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Der Mittelschullehrer Italiens

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Es ist anziehend und aufsdilußreidt, denselben Berufsstand zweier Nachbarländer, wie Italien und Österreich, die so viele kulturelle Berührungspunkte haben, in seiner historisch und national bedingten Verschiedenartigkeit zu beobachten. Die Merkmale des Mittelschullehrerberufes, seines Berufsethos, seiner Rechtstellung haben in Italien ihre besondere Eigenart.

Der Berufsidealismus auch der italienischen Lehrerschaft wird durch die mannigfach erschwerten Lebensverhältnisse der Gegenwart auf eine harte Probe gestellt und ist im Verhältnis zur Vorkriegszeit merklich gesunken. Dennoch darf behauptet werden, daß die Lehrer der mittleren und höheren Schulen Italiens im allgemeinen den hohen Prinzipien ihres Standes treu zu bleiben bestrebt sind.

Die staatsrechtliche Stellung des italienischen „Mittelschullehrers“ ergibt sich aus dem stark entwickelten Bewußtsein seiner Standeswürde: er lehnt es grundsätzlich ab, „Staatsbeamter“ in dem Sinne zu sein, wie es zum Beispiel die Eisenbahner, Steuer- und Polizeibeamten usw. sind. Er distanziert sich auch entschieden von jeder bürokratischen Routine und jedem Amtsschema. Er ist Intellektueller, der seine erzieherische und kulturelle Tätigkeit zum Wohle der Gemeinschaft ausübt, jedoch unbedingt auf die freie Entwicklung seines Denkens und die freie Entfaltung seines Lehrens bedacht ist. In dieser Standesauffassung liegt der tatsächliche Unterschied des italienischen Mittelschullehrers (Professore) vom Volksschullehrer (Maestro), Er steht in einem nicht weitgehend kontrollierten Beruf!

Daraus erhob sich nun die Forderung der italienischen Mittelschuilehrerschaft dem Staate gegenüber, daß dieser jene Freiheit des Denkens und Lehrens jedem einzelnen Vertreter zuerkenne und dessen Persönlichkeitsentfaltung respektiere. Jede, auch nur versuchte Verletzung derselben findet daher die gesamte Kategorie, die in einer freien Berufskörperschaft zusammengefaßt ist, ohne Unterschied der politischen Gesinnung, einig. Als zum Beispiel die republikanische Regierung auch die Mittelschullehrer zum Treueid veranlassen wollte, stieß sie auf den einmütigen Protest aller, auch der republikanischen Berufsvertreter, die im Eid auf die Verfassung eine Verletzung ihrer menschlichen Persönlichkeit und Behinderung in der ureigenen Gesinnungsäußerung sahen. Tatfächlich wurde hierauf die Mittelschuilehrerschaft vom Treueid auf die Republik befreit, während alle Staatsbeamten, einschließlich die Volksschullehrer, diesen ablegten!

Als weitere Konseqenz dieser Standesauffassung folgte der Entschluß, sich von der gewöhnlichen Staatshierarchie zu befreien und eine autonome Berufskategorie zu bilden. Der erste Schritt hiezu wurde vor Jahresfrist durch die Gründung des „Consiglio Superiore della Pub- blica Istruzione“ (Höherer Rat für öffentliche Bildung) getan, dessen Mitglieder von den definitiven (pragmatischen) Lehrern durch direkte geheime Wahl gewählt werden. Diese Berufskörperschaft ist dem Unterrichtsminister zur direkten Beratung in Fragen der Schulregierung zur Seite gestellt.

