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.. der letzte Feind..

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„Ich werde Maurer, dann behalte ich ein sauberes Gewissen”, sagte ein junger Katholik, der gerade seine Matura bestanden hatte. Er war in einer ostdeutschen Stadt aufgewachsen, hatte dort die Schule besucht und bisher alle kommunistischen Einflüsse erfolgreich ab- wehren können. Er war nicht Mitglied der FDJ (Freie Deutsche Jugend, die kommunistische Jugendorganisation) geworden und war auch nicht zur Jugendweihe gegangen, obwohl ihm das sicher sehr geschadet hat.

Jugendliche, die nicht zur Jugendweihe gehen, erschweren sich so ihre beruflichen Aussichten; die „Fortschrittlichen” werden überall bevorzugt. Wenn Eltern ihre Kinder nicht zur Jugendweihe schicken, werden sie deshalb nicht nur öffentlich diffamiert (etwa in der Werkzeitung ihres Betriebes), sondern sie riskieren auch eine berufliche Zurücksetzung oder auch ganz den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Und ein drittes Beispiel mag zeigen, wie skrupellos junge Christen zum Atheismus gezwungen werden: Von der Schulleitung werden oft Klassen, die sich geschlossen zur Jugendweihe melden, in irgendeiner Weise ausgezeichnet, entweder durch eine Fahrt zur Leipziger Messe oder eine Fahrt nach Berlin. Es ist klar, daß dann diejenigen der Klasse, die nicht jugendgeweiht sind, von den anderen mit allen nur denkbaren Mitteln so lange unter Druck gesetzt werden, bis auch sie zur Jugendweihe gehen und die Klasse die ersehnte „Lockreise” unternehmen kann.

Im Jahre 1960 haben etwa 80 Prozent aller aus der Schule entlassenen Kinder an der Jugendweihe teilgenommen. Für die katholischen Schüler gelten dabei folgende Zahlen: Im Jahre 1959 hatten noch 28 bis 45 Prozent der katholischen Schulabgänger an der Jugendweihe teilgenommen; im Jahre 1960 waren diese Zahlen auf Grund der verstärkten Propaganda und des verschärften Drucks auf Eltern und Schüler schon bis zu 59 Prozent angestiegen.

Einer von denen, die allen Anfechtungen zum Trotz auch am Tag ihrer Matura noch so dachten, war jener Maturant, der sich für die Maurerlehre entschlossen hatte. Das Studium an einer Universität kommt immer mehr einem Bekenntnis zum Atheismus und einer Verpflichtung zum Sozialismus gleich, denn Ulbricht hatte schon 1958 vor Wissenschaftlern in Halle erklärt: „In den

Vorlesungen an der Universität kann man den Theismus überhaupt nicht vertreten. Niemand hat das Recht dazu. Theismus verträgt sich überhaupt nicht mit der Wissenschaft, hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Man darf nicht Kirche und Universität verwechseln.” („Neues Deutschland”, 29. April 1958.) Sicher ist es für einen Christen eine Gewissensfrage, unter diesen Umständen an einer der Universitäten zu studieren. Was aber ein Entschluß

Mit Seelsorgestellen werden alle Orte bezeichnet, in denen Geistliche wohnen, wie etwa Pfarreien, Vika- rien, Kuratien oder Lokalien. Außerdem gibt es in der deutschen Sowjetzone noch rund 4000 Gottesdienststationen an anderen Orten, die von den verschiedenen Seelsorgestellen aus betreut werden.

Von den 613 Kirchen und Gemeindehäusern, welche die katholische Kirche vor dem Krieg in diesem Gebiet besaß, waren nach Kriegsende 23 Kirchen vollständig zerstört, 75 beschädigt und 515 noch unbeschädigt. 56 Kirchen konnten bis 1956 wiederaufgebaut werden, 69 wurden neu gebaut. Zusätzlich richtete man in Baracken oder Prd- vathäusern noch 36 Notkirchen ein. Dadurch, daß sich nach dem Krieg die katholische Gemeinde in Mitteldeutschland verdoppelt hatte, entsprach der vorhandene Kirchenraum nicht mehr den Anforderungen. Es bedarf kaum einer Erwähnung, daß die Genehmigung für den Kirchenbau von den staatlichen Stellen immer seltener gewährt wird. Nur dadurch, daß die evangelischen Gė- rneinden hier mit ihren Gotteshäusern aushelfen, können an vielen Orten die Katholiken die Heilige Messe feiern.

