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Digital In Arbeit

Der Angriff der Fernseher

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Home Shopping wird in Amerika ein immer stärkerer Trend. Fernsehen und Telefon verhelfen zu schicker Kleidung oder Haushaltsgeräten.

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Home Shopping wird in Amerika ein immer stärkerer Trend. Fernsehen und Telefon verhelfen zu schicker Kleidung oder Haushaltsgeräten.

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Sollte man noch Einkaufsstraßen .entlangwandeln, um sich in Schaufenstern über das zu informieren, was „in“ ist? Muß man die großen Einkaufszentren besuchen, um einzukaufen? Nein - so heißt es in den USA, aus den USA, und der Trend dort ist vielleicht wieder einmal wegweisend für Europa: Das Einkäufen läßt sich vereinfachen, bequemer machen - mit Hilfe des Fernsehens kauft man von zu Hause aus ein. Home shopping gibt es seit langem schon, seine absolute Revolution aber beginnt erst jetzt.

Nachdem sich zwei TV-Einkaufs- kanäle, Home Shopping und QVC, in Amerika zusammengeschlossen haben und unglaubliche Angebote auf den US-Kabelwellen offerieren, sind alle Experten wie auch die angesehene Wirtschaftszeitschrift „Business Week“ der Ansicht Der US- Einzelhandel steht vor seiner größten Revolution, der Einzelhandel, wahrscheinlich weltweit, wird nie wieder so sein wie gestern, auch nicht so wie er heute ist.

Der vereinte Fernsehkanal HSN- QVC, der in der Regel 24 Stunden täglich sendet, ist die Mischung aus Kaufhaus, Einkaufszentrum und dazu einer Vielzahl von Boutiquen. Verkäuferinnen, in steigender Anzahl aber auch Prominente aus Film und Fernsehen, bieten die verschiedensten Waren an: Schmuck, Haushaltsgerät, Bekleidung, Kosmetik. Code-Tabellen erlauben die Bestellung der gewünschten Größen und Farben, bestellt wird telefonisch oder, wo schon installiert, mittels des inter-aktiven Fernsehens. Auf dieser Basis kann der TV-Zuschauer mit dem Anbieter regelrecht kommunizieren, Fragen stellen und Gegenfragen beantworten. In solchem Falle ist der Service komplett — als besu che man die Boutique oder das Kaufhaus persönlich. Nur: das Einkäufen geschieht aus dem Komfort des eigenen Heimes heraus!

Durch den Zusammenschluß der beiden Einkaufskanäle ist ein Markt entstanden, dessen Jahresvolumen jetzt schon die Zwei-Milliarden- Dollar-Marke überschreitet. Über Kabel und Satellitenschüsseln sind diesem Markt 60 Millionen Amerikaner angeschlossen, das entspricht zwei Drittel aller amerikanischen TV-Haushalte. Diesem neuen Medium wird ein jährliches Wachstum von wenigstens 20 Prozent vorausgesagt. Als typische Käuferin wird in einem Einzelhandelsfachblatt New Yorks die 55jährige Taxifahrerin Billy Hann präsentiert: Sie kauft per TV jährlich rund 50 unterschiedliche Stücke ein, Kleidung für Enkel, Schmuck für sich, Hemden und Anzüge für ihren Mann, Schuhe, Autoreifen. Im Durchschnitt gibt sie bei jeder Bestellung 50 Dollar aus.

Aber der vereinte Einkaufskanal ist nur der Anfang, die entsprechende TV-Zukunft in Amerika sieht Dutzende neuer Kanäle vor, die ausschließlich dem home shopping Vorbehalten sind, dem Einkauf am Bildschirm. Dann wird es Spezialkanäle geben, einen etwa, der nur Übergrößen für Damen, einen anderen, der ausschließlich Silberschmuck an- bietet - der Fantasie darf freier Lauf gelassen werden.

