6695995-1963_07_11.jpg
Digital In Arbeit

Der Mensch im Wirtschaftsprozeß

Werbung
Werbung
Werbung

Theorie und Praxis haben die klassische Annahme, daß Erwerbswirtschaft nur als Bezug auf maximalen Gewinn verstanden werden kann, weithin aufgegeben. Anderseits bedroht der Sachprozeß, die laufende Substitution der humanen Arbeit durch Maschinen, in einem bedenklichen Umfang das Menschliche im Betrieb. Waren früher Wirtschaftsziel und betrieblicher Erzeugungsprozeß scheinbar in einem unlösbaren Widerspruch, so kann sich dieser Widerspruch heute als ein solcher von Sachprozeß und Sittlichkeit an sich dokumentieren.

Wir müssen daher dankbar sein, daß sich der Verlag Styria entschlossen hat, ein Sammelwerk herauszubringen, das sich mit dem Verhältnis von Sachlichkeit und Sittlichkeit im Raum der Wirtschaft befaßt. Der Herausgeber ist Universitätsprofessor S p i t a 1 e r von der Universität Köln, der mit dem Werk das Ergebnis von Arbeiten im Sozialen Seminar des Katholischen Männerwerkes der Stadt Köln vorlegt.

Das Buch wendet sich an die Führungt-lcräfte in der Wirtschaft, an die Organisatoren des Sachprozesses, denen es, in Konsequenz ihrer Dispositionsmacht, möglich ist, Kapital und Arbeit mit oder ohne Bedachtnahme auf das Humane zusammenarbeiten zu lassen.

Im ersten Teil der Arbeit werden Grundsatzfragen besprochen (Wilpert, David), der zweite Teil bietet einen Katalog von „Entlastungshilfen“ für die unternehmerischen Führungskräfte, die vor allem in der Delegation von Aufgaben bestehen (Wistinghausen, Fischer, Brendgen, Rainer), während der dritte Teil die außerordentliche Belastung aufzeigt, der die Unternehmerfunktionäre in der Gegenwart ausgesetzt sind, seien sie als Bedrohung der Autorität ausgewiesen oder als Konkurrenz von Bedarfsweckung und der originären Bestimmung der Wirtschaft, der Bedarfsdeckung (Siewerth, Spitaler, von Nell-Breuning, Wallraff) gedacht. Im vierten Teil referieren Bigo, Ostermann und von Severus über die Frage der Persönlichkeitsentfaltung der Unternehmer (als Funktionäre).

: Da sich das Buch an einen kleinen, aber in .seinem Einfluß um in hedfiirsameren. Personenkreis wendet, kann es jede Popularisierung vermeiden und lieh nüchtern, unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Wissenschaft, mit der neuen Bedrohung befassen, der die Gesellschaft gerade in der Situation der Güterfülle und infolge deren Bedingungen ausgesetzt ist. ★

Seit Generationen werden die Nationalökonomen von der Frage bewegt, ob der Gegenstand ihrer Forschung, die „Wirtschaft“, völlig wertefrei analysiert werden tolle oder ob sie an das Objekt ihrer Analysen „befangen“, unter Heranziehung außerwissenschaftlicher Werturteile, herangehen sollen. In der sogenannten Wohlstandsökonomik hat sich bereits vor Jahrzehnten eine Richtung der Nationalökonomie etabliert, die bemüht ist, die an sich wertefrei vorzunehmende Analyse mit metaökonomischen Prinzipien abzustimmen und auf diese Weise die Wirtschafts-theorie dem Instrumentarium der Wirtschaftspolitik, wenn auch indirekt, dienstbar zu machen.

Welche sind aber die Prinzipien, die den Maßnahmen der Wirtschaftspolitik normativ vorzugeben sind? Das ist die Frage, die wieder innerhalb der Vertreter einer Wohlfahrtsökonomie einen Richtungsstreit hat entstehen lassen. In der Annahme, daß die Nationalökonomie nicht allein eine „theoretische Spielerei“ sein dürfe, daß sie nicht in der Lage sei, aus der erkannten Sachgesetzlichkeit der ökonomischen Prozesse allein Schlüsse für die von der Wirtschaftspolitik einzuschlagenden Wege zu ziehen, sind sich alle Wohlstandsökonomen einig. Dazu kommt, daß man sich bewußt ist, daß auch jene Nationalökonomen, welche vorgeben, perfekt wertefrei zu analysieren, keineswegs so wertefrei handeln, wie sie dies selbst annehmen, sondern dann, wenn sie zur Frage der Verteilung (des Sozialproduktes) Stellung nehmen, in einer ostentativen Weise wertbezogen sind, wenn sie nicht Nationalökonomie mit Statistik verwechseln. Nicht aber sind sich die Wohlstandsökonomen einig, wenn es um die Bestimmung der „Wohlfahrt“ geht, um ihre Formaldefinition oder gar um ihren Inh-'t. Ist doch Wohlfahrt beim einzelnen bereits ein Komplex unterschiedlicher Zielsetzungen, gar nicht zu reden von Wohlfahrt als einem anzusteuernden volkswirtschaftlichen Ziel. Wie ist et also möglich, Wohlfahrt, die als Konkretes doch nur das Ergebnis subjektiver Empfindungen sein kann, zu einer volkswirtschaftlichen Wohlfahrt zu aggregieren?

