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Digital In Arbeit

Der Journalist als Richter

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Die beiden Formen, die in Anspruch nehmen, eine Herrschaft des Volkes zu sein, sind der Einparteien- und der Mehrparteienstaat. Beiden liegen kennzeichnende Vorstellungen vom Wesen der Partei und des Menschen zugrunde. Der Entfaltungsbereich des Journalisten, die Verantwortung und die mögliche Zielrichtung jeder journalistischen Arbeit sind davon abhängig.

Im Einparteienstaat — historische Beispiele sind die Staaten Stalins oder Hitlers — ist die Partei der präsente Gottesersatz, der für alles verantwortlich ist, dem aber auch alles verantwortlich wird. Ihr Recht, für das Volk zu handeln, leitet eine Monopolpartei von einem aus der Geschichte oder den Naturgesetzen kommenden Auftrag ab. Für alle Maßnahmen des Staates scheint damit eine objektive, der Meinung des einzelnen entzogene Richtschnur gefunden zu sein. Die Presse in einem solchen Staate hat daher nie die Aufgabe, dem einzelnen bei der Bildung einer Meinung zu helfen, sondern die von der Partei vor- : gebildete Meinung dem Volke zu verdeutlichen und auch die härtesten Maßnahmen zu rechtfertigen.

Die Gedanken, die dem Aufbäu eines Mehrparteienstaates zugrunde liegen, sind nicht so leicht zu durchschauen. Kelsen meinte einmal, die Weltanschauung jedes Demokraten sei der Relativismus, der Zweifel an allen Wertbegriffen. Diese Ansicht ist nicht schlüssig. Ein Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Willens kann auch aus der Rücksichtnahme auf die abweichende Meinung eines anderen, auf eigener friedfertiger Gesinnung beruhen, auf dem tiefen Glauben an eine allen Menschen eingeborene brüderliche Gesinnung, die es nur zu wecken und gegen schlechte Einflüsse abzuschirmen gilt.

Die „Meinung” und die Presse

Der Idee nach kann auch in einem Mehrparteienstaat jeder seine eigene Meinung haben. In der politischen Wirklichkeit muß sich jeder für eine bestehende politische Partei, deren Programm und deren Vertreter im allgemeinen Vertretungskörper, dem

Parlament, entscheiden. Denn erst dort wird endgültig durch die Abstimmung entschieden, welche der vorliegenden Meinungen gelten soll.

Grundsätzlich hat allerdings jede

Meinung in einem Mehrparteienstaat die Möglichkeit, sich bei der nächsten Wahl durchzusetzen und die herr schenden Meinungen und deren Vertreter zu verdrängen. Darüber hinaus sind in einem derartig geformten Staat — neben der Politik — andere Gebiete, etwa die Religion, als selbständige Bereiche des öffentlichen Lebens anerkannt. Der Mehrparteienstaat ist somit nicht nur mehr als eine Partei, sondern auch mehr als alle Parteien zusammengenommen.

Durch die Teilnahme des ganzen Volkes kommt allerdings in die Führung des Staates ein Element der Unsicherheit. Man denke an den verschieden ausgeprägten Sinn für die Angelegenheiten der Gemeinschaft, an die ungleichen politischen Kenntnisse. Deshalb sollen die herrschenden Meinungen keinen Ewigkeitswert haben, sondern überprüft, den Tatsachen angepaßt, verbessert werden können. Ein wesentliches Mittel zu dieser Bildung und Umbildung der öffentlichen Meinung ist die Presse, und es ist kein Zweifel, daß sie damit in einem demo kratisch regierten Staatswesen eine wesentliche Aufgabe hat.

Wie erbringt die Presse ihre Aufgabe? — Sie erwirbt Nachrichten, die sie auswählt, zusammenstellt und kommentiert, drucken läßt und nunmehr verkauft. Die Presse wickelt also die Beschaffung und die Weitergabe von Nachrichten und Meinungen geschäftsmäßig ab. Die privatwirtschaftliche Form der Nachrichten- und Meinungsverbreitung hat einen tiefen Sinn. Nur das sichert die Freiheit der Presse. Nur in dieser Form gibt es Pressefreiheit.

Die Verstaatlichung aller Nachrichtenbeschaffung, der Zeitungserzeugung und des Vertriebes zieht un weigerlich die Kontrolle des Zeitungsinhalts durch den Staat nach sich. Nur eine wirtschaftlich freie Presse kann eine demokratisch wertvolle Presse sein, die für die Meinungsbildung in einem Mehrparteienstaat wegen der aufklärenden und berichtigenden Funktion vonnöten ist. Erst und nur so kann der Journalist ein Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit werden, kann er ungehindert den Staatsbürger auch zur Bedachtnahme auf das Gewissen mahnen, wie das etwa besonderes Anliegen der katholischen Presse ist.