BESSERES IMAGE

Selbst Versand- und gehobene Kaufhäuser, die bisher TV-Präsentatio- nen im Rahmen von home shopping ablehnten, ja bekämpften, bieten jetzt ausgesuchte Waren über den neuen Kanal an. Saks Fifth Avenue etwa bot zweimal Damenbekleidung der Saks-Exklusivmarke „Real Clo- thes“ an — und verkaufte auf Anhieb davon im Werte von über einer Mil lion Dollar. Daß Saks sich dieser Methode bedient und sogar daran denkt, einen eigenen Verkaufs-TV- Kanal ins Leben zu rufen, hat das in der Vergangenheit nicht gerade gute Image des home shopping enorm gesteigert. Ihm gehört auch nach Einschätzung Wall Streets eine glänzende Zukunft.

Das auch deshalb, weil die TV- Käufer jünger, gebildeter und besser situiert sowie modebewußter sind als der Durchschnitts-Kunde. So fallen 26 Prozent der TV-Bestseller in die Alterskategorie von 25 bis 34 Jahren (sonst: 24 Prozent), und nur elf Prozent der TV-Shopper sind über 65 Jahre alt (sonst: 16 Prozent). Einen Oberschulabschluß haben 34 Prozent der TV-Einkäufer (sonst: 31 Prozent). 26 Prozent der TV-Kaufenthu- siasten schließlich sind modebewußt (sonst: 16 Prozent).

Aber auch diese Tatsache veranlaßt den US-Einzelhandel, sich mehr und mehr um die TV-Verkaufsanteile zu bemühen: In den Kaufhäusern und Einzelhandelsgeschäften gingen die Umsätze in den letzten Jahren stetig zurück, während die Unkosten stiegen - im TV-Schaufenster steigen weder Mieten noch Löhne schnell, und die Umsätze scheinen einem dauernden Aufwärtstrend zu unterliegen. Peter Siris, ein TV-Ver- kaufsstratege, formuliert deshalb auch sehr selbstbewußt: „Der Einzelhandel übers Fernsehen ist äußerst kostengering. Man braucht beispielsweise weder Dutzende oder Hunderte von Läden, man braucht schon gar nicht Tausende Ausstellungsstücke, man braucht kein großes Inventar.“ Auch die Werbungskosten sind geringer, entfallen sogar im TV total - das Angebot auf einem Verkaufskanal allein ist Werbung genug, meinen auch die Experten an New Yorks Madison Avenue. Die Vorteile für den Einzelhandel in punkto Kosteneinsparung liegen auf der Hand.

Die Nachteile dieses Trends sind nicht gering. Seit 1989 ist die Zahl der Beschäftigen im US-Einzelhan- del um knapp eine halbe Million gesunken, und es werden noch dramatischere Personalreduzierungen kommen, wenn der TV-Einzelhandel steigt und steigt und steigt. Das gleiche gilt für leerstehende Geschäfte: 13 Prozent vermietbaren US-Einzel- handelsraums stehen jetzt schon leer, Ende des Jahres könnten es, Schätzungen Wall Streets zufolge, bereits 20 Prozent sein.

KLEIDER WIE VON LIZ TAYLOR

Schon 1994 beginnt eine neue Ara des home shopping. Beispiel: auf einem TV-Kanal läuft ein Film. Die Schauspieler tragen modebewußte, aktuelle Kleidungsstücke, und die können sofort über das interaktive TV in der gewünschten Größe und Farbe vom TV-Zuschauer bestellt werden. Ob Schuhe, Anzüge, Kleider, Hemden - was Liz Taylor da trägt oder Robert Redford, kann man einige Tage später selbst im Kleiderschrank haben.

Wann wird wohl Europa von diesem Trend überrrollt? Überraschungen sind angesichts der rasanten Entwicklung der elektronischen Medien nicht ausgeschlossen. Der Einzelhandel muß umdenken - das lehren uns die jüngsten Erfahrungen in den USA.

i.

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