Berufsrechtlich und wirtschaftlich bestehen tief einschneidende Unterschiede zwischen den nicht definitiven und den definitiven Mittelschullehrern. Der nicht definitive Lehrer wird jährlich ernannt und kann jederzeit von der Schule entfernt werden. Dagegen wird dem definitiven Lehrer eine Dienstdauer bis zum 65. Lebensjahre (wie allen Staatsbeamten) zuerkannt, außerdem darf er von seinem Wohnort nicht versetzt werden (ein Recht, das in Italien sonst nur in der richterlichen Laufbahn verbürgt ist!). Nur in zwei Fällen wird der definitive Lehrer gegen seinen Willen versetzt: bei Aufhebung des Katheders, zum Beispiel infolge einer zu niedrigen Schülerzahl, oder wegen Unwürdigkeit. — Das Urteil des Lehrerkollegiums, das eine solche Unwürdigkeit ausspricht, ist endgültig und unumstößlich und darf nur vom Unterrichtsminister selbst im Falle einer Gesetzesverletzung kassiert werden.

Die Anzahl der jährlich vom Unterrichtsministerium ausgeschriebenen Definitivposten ist aber im Verhältnis zur Bewerberzahl äußerst gering; die Besetzung erfolgt nach einem sehr komplizierten Bewertungssystem, bei dem es als besonders erschwerend wirkt, daß die noch nicht definitiven Lehrer trotz ihrer bereits erworbenen Lehrbefähigung, ja selbst nach jahrelanger Berufsausübung, immer wieder strenge Bewerbungsprüfungen zu bestehen haben, um endlich eine Definitivstelle zu erlangen. Es kann also praktisch vorkommen, daß von hundert Kandidaten achtzig die Prüfung selbst gut bestanden haben, wogegen nur vier bis fünf Definitivstellen ausgeschrieben sind! Bei gleichwertigen Leistungen entscheiden sodann endgültig die bereits nachweisbaren Dienstjahre, die Bewertung der seinerzeitigen Befähigungs- (Lehramts-) Prüfung, die wissenschaftlichen Arbeiten zur und nach der Erlangung des Doktortitels und anderes mehr. Daß ein nicht definitiver Lehrer sich vier- bis fünfmal dieser letzten Berufsauslese zu unterziehen hat, zählt zu den Allgemeinerscheinungen.

Der italienische Mittelschullehrer unterrichtet an der dreiklassigen Mittleren Schule, der Scuola Media, die nach fünf- klassiger Volksschule etwa unserer Hauptschule entspricht, und an den von dieser sich abzweigenden Höheren Schulen: dem G i n n a s i o, einer zweijährigen Unterstufe, an die sich das Liceo Classico, eine dreijährige humanistische Oberstufe, beziehungsweise das Liceo Scientific o, eine fünfjährige realistische Oberstufe anschließt. Die beiden Letztgenannten sind als Vorbereitung auf das wissenschaftliche Studium eingerichtet. Ferner kann die Scuola Media noch durch das Istituto Technico (Realschule, fünf Klassen), einer Schultype für mittlere Beamtenberufe, Industrie- und Agrartechniker, Kaufleute, höhere Gewerbetreibende, und schließlich durch das Istituto Magistrale (vierjährige Lehrerbildungsanstalt) fortgesetzt werden. — Die Scuola Media ist also die gemeinsame Torstufe für jede höhere Schulausbildung, nach deren Absolvierung die Schüler das Esame di Li- cenza, eine Art Aufnahmsprüfung in eine der angeführten, besonders orientierten Typen der Höheren Schule, ablegen. Den Abschluß der Höheren Schulen bildet die Matura, welche die Kandidaten vor einer Kommission von fremden Lehrern — mit Ausnahme von zwei Vertretern der eigenen Anstalt — abzulegen haben; diese verschärften Prüfungsvorschriften haben zur Folge, daß rund 50 Prozent der Maturanten die Reifeprüfung im ersten Termin nicht bestehen! Aber auch in den übrigen Jahrgängen der Höheren Schulen wird eine Leistungssteigerung durch Abschlußprüfungen am Jahresende, beziehungsweise durch einen hohen Prozentsatz auferlegter Nachtragsprüfungen angestrebt. — Für die Lehrkräfte dagegen bedeutet . die vorgeschriebene Koppelung nicht nur mehrerer Fächer, sondern auch verschiedener Fachgruppen, ja sogar eine gleichzeitige Verwendung an zwei Schultypen eine besondere Erschwerung ihrer Berufsausübung. So hat zum Beispiel der gleiche Professor in der Scuola Media und im Ginnasio außer der vorgeschriebenen Unterrichtssprache noch Latein und (am Ginnasio) Griechisch, ferner Geschichte und Geographie zu unterrichten; bei Mathematik- oder Fremdsprachenunterricht im Ginnasio ist die gleiche Lehrkraft auch an der Scuola Media zu beschäftigen.

Wie bei den übrigen Staatsbeamten entspricht die Laufbahn der Mittelschullehrer Italiens den Dienstchargen in der Armee. Ein definitiver Lehrer an der Scuola Media hat die Rangfolge vom Dienstgrade eines Leutnants bis zu dem eines Oberstleutnants, jener an einer Höheren Schule die eines Oberleutnants bis zu der eines Obersten zu passieren.

Die Lehrverpflichtung eines Definitivlehrers erstreckt sich von einem Minimum von 12 bis zu einem Maximum von 18 Wochenstunden und darf ohne zusätz-

liehe Vergütung nicht erhöht werden. Wohl aber hat die Vertretung eines abwesenden Kollegen für kürzere Dauer kostenlos zu erfolgen, wogegen bei längerer Stellvertretung ein neuer Lehrer für die ganze Dauer der Abwesenheit bestellt wird.

Das Einkommen eines Mittelschullehrers setzt sich aus dem Gehalt und verschiedenen Zuschüssen zusammen und beträgt bei einem nicht definitiven Lehrer ungefähr 25.000 Lire (das sind 1000 S), bei einem Definitivlehrer zwischen 30.000 und 55.000 Lire (das sind 1200 bis 2000 S) pro Monat. Die Schuldirektoren haben einen Gehaltszuschuß von bloß 5000 Lire (200 S) pro Monat. Die Stellung eines Direktors ist somit gehaltsmäßig nicht besonders begünstigt und ist zufolge der Rechte der Definitivlehrerschaft eine fast nur nominelle Höherstellung. Sie wird daher keineswegs besonders angestrebt.

Der gegenwärtigen Kaufkraft nach ist das Einkommen des italienischen Mittelschul- lehrers — besonders bei einer mehrköpfigen Familie! — bescheiden, daher werden Neben einkünfte, sogenannte „Incerti“, das sind die nicht fixen, daher „unsicheren“ Einnahmen, aus dem Privatunterricht eifrig angestrebt. Der Nachhilfeunterricht gestaltet sich für die aktive Lehrerschaft geradezu zu einem wichtigen ökonomischen Faktor! —

Die erwähnte außerordentliche Zahl von angeordneten Nachtragsprüfungen hat daher neben dem Leistungsmotiv auch eine wirtschaftliche Ursache, die viele, namentlich die begüterten Eltern dazu veranlaßt, ihren Kindern während des ganzen Schuljahres zusätzlichen Einzelunterricht erteilen zu lassen. Da das Stundenhonorar relativ hoch ist, bedeuten die daraus fließenden „Incerti“ eine wesentliche Budgeterhöhung für die Lehrerschaft. Zur Vermeidung krasser Ungerechtigkeit oder Protektion besteht allerdings die Vorschrift, daß jeder aktive Lehrer nur an Schüler einer fremden Anstalt Privatunterricht erteilen darf, die Praxis kennt aber natürlich ortsbedingte Lockerungen.

Auch im italienischen Schulwesen wurde eine Säuberung (Epurazione) von faschistischen Elementen und sogenannten freiwilligen Kollaborateuren mit den Deutschen durchgeführt. Den Suspendierten wurde aber das Recht auf „Alimenti“, die einen, allerdings nur kleinen Teil ihres Normaleinkommens betrugen, eingeräumt. Die Epurazione war nach zirka eineinhalb Jahren abgeschlossen, alle Suspendierten (mit ganz wenigen Ausnahmen) wurden wieder eingestellt. Der Begriff selbst gilt heute bereits historisch abgetan.

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