In diesen Tagen liegt dem Nationalrat der Entwurf eines neuen Pressegesetzes vor, das „die öffentliche Aufgabe” bei Verbreitung von Nachrichten, die im „Interesse der Allgemeinheit” sind, verfassungsgesetzlich verankern will. Diese Verfassungsbestimmung hat in der Öffentlichkeit teils lebhafte Zustimmung, teils heftige Ablehnung hervorgerufen. Die Presse braucht zweifellos im Interesse einer freien Meinungsbildung einen besonders geschützten Bewegungsraum. In der Praxis kann jedoch die der Presse zugesprochene öffentliche Aufgabe zu einer wirtschaftlichen Kartellposition werden und zu einer Monopolstellung bei der Nachrichtenverbreitung entarten. Auf diese Weise kann das bloße Recht des Zeitungsherausgebers auf Wahrnehmung seiner öffentlichen Aufgabe dem tiefsten Sinn und Zweck der Pressefreiheit zuwiderlaufen und den Ruf nach Staatskontrolle laut werden lassen.

Das Recht des Staatsbürgers auf Information

Die Gefahren werden wesentlich gemindert, wenn dem einzelnen Staatsbürger selbst ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Information zusteht. Die Wahrheit der einzelnen Nachricht ist doch ungenügend, tritt ihr nicht der unbedingte Wille der Zeitung zur Seite, unter Berücksichtigung aller Nachrichten das Gesamtbild der jeweiligen Lage richtig wiederzugeben. Die Durchsetzung dieser Belange übersteigt den Rahmen des Presserates. Hier geht es nicht mehr um das Berufsethos des Journalisten, sondern um den ungreifbaren Einfluß der Interessentengruppen und der Auftraggeber.

Die Stellung und Bedeutung der Presse erfordert daher wohl statt einer mißverstehbaren, in den entscheidenden Belangen unwirksamen Klausel verfassungsges’etzlich eine Aufgliederung. Der tragende Gesichtspunkt hat dabei der Anspruch des Staatsbürgers auf wahrheitsbestrebte Information durch eine Mehrzahl voneinander unabhängiger und damit einander kontrollierender Presseorgane zu sein. Das bedeutet:

• einen Schutz der Presse vor wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen (Verstaatlichungen) und vor Kartellzwang; beim Erscheinen der Presseerzeugnisse müssen alle Erschwerungen unzulässig sein, die nicht auf einem ordnungsgemäß festgestellten Verstoß gegen das Strafgesetz beruhen;

• eine Zuziehung von Journalisten als Laienrichter in allen Strafverfahren, denen Pressedelikte zugrunde liegen, um, ähnlich wie im arbeitsgerichtlichen Verfahren, der besonderen Berufsstellung der Journalisten gerecht werden zu können;

• ein Verbot, die Geheimhaltung der Informationsquelle an sich mit Strafe zu belegen oder bei der Verurteilung als Erschwerungsumstand zu werten, um der Presse eine ungehinderte Berichterstattung zu ermöglichen, für deren Richtigkeit sie allerdings einstehen muß;

• ein jedem Staatsbürger zustehendes Recht auf ungehinderte Erwerbsmöglichkeit aller Nachrichten und Kommentierungen, die für sein ziviles und moralisches Verhalten gegenüber dem Staat notwendig sind.

Auf diese Weise wird eine Klärung und Schärfung des Umfanges und des Inhalts der Pressefreiheit erzielt. Die öffentliche Aufgabe der Presse wird durch den Eigentumsschutz und die besondere Stellung im gerichtlichen Strafverfahren anerkannt. Mit der Einbeziehung des einzelnen Staatsbürgers können die der Presse eingeräumten Befugnisse nicht mehr mit einem Freibrief zu einem Eindringen in die In- titnssphäre oder zur Verleumdung Andersdenkender verwechselt werden. Die Presse kann als stiller Beauftragter des Lesers nicht mehr Rechte haben als dieser selbst. Die sinnvolle Krönung und Begrenzung der Pressefreiheit ist daher das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht jedes Staatsbürgers auf Informationserwerbung. Nur im Dienste eines solchen Grundrechtes kann der Presse eine öffentliche Aufgabe zukommen. Die Volksvertreter haben die Entscheidung!

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