzählung vorschreiben, wenn sie sich nicht nur als religiöse, sondern zugleich auch als liberale Bürgerinnen und Bürger verstehen.

Solche "von unten" legitimierte demokratische Gemeinwesen definieren sich auch nicht durch einen allgemeinen Willen. Sie definieren sich allein über die Anerkennung der Freiheit und Gleichheit aller und über die unveräußerliche Geltung von Menschenwürde und Menschenrechten, unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft, von Alter, Geschlecht und sexueller Identität bzw. Lebensform.

Diese Anerkennung ist autonom, unabhängig von religiösen Überzeugungen, auszuweisen, soll sie wirklich für alle gelten, also auch für nichtreligiöse Bürgerinnen und Bürger. Sie ist im Übrigen nicht allein Ergebnis eines reflexiven Aktes, sondern schließt auch die mit einem Gefühl zu vergleichende Intuition mit ein, dass jede und jeder als Zweck an sich selbst und nicht als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen zu betrachten ist. Zugleich deckt sie sich mit der christlich motivierten Überzeugung von Gleichheit und Würde jeder einzelnen Person sowie mit dem Zeugnis Jesu, dass sich die Heilszusage Gottes an alle richtet, nicht nur an wenige Auserwählte, und dass sich diese Heilszusage in einem Solidaritätshandeln konkretisiert, das insbesondere Marginalisierten, Entrechteten und Minderheiten gilt.

Hier zeigt sich auch die politische Relevanz der theologischen Überzeugung, dass Gott sich niemals ganz präsentiert, sondern stets auch Geheimnis bleibt, unbeschadet des Bemühens um begriffliche Bestimmung. Der Grund des Politischen und damit auch der Handlungsmacht besitzt einen unbestimmbaren Rest, da niemand über den Grund von Bewusstsein und der mit ihm einhergehenden Freiheit zweifelsfrei wissen kann, auch Gläubige nicht, die darauf vertrauen, dass sie sich im Vollzug bewussten Lebens letztlich einem unbedingten Grund verdanken, den sie "Gott" nennen.

Auf diese Art und Weise ist es möglich, einen theologischen Beitrag zur Delegitimierung und damit auch Entzauberung neurechter politischer Bewegungen zu leisten und -frei nach Dietrich Bonhoeffer - dem Rad in die Speichen zu fallen, und das nicht erst dann, wenn das Rad schon auf Volldampf dreht, sondern schon dann, wenn man es überhaupt daran hindern muss, Fahrt aufzunehmen.

Die Autorin ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität zu Köln

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