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Der „Manager“

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Die Karriere des Amerikaners liegt nicht mehr in der Selbständigkeit, sondern in der Verwaltung anvertrauten Vermögens. Sein Traum, „sein eigener Herr zu sein“, läßt sich immer schwerer verwirklichen, und trägt gewöhnlich immer dürftigere Früchte. Unter den heutigen Verhältnissen der Vereinigten Staaten: den grotesk aufgeblasenen Löhnen und überhöhten Preisen, den enormen Kosten der kleinsten Fabrik oder des bescheidensten Ladens, dem starken, tief herunterreichenden Steuerdruck und den Kosten des täglichen Lebens — wird es immer schwerer, selbst vom stattlichen Lohn beider Ehepartner so viel zu ersparen, wie die Selbständigkeit kostet. Und dann ist es erst fraglich, ob sie der starken Konkurrenz und den Gefahren des Wirtschaftslebens standhalten kann. Alljährlich bricht jedes siebente der selbständigen kleinen Unternehmen zusammen und verschlingt die Frucht jahrelangen Sparens. Und der selbständige Mann bleibt meist ein kleiner Mann, der zu den Führern der großen Unternehmungen und der großen Gewerkschaften, auch wenn sie ihn nicht bedrohen, sondern sogar beschäftigen oder leben lassen, wirtschaftlich und sozial auf blicken muß.

Dafür arbeitet, dafür spart und studiert man nicht, es sei denn, daß Mann und Frau — die im Durchschnitt mehr für das Lebensziel bestimmend ist — ein ganz unbändiges Pioniergefühl für Selbständigkeit hätten, das sich nur mitunter, aber immer seltener, lohnt. Das beliebteste Ziel ist vielmehr, bei einem der zahlreichen großen Unternehmungen unterzukommen, denen reichliche Geldmittel zur Verfügung stehen; dort mit einem schönen Gehalt anzu fangen, alle die Annehmlichkeiten zu genießen, die sie ihren Angestellten bieten; langsam oder schnell aufzurücken, Gehalt, Ersparnisse und Lebenshaltung wachsen zu sehen, mit einer guten Chance, in die oberste Schichte der Wirtschaftslenker aufzurücken, deren sehr verschiedene Stellen mit dem Sammelbegriff „executives" zusammengefaßt werden, um sich dann eines stattlichen Gehalts, der in die sechsstelligen Zahlen gehen kann, und der Verfügung über große Wirtschaftsmacht zu erfreuen. Vom Gehalt nimmt die Steuer ein so gewaltiges Stück ab, daß er durch andere Vorteile, wie Aktienoptionen, ergänzt werden muß, aber die Macht und die Bewegung in den oberen Gesellschaftsschichten verstärken den Anreiz.

Wie bessert man also die Chancen dieses Aufstiegs? Vor allem durch Bildung, und weiter durch Beziehungen. Vor einigen Jahren haben die Versicherungsgesellschaften ausgerechnet, daß im Durchschnitt der Mensch in den Vereinigten Staaten, der schon nach der Volksschule zu arbeiten anfängt, die Aussicht hat, in seinem ganzen künftigen Leben 100.000 Dollar zu verdienen; nach der Mittelschule 200.000 und nach der Hochschule 300.000 Dollar. Diese Zahlen sind heute schon überholt, und um mindestens 20 Prozent zu erhöhen.

Das zeigt unter anderem, welch gute Anlage hier Erziehung ist. Sie mag, wieder an einem sehr plumpen Durchschnitt gemessen, Eltern, Gemeinde und Staat bis ans Ende der Volksschule 10.000, bis ans Ende der Mittelschule 15.000, bis ans Ende der Hochschule

25.0 Dollar kosten. Der wirtschaftliche Mindestwert des arbeitenden Menschen — Mittelwert zwischen Erzeugungskosten und Verdienst — steigt so von 65 000 auf 125.000 und

190.0 Dollar. Es gibt hier keine bessere Kapitalsanlage als Bildung!

Sie weist den Weg zum Aufstieg — viel mehr als einst. Das zeigt ein Vergleich mit der Jahrhundertwende. In diesem halben Jahrhundert hat sich hier vieles geändert, u. a. auch die Vorbildung der Männer, die die Steuerruder der Wirtschaft in Händen halten, unter denen sich jetzt auch viel mehr Frauen als einst befinden.

