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... der Arbeiter aber sind wenige

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Seit dem Konzil von Trient — und nicht früher — gibt die Kirche bindende Vorschriften über die Ausbildung der Priesterkandidaten, über die Einrichtung von Priester- und Knabenseminaren. Das Thema für oder wider ist tabu und so kann eine Diskussion darüber nur akademisch sein. Es geht uns hier auch um nichts anderes als um ein Gespräch über die Form und Erziehungsmethode der Knabenseminare.

Ich selbst war ein Jahr lang Präfekt in einem solchen, habe dort eine schönte Zeit erlebt umd fast gemeint — vielleicht aus der Sicht der Vorstellung — die Probleme seien weniger zahlreich und vordergründiger lösbar. Nun ergaben etliche Gespräche mit Absolventen dieser Knabenseminare eine grundsätzliche Fragwürdigkeit mancher Erziehungsmethoden. Nicht nur, weil nicht mehr so viele Maturanten wie früher ins Priesterseminar übertreten, sondern überhaupt und weil das oft besprochene — sicherlich auch viel mißbrauchte — „aggiornamento“ nicht vor den Pforten der Knabenseminare Halt machen dürfe.

Die Frage der Berufung

Das Problem beginnt bei der Berufung zum Priestertum. Eine klare eindeutige Berufung wie bei Paulus ist seltener als die meisten Christen glauben. Vielmehr erwächst aus der Neigung und Eignung die Liebe zum Priestertum langsam, oft wirklich wie eine zarte Pflanze... Die Knabenseminare haben diese Pflanzen treu zu hüten und zur Entfaltung zu bringen, wenn auch oft mit zehn oder zwölf Jahren nicht einmal die Knospe zu sehen ist. Aber in sehr vielen Buben ist bei einem bestimmten Alter ein wirklicher Zug zum Priestertum hin feststellbar, der sich bei Familie und öffentlicher Schule verlaufen könnte. Dieser erste Trieb soll erhalten bleiben, beziehungsweise gefördert werden.

Daraus ergibt sich von selbst ein Trend zur Bewahrung. Upd aus der ältesten pädagogischen Alternative, ob Bewahrung oder Bewährung, wird das Knabenseminar immer eher zur Bewahrung neigen. Und genau das klang aus den erwähnten Gesprächen als stärkster Vorwurf heraus: kein Mut zur Bewährung!

Volle Freiheit würde wohl nur ein Ignorant fordern. Auch die Bewährung beruht auf Ordnung. Also wie? Pius XII. schreibt in seiner für unser Thema wesentlichen Enzyklika „Menti nostrae“: „Mit zunehmendem Alter der Schüler muß die strenge Überwachung und jegliche Zügelung allmählich gelockert werden, um die jungen Leute nach und nach an eine selbständige Lebensführung und an verantwortungsvolles Handeln zu gewöhnen... Die freie Meinungsäußerung zu aktuellen Problemen schult die jugendlichen Geister in der richtigen Bewertung der Dinge und erzieht sie zur Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.“

Es geht vielleicht nicht so sehr um disziplinäre Probleme als um die geistige Freiheit, die eine Grundvoraussetzung zur Persönlichkeitsentfaltung ist. Die Beschäftigung mit der modernen Literatur und Philosophie darf keinen anderen Index als den des Gewissens kennen und das Gewissen wird nicht mittels Verboten gebildet, schon gar nicht auf Lebensdauer. Unkenntnis schützt nicht vor Krisen und manche Jungpriester aus den Knabenseminaren müssen für diese „Bewahrung“ schwer bezahlen.

Die philosophische Auseinandersetzung mit den Strömungen der Gegenwart erfordert sehr viel Wissen, viel Lesen, viele Gespräche, auch wenn die Lektüre ohne kirchliche Druckerlaubnis angeboten wird. Ansonsten droht eine erschreckende Einseitigkeit im Denken, die im Extremfall zu einer klerikalen Sturheit erstarrt, weil dann alles andere „vom Teufel“ ist, was nicht ein Heiligenleben oder Thomas von Aquin beinhaltet.

Ferner geht es — nach obigen Gesprächen — auch gegen die totale Uniformierung des Lebens. In einer solchen Hausgemeinschaft besteht zweifellos die Gefahr, daß die notwendige Ordnung Gewohnheit und Selbstzweck wird. Viel ärger noch wäre freilich eine programmierte Vereinheitlichung der Charaktertypen zum „braven“ Seminaristen. Immer werden es die Extravertierten in einem Seminar schwerer haben, sie sind die Lauteren, die Schlimmeren ... und doch werden sie vielleicht stärkere Persönlichkeiten. Aber wahrscheinlich in einem anderen Beruf! Mehr gefragt ist der ruhige, stille Typ, der gerne Anordnungen ausführt, ohne viel zu diskutieren.

Unter Uniformierung wird wohl auch verstanden werden, daß es keine Entscheidungsmögliehkeiten gibt; das heißt entweder Hausordnung oder nicht. Schwarz oder Weiß! Aber nicht die eigenständige Zeitoder Freizeiteinteilung, auch nicht die herrliche Freiheit, zwischen 20 Möglichkeiten eine begründete und vernünftige Wahl zu treffen. Das ist wohl der wunde Punkt in einer Seminarerziehung. Die „Rache“ folgt nach dem Selbständigwerden der Einzelnen: Schwarz oder Weiß bis in den Tod! Vielleicht ist das der Mangel an Persönlichkeit, den so viele nachher beweinen.