Kirche oder Kultkirche?

In engem Zusammenhang mit dem Problem des fehlenden Kirchenraumes steht die Frage des Priesternachwuchses. Vor der Teilung Deutschlands gab es in Mitteldeutschland keine katholische theologische Fakultät oder Hochschule. wie der des zitierten Maturanten für die Kirche in Mitteldeutschland bedeutet, kann jeder leicht ermessen. Und die Sorge der Kirche um ihre Zukunft wird auch von solchen Problemen ständig genährt.

Seit der Reformation leben die Katholiken in diesem Land, das heute den Namen „Deutsche Demokratische Republik” trägt, in der Minderheit. Nur an wenigen Stellen kann man geschlossene katholische Siedlungen finden; im allgemeinen leben die Katholiken weit verstreut über das ganze Land.

Nach 1945, mit der Teilung Deutschlands, ergaben sich entscheidende Änderungen. Die Grenze zerschnitt das Erzbistum Paderborn, die Bistümer Osnabrück, Fulda und Würzburg; die mitteldeutschen Diasporagemeinden wurden von den Bischofsitzen und ihrem katholischen Mutterland getrennt. Was zunächst noch möglich gewesen war, nämlich der Besuch von westdeutschen Oberhirten in diesen Gemeinden, wird seit 1958 nicht mehr zugelassen, und es mußten kommissarische Vertreter eingesetzt werden. Umgekehrt wird den ostdeutschen Bischöfen seit dem 13. August 1961 die Ausreise zur Fuldaer Bischofskonferenz oder anderen gesamtkatholischen Treffen nicht mehr gestattet. Der in Ost-Berlin lebende Bischof von Berlin, Dr. Alfred Bengsch (1962 wurde ihm der persönliche Titel Erzbischof verliehen), hat als einziger von Zeit zu Zeit die Möglichkeit, die zu seinem Bistum gehörenden Gläubigen in West-Berlin zu besuchen.

Als nach 1945 die Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten (Schlesien, Ost- und Westpreußen, Hinterpommern und dem Sudetenland) nach Ostdeutschland kamen, verdoppelte sich hier die Anzahl der Katholiken. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung Mitteldeutschlands und Ost-Berlins, das sind rund 1,6 Millionen, sind Glieder der. katholischen Kirche. Die folgende Tabelle wird das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Gemeindegliedern und Seelsorgern in den einzelnen Bistümern erläutern:

Die angehenden Priester studierten in Schlesien, Ostpreußen oder an einer westdeutschen Universität. Nach 1945 standen ihnen die westdeutschen Fakultäten nur noch so lange zur Verfügung, bis die sowjetzonalen Regierungsstellen 1951 den in Westdeutschland ausgebildeten Priestern die Zuzugs- und Aufenthaltsgenehmigungen nicht mehr ausstellte. Aus diesem Notstand heraus wurde das katholische Priesterseminar in Erfurt aufgebaut. Es erhielt 1959 die päpstliche Anerkennung. Außer diesem Seminar verfügt die katholische Kirche Mitteldeutschlands noch über die beiden Priesteralumnate in Neuzelle und auf der Huysburg bei Halberstadt; beide dienen der unmittelbaren Vorbereitung auf die Priesterweihe. Erfreulicherweise steht der Priesternachwuchs in Mitteldeutschland dem in Westdeutschland nicht nach. Aber die Diasporaarbeit, erschwert durch die ständige Schikane der kommunistischen Diktatur, verzehrt die Kräfte des Klerus hier schneller als irgendwoanders. Deshalb ist der zahlreiche Nachwuchs an Theologen in diesem Gebiet besonders wichtig.

„Die Kirche ist der letzte organisierte Feind in der Deutschen Demokratischen Republik”: so lautet der Schlachtruf für die kommunistische Religionspolitik in der „DDR”. Das Ziel dieser Politik ist eine völlige Isolierung der Kirche und ihre Herabminderung zu einer Art Kultkirche, die keinen Einfluß mehr auf die Gesellschaft ausübt. Die christliche Religion soll vom Marxismus- Leninismus „ersetzt “ werden. So hat Walter Ulbricht 1958 seine „zehn Gebote” für den sozialistischen Menschen verkündet, von denen das vierte folgendermaßen lautet: „Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen.” Der Genosse Wolfgang Langhoff, Schauspieler und Intendant des Ost-Berliner „Deutschen Theaters”, verglich nach der „Verkündigung” dieser zehn Gebote Ulbricht mit Moses und meinte: „Moses hat eine neue Welt, eine neue sittliche Haltung in seinem Volk einleiten wollen. Der Unterschied besteht darin, daß Moses gesagt hat, er habe diese Gesetze auf dem Berg Sinai von Gott erhalten, während unser Genosse Walter Ulbricht diese Gesetze aus den gesammelten Erfahrungen des Kampfes der Arbeiterklasse, der er sein Leben gewidmet hat, erhalten hat.”

Wo ein solcher Vergleich ohne Scheu in der Öffentlichkeit angestellt wird, macht man auch nicht davor Halt, die christlichen Riten wie Taufe, Firmung, Kommunion, Trauung und Bestattung in den sozialistischen Lebenszyklus einzuordnen und sie in sozialistische Namensgebung, Jugendweihe, sozialistische Trauung und sozialistische Beerdigung umzubenennen. Dazu werden folgende „Grundsätze” ver breitet: „Die Ausbeuterklassen haben jenen Ereignissen idealistische, religiöse Deutung und kirchlich-feierliche Formen gegeben, um das Volk an sich zu binden und ihrer Herrschaft zu unterwerfen… Die Arbeiterklasse der Deutschen Demokra tischen Republik und ihre führende Partei beginnen mit der dialek tisch-materialistischen Staatsmacht die Geburt, die Eheschließung und den Tod feierlich als Ereignis des Lebens der werdenden sozialistischen Gesellschaft zu würdigen.”

„Hat das Leben einen Sinn?”

Die atheistische Propaganda findet in dieser Diktatur, der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik” überall ihre festen Ansatzpunkte. In der Schule hören die Kinder von Anfang an nichts anderes. Das Familienleben soll soweit als möglich zugunsten der „großen sozialistischen Familie” aufgegeben werden. Konfessionelle Kinderheime werden zur Schließung gezwungen. Eine Mutter in der kleinen Stadt M. weigerte sich, ihr Kind aus einem der kirchlichen Heime herauszunehmen. Daraufhin wurde ihr „im Interesse und zum Wohle des Kindes” die Personensorge hinsichtlich des Aufenthaltsortes entzogen. Ihr Kind wurde in ein staatliches Heim ein gewiesen. „Man hat uns wieder ein Kind abgeholt. Für die Zurückbleibenden ist es jedesmal, als wäre eines von ihnen gestorben”, sagten die Ordensschwestern.

Bei Strafprozessen gegen Priester ist man so vorsichtig wie möglich. Wird ein Priester einmal zu einer Gefängnis- oder Zuchthausstrafe verurteilt, dann wird in der Öffentlichkeit von irgendeinem Verbrechen gesprochen, für das jeder andere auch hätte verurteilt werden können. „Unter dem Deckmantel der Religion” oder „unter Mißbrauch der Religion” heißt es dann in den Presseberichten.

Trotz aller Propaganda und Anfechtung bleiben viele ihrem christlichen Glauben treu. Und wie wichtig es ist, gerade die Kinder in diesem christlichen Glauben zu erziehen, weil sie am allermeisten von der kommunistischen Propaganda bedrängt werden, betonen die Bischöfe in ihren Hirtenbriefen immer wieder: „Belehrt eure Kinder über Gott und Religion, Christentum und Kirche! Stellt richtig, was sich an Irrigem und Schiefem, Unklarem und Verworrenem bei ihnen anzusetzen, droht. Belehret sie über die Schöpfung und Erlösung und die anderen religiösen Wahrheiten!… Die Wahrheit ist wie die Sonne: Die Sonne diskutiert nicht — sie scheint.”

Auf dem Evangelisch-Katholischen Publizistentreffen Anfang Mai im Berliner Johannes-Stift berichtete Monsignore Klausener von einer kürzlich veranstalteten Umfrage der kommunistischen „Berliner Zeitung”. Thema Nummer eins dabei sei mit Abstand das folgende gewesen: „Hat das Leben einen Sinn?” Der Kommunismus habe darauf keine Ant-’ wort geben können. Für die Kirche aber biete sich hier eine große Chance, diese Frage zu beantworten.

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