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Der Antichrist in Südtirol?

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In der „Furche“ (Nr. 44/1963) veröffentlichte Friedrich Heer eine Polemik gegen meine Schrift „Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“. Heers Polemik läßt sich, obwohl über mehrere Zeitungsspalten ausgebreitet, in wenigen Worten zusammenfassen: Meine Schrift sei eine „Pervertierung des Widerstandsgedankens“, sie lasse „welthistorische und europäische Perspektiven“ vermissen. Aussagen seien „unzulässig“, „gefährlich“, „sonderbar“ usw. Dies alles sind selbstverständlich keine sachlichen Argumente, sondern Gemeinplätze. Mit keinem Wort macht sich Heer die Mühe, seine Vorwürfe zu begründen und die Aussagen meiner Schrift zu widerlegen. Statt dessen bedient er sich der Methode der Verzerrung der Fakten und der Verketzerung des Gegners, während entscheidende Grundgedanken meiner Schrift, ohne die ihre Ergebnisse völlig unverständlich sind, ganz unterschlagen werden. Da Heer mir sachlich nichts entgegenzusetzen hat, ist seine Polemik zwar keine erfreuliche, aber eine restlos überzeugende Rechtfertigung meiner Schrift. Im Interesse einer objektiven Information der Leser der „Furche“ seien hier noch einmal folgende Aspekte der Widerstandslehre hervorgehoben:

Der aktive, das Mittel der Gewalt mit einbeziehende Widerstand gründet im Naturrecht. Wenn eine Regierung durch schwerwiegende und andauernde Verletzung der Gerechtigkeit die Grundlagen des Rechtsstaates in Frage stellt, dann ist in einer solchen Notsituation das Volk als ursprünglicher Träger der Staatsgewalt befugt, von seinem Notrecht Gebrauch zu machen und die Staatsgewalt von den Regierenden auf sich selbst zurückzunehmen. In diesem Falle sind das Volk und, stellvertretend, organisierte Widerstandsgruppen von der verpflichtenden Kraft des Gemeinwohls her auf den Weg des aktiven Widerstandes gewiesen, sobald sich ergeben hat, daß andere Mittel erfolglos sind. Die Rechtmäßigkeit des aktiven Widerstandes ergibt sich unter diesen Umständen aus der christlich-naturrechtlichen Lehre vom Gemeinwohl und ist ein unbestreitbarer Grundsatz der katholischen Moraltheologie und Gesellschaftslehre. Es ist sinnlos, den aktiven Widerstand zurückzuweisen mit dem Hinweis, die Anwendung von Gewalt sei ungerecht, und selbst, wenn der Staat Unrecht tue, dürfte man dem keine Gewalt entgegensetzen, weil Unrecht nicht durch neues Unrecht beseitigt werden könne. Dem muß entgegengehalten werden, daß die Gewalt ein für jede Gemeinschaftsordnung unverzichtbares Mittel und eine Grundbedingung der Sicherung von Ordnung und Gerechtigkeit ist. Ohne den Einsatz von Gewalt, welche die Guten schützt und die Bösen bekämpft (vgl. Rom. 13, 3 f.), ist menschliche Gemeinschaft ganz unmöglich. Es ist die Utopie aller neuzeitlichen Schwärmer und politischen Phantasten, von der Illusion einer vollkommenen Welt auszugehen und von daher jede Gewaltanwendung a limine negativ zu apostrophieren. Da sich die Welt nicht im Zustand paradiesischer Unschuld befindet, bedarf es der Sicherung des Rechtes durch Gewaltanwendung gegenüber denen, die sich dem Anspruch der ethischen Ordnung verschließen. Sonst würde man die menschliche Gesellschaft in die Hände von Kriminellen und Asozialen geben. Entscheidend ist für die sittliche Bewertung der Gewalt das Ziel, für das sie eingesetzt wird. Ist das Ziel gut, dann ist auch die Gewalt gut, ist es schlecht, dann ist auch die Gewalt schlecht. Das ist nicht nur naturrechtliche, sondern ebenso auch biblische Lehre des Alten und des Neuen Testaments. Wenn also in lehramtlichen Verlautbarungen der katholischen Kirche vor Gewaltanwendung gewarnt wird, dann ist immer nur der Mißbrauch der Gewalt für ein verwerfliches Ziel gemeint.

Die Geschichte hat bewiesen, daß es immer wieder Situationen gegeben hat, in denen nur mit Hilfe des aktiven und gewaltsamen Widerstandes Freiheit und Menschenwürde gerettet werden konnten. In einer solchen Situation steht nun auch Südtirol, das sich, nach den Worten des Kanonikus Michael Gamper, „auf dem Todesmarsch“ befindet und dem Volksmord entgegengeht. Alle Mittel, der Südtiroler Volksgruppe die ihr naturrechtlich und positivrechtlich zustehenden Ansprüche auf die Erhaltung ihres Volkstums zu sichern, haben versagt. Es ist erwiesen, daß Italien den Weg der Verhandlungen nur mißbraucht, um sich seinen Verpflichtungen aus dem Pariser Vertrag zu entziehen und unterdessen die Ita-lianisierung und damit die Vernichtung der kulturellen Eigenständigkeit Südtirols zu Ende zu führen. Die aktive Gegenwehr mit Hilfe der Gewalt ist nunmehr das einzige Mittel, welches den italienischen Staat zu zwingen vermag, die Menschenrechte in Südtirol zu respektieren und dem Land die ihm zustehende Selbstbestimmung zu gewähren, die jeder afrikanischen Kolonie zugestanden wird, wenn sie darauf besteht.

Die Südtiroler Widerstandskämpfer tun heute das gleiche, was am 20. Juli 1944 und am 17. Juni 1953, was später in Ungarn und auf Zypern geschah und nun mit Recht als Heroismus gefeiert wird. Nicht die von ihnen angewandte Gewalt, sondern der Mißbrauch der Gewalt durch italienische Staatsorgane gegenüber Südtirol ist unsittlich. Die Südtiroler Freiheitskämpfer sind keine Aufrührer; sie handeln nicht illegal, sondern üben die Gewalt aus als legales und gebotenes Mittel zur Herstellung einer Ordnung der Gerechtigkeit, indem sie für die Existenz ihres Volkes in reinem Idealismus Gesundheit, Beruf und Leben einsetzen. Dennoch wird der Südtiroler Freiheitskampf von manchen Kreisen verdächtigt oder mit Schweigen umhüllt, weil man auch den italienischen Staat, obwohl er, wie namentlich die Verbrechen der Karabinieri und die Methoden der Rechtsbeugung im Trienter Prozeß verdeutlicht haben, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt, in die Idee einer europäischen Staatengemeinschaft einschließen möchte. Man ist also bereit, Südtirol aus „höheren Gesichtspunkten“ dem italienischen Polizeistaat zu opfern, wie es unter Hitler schon einmal geschehen ist, ganz abgesehen davon, daß es eine Illusion und reines politisches Schwärmertum ist, mit dem enthemmten italienischen Chauvinismus den Gedanken eines Europastaates verwirklichen zu wollen. Jedenfalls ist unter den gegebenen Bedingungen der aktive Widerstand das einzige Mittel, welches Südtirol vor der endgültigen Vernichtung durch Italien bewahren kann, und deshalb eine Entscheidung von hohem sittlichen Wert.

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