Das folgende gilt daher ohne Unterschied des Geschlechts.

Am Beginn des Jahrhunderts hatte also nur etwas mehr als ein Drittel ganz oder teilweise Hochschulbildung, in der Mitte schon zwei Drittel; der Anteil der Höchstgebildeten ist um 150 Prozent gestiegen; die der Männer (Frauen kommen in dieser Gruppe kaum in Betracht)

mit bloßer Volksschulbildung auf ein Viertel, jener mit bloßer Mittelschulbildung auf ein Drittel gesunken.

Das zeigt die höhere Schätzung der Bildung in der Führerschichte. Allerdings ist, besonders auf den unteren College-Stufen, die in Europa und in den Vereinigten Staaten vermittelte Bildung nicht ganz vergleichbar. Der Unterschied ist in Kürze schwer zu erklären. Er läßt sich vielleicht so kennzeichnen: der Amerikaner lernt weniger Fakten und Daten, aber mehr Entschließen und Handeln. Das ganze Schulwesen ist darauf abgestellt, ihn mehr zu einem harmonisch wirkenden Mitglied seines Kreises als zu einem Wisser und Denker zu formen.

Die Bildungsbilanz wäre noch günstiger, wenn nicht die Gewerkschaftsführer in die Klasse der Wirtschaftsführer einbezogen würden. Sie gehören aber hinein. Die Gewerkschaften sind Finanzunternehmen großen Stils geworden, die mitunter hunderte Millionen im Vermögen haben, die sehr ertragreich in Unternehmungen aller Art angelegt werden. Ihre Wohl- fahrtsfondsübersteigenschondie 2 5. Milliarde! Ihr Betriebskapital ist ihre Mitgliederzahl, die mit Gewalt erhöht wird, ihre Dividende Lohnerhöhungen aller Art, ihre Reserven bilden das Piedestal, auf dem ihre Führer stehen. Sie haben Einkommen wie die Industriekapitäne, finanziellen Einfluß wie diese, werden wie diese wegen ihrer Freigebigkeit mit verwaltetem Geld in die Verwaltungen von Hochschulen, Fonds und Spitäler gewählt. Der Lenker der Kohlenarbeiter, Lewis, ist der größte Bankier Washingtons, und von David Beck war es kein Geheimnis, daß er mit Gewerkschaftsgeldern auch das große Transportunternehmen Frühauf finanzierte und dadurch dessen Aktienkurs stützte. In der Regel stehen die Gewerkschaftsführer den Industrie- und Handelskapitänen zwar nicht an Talent und Tüchtigkeit, aber an Vorbildung nach, weil man eben andere Eigenschaften braucht, um in einer Gewerkschaft hinaufzukommen als in einem Industrieunternehmen.

Nun ist noch ein anderes Phänomen zu untersuchen, nämlich die konfessionelle Zugehörigkeit der Mitglieder der Führerschichte. Diese Zugehörigkeit hat hier eine andere Bedeutung als in Europa oder Südamerika, Asien oder Australien. In den Vereinigten Staaten bedeutet die Kirche, nicht nur Glaubensgenossenschaft, sondern auch gesellige Einheit. Die Mitglieder treffen einander nicht nur beim Gottesdienst, sondern auch bei gesellschaftlichen Veran staltungen. Das schlingt ein anderes, mehr persönliches Band um sie. Daraus entwickelt sich eine gesellschaftliche Schichtung, die nicht ganz vertikal durch alle Gesellschaftsschichten geht, sondern mehr eine horizontale Gliederung erzeugt. Das ist einer der Gründe, warum die Religion hier tiefer ins tägliche Leben eindringt. Halten wir also fest: die religiösen Gruppierungen sind bis zu einem gewissen Grad soziale

Gruppierungen; die Zuneigung der höheren Gesellschaftsschichten zu 'einzelnen Konfessionen beruht zu einem Teil auf sozialen Motiven.