Das vorliegende Buch (eine erweiterte Ditsertation, die mit Förderung der Listgesellschaft E. V. erschienen ist) beschäftigt sich nun in einer Uberschau mit der Auseinandersetzung innerhalb der Region der Anhänger einer Wohlstandsökonomik. Im Wesen beschränkt sich der Autor auf die „Ansatzpunkte“, auf die kardinalen Kriterien der Wohlstandsökonomie, vor allem auf den Begriff „Wohlstand“, mit dessen formaler wie inhaltlicher Bestimmung die Richtung der jeweiligen Wohlstandsökonomie bestimmt ist.

Der Natur des zu untersuchenden Gegenstandes entsprechend, hat die Arbeit überwiegend einen erkenntnistheoretischen und methodischen Charakter. Vor allem geht es um das Problem, wer die Wohlstand begehrenden Personen, die repräsentativen Entscheidungsträger, sind, bei gleichzeitiger Beachtung der sie umgebenden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen.

Im ersten Teil der Arbeit prüft der Verfasser den Wohlstandsbegriff und die unterschiedlichen Bemühungen, um zu einer geeigneten, das heißt praktikablen Definition zu kommen. Im zweiten Teil setzt er sich mit den verschiedenen Theorien der Wohlstandsökonomik kritisch auseinander, während er im dritten Teil eine konzentrierte Darstellung seiner eigenen Ansichten gibt, wobei er sich auf elementare Wertprämissen beschränkt, auf die Bildung von Entscheidungsmodellen zur Vorbereitung konkreter wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Jedenfalls ist für den Autor die Wohlstandsökonomik, die Dienstbarmachung der ökonomischen Erkenntnisse für die Wirtschaftspolitik, Teil einer allgemeinen Theorie des menschlichen Verhaltens. Die vorliegende Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zu der seit der Aktivierung des Marxismus auf globaler Ebene geführten Auseinandersetzung um die Konstitution wirtschaftlicher und sozialer Normen. Man muß nach Ansicht des Autort vom Indikativ zum Imperativ übergehen (S. 6). Freilich bedürfte der von ihm dargebotene Katalog von „Min-destwertsetzungen“ einer Ergänzung in

Richtung auf den Einbau materieller Postu Iate. Die Vorrangstellung der Freiheit i einer Theorie der Wohlstandsökonomi kann diese auf einen Katalog von Leei formein reduzieren.

Der Verfasser ist Professor für Sozial Philosophie an der Hochschule für Wir« schafts- und Sozialwissenschaften in Til bürg (Niederlande). Das vorliegende Buc ist das Resultat von Vorlesungen.

In ständiger Auseinandersetzung mi dem (katholischen) Solidarismus legt de Verfasser die Grundgedanken einer vor Pcrsonalismus ausgehenden philosophische Anthropologie vor. Der Mensch befinde sich seiner Natur gemäß in der Gemein schaft. Diese ist nicht ein Komplex hu maner Ergänzungshilfen, ein Akzidens quantifizierbar, das Ergebnis durchau rationaler Überlegungen, sondern ein Tei des Menschseins. Das Mitmenschlich darf nicht, wie im Solidarismus, Iediglicl als eine Sublimierung der Ergänzungs bedürftigkeit erkannt und damit disquali fiziert werden. Die menschlichen Bezie hungen sind keine rationalen Prozesse nicht das Ergebnis zweckgerichteter Inten tionen.

Die anthropologische Fragestellung de Scholastik, vom Solidarismus rein über nommen und zweckrational interpretier« bedarf einer Korrektur. Das Ich besteh nicht in solipsistischer Fixierung Bereit an sich, ohne Bezug auf den Mitmenschen sondern kann nur in der Gemeinschaf eine Wirklichkeit sein. Dazu bedarf e keiner rationalen Beweisführung. Die Be gegnung des Menschen mit dem Mit menschen, integriert in der Gemeinschafl ist daher nicht notwendig eine physische Der Mitmensch ist auch ohne konkrete: Kontakt Teil des Ich; er ist nicht verriet bar, durch irgendeinen Dritten substituier bar.

Die vertikale Vereinsamung „in bezu auf Gott“ ist die Konsequenz einer zi dürftigen Bedachtnahme auf den geistige) Liebesaspekt. Die horizontale Bindung wir allzuwenig betont. Die Menschen verstehen sich nicht als Seinsgemeinschaft, sondern als eine Zweckkooperation, die zufällig besteht — oder nicht besteht.

Tatsächlich ist aber die Person sozial, und das Soziale ist Person.

Das ganz ausgezeichnete und gut lesbare Buch ist geeignet, die verkümmerte innerkatholische Diskussion um das Wesen des Sozialen und die bestimmenden Motive der sozialen Aktion zu beleben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung