Der lange Schatten des schiefen Turms

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Diese Woche geht PISA

in die dritte Runde - und hat seinen Fixplatz im kommenden Nationalratswahlkampf schon sicher. Mittendrin: Günter Haider.

Alle waren sie vertreten: Lehrerinnen, Schulinspektoren, Bezirksvorsteher, Elternvertreter - und eine quirlige Menge (post)pubertärer Schülerinnen und Schüler. Nur eine Abordnung hatte sich vergangenen Freitag nicht ins "Haus der Begegung" der Volkshochschule Wien/Donaustadt verirrt, um den Vorträgen von PISA-Österreich-Koordinator Günter Haider und Rainer Domisch vom finnischen Zentralamt für Unterrrichtswesen zum Thema "Nach PISA - Schule anders" zu lauschen: Vertreter des Bildungsministeriums.

Gespannte Stimmung

Keine Frage: Zwischen dem ehemaligen Leiter der Zukunftskommission und dem Minoritenplatz hängt - spätestens seit Haiders furche-Interview vom September 2005 ("Die neue Schule gibt es nicht") - der Haussegen schief. Dass Haider seine Schul-Visionen zuletzt im Rahmen einer öffentlichen Klubsitzung der Grünen referierte, die ihrerseits Bildung zu einem Hauptthema im Nationalratswahlkampf machen wollen, sorgte im Ministerium - und bei der Lehrer-Gewerkschaft GÖD - für zusätzlichen Unmut.

Der Salzburger Bildungsforscher bleibt davon unbeeindruckt. Auch im "Haus der Begegnung" macht er seinem Ärger über das schulpolitische Prozedere Luft - rechtzeitig vor den ersten Tests von PISA 2006 (Programme for International Student Assessment) in sechs österreichischen Berufsschulen (die eigentliche Testung beginnt am 20. April). "PISA versucht nicht bloßes Faktenwissen, sondern die Problemlösekompetenz in verschiedenen Bereichen zu erfassen", erklärt Haider. "Doch unser Unterricht ist durch sequenziell angelegte Vergessensabschnitte geprägt." Nur fixe Bildungsstandards könnten nachhaltiges Lernen fördern und auch mehr Transparenz über die tatsächlichen Schülerleistungen bringen. Seit 2000 werde dieser "sehr gute Ansatz" verfolgt. Mehr als Entwürfe für das Fach Mathematik gebe es freilich nicht.

Mindestens so problematisch sei es, so Haider, dass das gegliederte österreichische Schulsystem laut PISA 2003 sowohl bei der Unterstützung schwächerer Schüler wie auch bei der Förderung von Spitzenkräften Probleme habe. "In Österreich haben nur acht Prozent aller 15-und 16-Jährigen Spitzenleistungen im Lesen erreicht, in Finnland waren es 15 Prozent. Gleichzeitig waren in Österreich 20,7 Prozent beim Lesen in der Risikogruppe, in Finnland nur sechs Prozent", weiß Haider. Auch die österreichischen Gymnasien hätten gegenüber den Gymnasial-Leistungen in der Schweiz, Deutschland oder Tschechien "keine Bäume ausgerissen". Geht es nach ihm, führen nur "stärkere Individualisierung und innere Differenzierung" in einer gemeinsamen Schule aller Sechs-bis 15-Jährigen zu einem besseren und sozial gerechteren Unterricht.

Skandinavisches Ideal?

Ganz nach finnischem Vorbild also? Nicht eins zu eins, beeilt sich Haiders "Kronzeuge", Rainer Domisch, im furche-Interview zu betonen. "Aber man kann von einem anderen Land natürlich lernen." Allein im Vorjahr hätten ihn rund 1600 Einzelbesucher aus 57 Ländern besucht, um das Schulsystem des PISA-Testsiegerlandes zu studieren - ein Gesamtschulsystem, das zwischen 1972 und 1977 eingeführt wurde und bei Eltern und Gymnasiallehrern anfangs "auf enormen Widerstand" gestoßen sei. "Nach wenigen Jahren hat sich das aber gelegt", meint Domisch. Das Geheimnis des Erfolgs sei simpel: jährliche nationale Evaluierungen (ohne öffentliche Rankings), schulische Personalhoheit und kommunale Schulautonomie, bei der die Kommunen 43 Prozent und der Staat 57 Prozent (bei Sonderbedarf auch mehr) der Kosten pro Schüler übernehmen. Herzstück sei freilich das umfassende Stützsystem - mit Schulpsychologen, Gesundheitsfürsorgern und Sonderpädagogen, die dafür sorgen würden, dass "kein Kind verloren geht".

Ein Ansatz, dem auch Christa Koenne, Direktorin des Gymnasiums Geringergasse im elften Wiener Gemeindebezirk und Leiterin der PISA-Science-Gruppe Österreich, etwas abgewinnen kann. Weniger einverstanden ist sie mit Günter Haiders kritischer Sicht der Entwicklungen im österreichischen Schulsystem: "Ich sehe schon auch eine Aufbruchstimmung: Die Autonomie wird in den Schulen zunehmend wahrgenommen", erklärt sie gegenüber der furche. Sie selbst habe im Rahmen der vom Bildungsministerium finanzierten Initiative imst (Innovation in Mathematics and Science Teaching) versucht, über 800 Lehrerinnen und Lehrer zu einer größeren Professionalität beim Prüfen hinzuführen. Entsprechend gespannt ist sie auf die Ergebnisse des nun anlaufenden dritten Durchgangs von PISA, in dem sich die rund 5.000 stichprobenartig ausgewählten Schülerdes Geburtsjahrgangs 1990 schwerpunktmäßig mit Fragen aus dem Bereich Physik, Chemie und Biologie befassen müssen. "Wir werden wohl nicht glorreich abschneiden", prophezeit Koenne, "aber sicher besser als das letzte Mal."

Strittige Daten

Sehr wahrscheinlich: Schließlich sind die österreichischen Schülerinnen und Schüler im Bereich Naturwissenschaften zwischen PISA 2000 und PISA 2003 regelrecht abgestürzt: von 519 auf 491 Punkte, wenn man Günter Haider glaubt; oder von 510 auf 492 Punkte, wenn man den Berechnungen des Statistikers Erich Neuwirth folgt, der die PISA-Ergebnisse im Auftrag des Bildungsministeriums neu berechnet hat.

"So ist es halt bei uns", kommentiert Günter Haider im "Haus der Begegnung" die Reibereien: "Andere Länder überlegen bei schlechten Daten, was sie verändern können. Und in Österreich bezieht derjenige, der sie liefert, Prügel."

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