Verteilung der Konfessionen in der Führerschichte (1) und in der Bevölkerung (II)

Anteil der Unitarier (zwanzigfach), der Episcopalier (zehnfach), Presbyterianer (sechsfach) in der Führerschichte und der geringere der Baptisten (ein Drittel), Katholiken (etwas mehr als ein Viertel) und der Israeliten (drei Viertel).

Es wäre verfehlt, das mit Feindseligkeit gegen Katholiken zu erklären, die nur vereinzelt im Süden vorkommt, oder mit Antisemitismus, der sich gesellschaftlich mehr als Asemitismus auswirkt, und kaum ins Berufsleben überschlägt. In keinem Land wird dem Katholiken von den anderen Konfessionen so viel Hochachtung entgegengebracht wie in den Vereinigten Staaten, wo sie nicht einer Vorherrschaft, sondern musterhaftem Einfluß im Erziehungs-, Kranken- und Wohltätigkeitswesen zu verdanken ist. Die Ausschaltung der Juden aus großen Berufs zweigen, wie dem Bankwesen — während sie eine große Anzahl der Brokers stellen —, aus der Stahl- und Maschinenindustrie, ihre Zusammenballung im Textil- und Unterhaltungswesen hat mehr zufällige Ursachen, die aber verwandte Züge mit der Zusammendrängung von Führerstellen in den Konfessionen der oberen Gesellschaftsschichten zeigen.

Die in dieser Zusammenstellung „zurückgesetzten“ Konfessionen der Katholiken, Baptisten und Israeliten haben ihre Anhänger zum größten Teil im kleinen Mittelstand, die „bevorzugten“ in den oberen Gesellschaftsschichten. Deren Mitglieder treffen einander häufiger, kennen einander besser, und unbewußt zieht man bei gleicher Qualifikation den Klubgenossen oder dessen Sohn vor. Nicht weil er derselben Konfession, sondern weil er derselben Gesellschaftsklasse angehört. Dabei ist sich der Amerikaner dieses nicht ganz unnatürlichen Prozesses gar nicht bewußt, der sich daraus erklärt, daß die konfessionelle Schichtung eben zum großen Teil eine soziale darstellt. Aber die Konfession schafft Beziehungen.

Dies wird durch die Beobachtung unterstützt, daß Konfessionswechsel, der in den Vereinigten Staaten viel seltener vorkommt als in Europa, sich in der Führerschichte regelmäßig von der weniger begünstigten in die begünstigtere Gruppe vollzieht. Die soziale Aspiration wird, allerdings ganz selten, durch die konfessionelle unterstützt.

Die „Religionsbilanz" wäre noch auffallender, wenn sich nicht unter den Gewerkschaftsführern ein relativ großer Prozentsatz von Katholiken (Iren), und Juden befänden, die aus den unteren Gesellschaftsschichten stammen.

Erscheinungen der Vereinigten Staaten werden in anderen Ländern so leicht mißverstanden, weil ähnliche Erscheinungen oft ganz andere Ursachen haben. Die verschiedene soziale Schichtung der Vereinigten Staaten und deren größere Elastizität fördern solche Mißverständnisse. Es fragt sich, wo sie größer sind: in der Beurteilung der anderen Völker durch die Amerikaner, oder der Amerikaner durch die anderen Völker. Sie beruhen meist darauf, daß man den eigenen Maßstab an fremde Verhältnisse anlegt.

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