Uniformierung im Religiösen

Die Uniformierung betrifft natürlich erst recht den religiösen Bereich. Ordnung ist gut, Gemeinschaft sehr gut, Gleichklang ermüdend, Gewohnheit tötend. Wir können und wollen hier nicht ins Detail gehen. Eines nur soll gesagt sein, dort, wo das gelegentliche Fernbleiben vom an sich in diesem Alter problematischen täglichen Kommunionempfang als erstes Zeichen des Mangels an geistiger Berufung gewertet wird, sind gröbsten Fehlhaltungen Tür und Tor geöffnet!

Ein weiterer Punkt zur Kritik ergab sich im Verhalten zu den Mädchen. Sicherlich ist dieses Problem bei Burschen zwischen 10 und 18 in einer geschlossenen Gemeinschaft äußerst schwierig zu behandeln. Aber auch hier treibt die Tendenz zur Bewahrung oft seltsame Blüten. Es geht uns um folgendes: Pubertäre Schwierigkeiten können in- und außerhalb der Seminare auftreten und gelöst werden. Aber ein Mäd chen nur als die große Berufsgefahr erleben zu dürfen und bis zur Matura, beziehungsweise bis zur Weihe die Augen — auch in den Ferien — züchtig zu Boden senken zu müssen, wird dieses Problem nur aufschieben und stauen, bis irgendwann „die Augen aufgehen“ und dann bei einigen auch die inständigsten Gebete zu Unserer Lieben Frau nichts mehr nützen, um sauber den Zölibat zu bewältigen. So weit aus den Gesprächen.

Wir fassen zusammen. Mancher Jungpriester, der in beiden Semi- narien war, empfand als Mangel an seiner priesterlichen Existenz die zu geringe geistige Selbständigkeit und als Folge davon seine eigene schwache Persönlichkeit, die er dann täglich in seinem schweren Beruf schmerzlich erfahren mußte.

Das Grundkonzept der Seminarerziehung ist nach einem „kleinen Kloster“ erstellt; daran ändern auch die großzügigsten Sportstätten nichts und daran wird auch die Zukunft wenig ändern können, weil es im Zusammenhang mit der Spiritualität des Weltpriesters steht, die in den vergangenen Jahrhunderten immer als verlängerte Mönchsspiritualität angesehen und auch gelebt wurde.

Der Umbruch zu einer eigenen Spiritualität des Weltpriesters unserer Tage ist nicht leicht, die Geburtswehen sind sicher schmerzhaft. Noch schmerzlicher aber berührt die Tatsache, daß niemand die Notwendigkeit dieser Geburt zur Kenntnis nehmen will.

Neue Wege

Ein Weg zum Priestertum, der ganz von unten mithilft, diese Spiritualität aufzubauen, der die Knabenseminare nicht verdrängen wird, aber ein wichtiges Korrektiv werden könnte, soll noch auf gezeigt werden:

Öft wurde die Klage laut, die Seminarerziehung könne nie eine gute Familie ersetzen, die natürliche Zelle des Heranreifens junger Menschen. Darüber kann man diskutieren. Anderseits wäre ohne Knabenseminar manchem Burschen der Weg zum Studium und damit der Weg zum Priestertum aus rein äußeren Gründen versperrt (Bauernfamilie, Anfahrtsweg usw.). Dazwischen gibt es junge Leute, die ihre Neigung zum Priesterberuf nie recht in ihrer Umgebung, in ihrer Schule, in ihrem Elternhaus, unter ihren Kameraden fördern, nicht einmal recht mitteilen können. Müssen auch die ins Seminar, um behütet zu werden?

Eine Bewegung unserer Tage nennt sich KJM, Kreis junger Missionäre. Sie will — kurz und sehr vereinfacht — jenen Buben, Ministranten, Studenten, die eine ernste Absicht haben, später Priester zu werden, aber in ihren Bereichen — Familie und Schule — weiter aufwachsen, das geistliche Rüstzeug bieten. Sie kommen regelmäßig in ihrem Kreis zusammen, lesen die Heilige Schrift, versuchen in jeder Altersstufe entsprechend das Evangelium zu leben, für sich und ihr Ziel immer mehr Reife zu gewinnen. Ihre Kameraden sind aus anderen Schulen, anderen Familien, vielleicht anderen Orten, aber alle mit derselben Absicht und Neigung, die meisten sind Eliteträger in den Jugeridgemeinschaften. Aber genaue Methoden müßten unbedingt eigens geschrieben werden. Uns kommt es auf folgendes an: Diese Buben und jungen Männer wachsen in der gleichen Atmosphäre auf, die sie später als Seelsorger bewältigen müssen. Sie kennen die Krisen ihrer Kameraden, ihrer Eltern, der Pfarr- gemeinde, die Lage des religiösen Lebens, den Durchschnittsgottes- dienst, die öffentliche Schule, gottlose Propaganda... das alles aus blutvoller lebendiger eigener Anschauung, nicht nur aus Ferienausschnitten, über die noch der Seminarblickwinkel trübend Vieles nicht deutlich werden läßt. Und doch müssen sie für ihr Ziel und die Bewährung das alles durchstehen, ihre Gemeinschaft stärkt sie darin.

Wir behaupten abschließend, daß die Weltpriester, die unsere Zeit und unsere Welt heute braucht und haben möchte, nicht nur beten können müssen, sondern durch ihre gesamte Entwicklungszeit, am besten von Kind auf, in dieser Welt, inmitten ihrer Anfechtungen gestanden sein müssen, um glaubhaft und wirksam priesterliche Existenz nach dem Vorbild Christi mit ihrer Gemeinde zu leben.

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