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Der nörgelnde Kunde: nur ein Querulant?

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Der reklamierende Kunde wird oft nur als Störfaktor empfunden, anstatt sich seines wertvollen Potentials als Quasi-Berater zu bedienen. Ein fataler Fehler in Zeiten, in denen sich Wertvorstellungen rasant ändern, kritisieren Meinungsforscher.

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Der reklamierende Kunde wird oft nur als Störfaktor empfunden, anstatt sich seines wertvollen Potentials als Quasi-Berater zu bedienen. Ein fataler Fehler in Zeiten, in denen sich Wertvorstellungen rasant ändern, kritisieren Meinungsforscher.

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Wir haben in der Wirtschaft derzeit das Phänomen der gespaltenen Konjunkturen. Es gibt von ein und derselben Branche Firmen, die es offenkundig exzellent verstehen, Geschäfte zu machen. Und es gibt solche, die es nicht schaffen”, erzählt Meinungs- und Marktforscher Werner Beutelmeyer vom Linzer market-Institut. Warum, wie er es nennt, es diese „Tag-und-Nacht-Situation” gibt, ist heute vor allem in der unterschiedlichen Behandlung von Kunden zu suchen.

In seinem Vortrag zum Thema „Der reklamierende Kunde - Querulant oder Unternehmensberater?” kürzlich in Wien beschäftigte sich Beutelmeyer mit der Kundenreklamation als neue Chance für Unternehmen. Das sogenannte „Beschwerdenmanagement” in einem Unternehmen nützt den Kunden als QuasiBerater, anstatt ihn als lästigen Störfaktor zu empfinden (siehe Büchertips: Das einzige was stört ist der Kun de).

Konsumenten bemängeln immer häufiger die Unfreundlichkeit von Verkäufern, mangelnde Hilfsbereitschaft, lange Warteschlangen, schlafrtpige Xnftragserfünü'rtg und Nichteinhaltung von Lieferterminen. Kunden sind wählerischer und kritischer geworden, sie vergleichen Preise konkurrierender Firmen, sind häufig auch besser informiert als der Verkäufer und sie wollen vor allem eines: zuvorkommend und freundlich behandelt werden.

Der Grund, warum Kunden immer mißtrauischer, anspruchsvoller und unberechenbarer werden, ist hauptsächlich in einer veränderten Wertewelt zu suchen, analysiert Beutelmeyer.

Diese Veränderungen machen so manchem Betrieb das Geschäftsleben schwer: „Unternehmen, die mehr oder weniger traditionell geführt werden und sich hauptsächlich auf Stammkunden verlassen, bekommen Probleme mit der Marktnähe. Ich glaube, daß das derzeit sehr stark im mittelständischen Fachhandel der Fall ist.”

Umdenken ist also angesagt, um bei der derzeit schwierigen Marktsi tuation mithalten zu können. Die wichtigsten Trends skizziert Beutelmeyer so:

■ Untreue liegt hoch im Kurs. Dieses Phänomen ist nicht nur an der steigenden Zahl der Ehescheidungen und Wechselwähler (waren vor 20 Jahren noch 80 Prozent Stammwähler, so sind heute nur noch 30 Prozent der Wähler parteiloyal) erkennbar, sondern auch beim Kaufverhalten. „Warum”, so Beutelmeyer, „soll ich meinem Händler treu bleiben, wenn ich nicht einmal meinem Partner oder meiner Partei treu bleibe?” Damit steigt die Bedeutung der sporadischen Runden, die in der Begel wesentlich schwieriger, da wählerischer sind.

■ Eine drastische Auswirkung für den Handel hat der Wertewandel punkto Sparsamkeit. Das Motto „Schilling auf Schilling legen” war lange Zeit in der Familie oberster Erziehungsgrundsatz. Der neue Konsument ist anders. Der sagt: „Ich will alles, egal wie es finanziert wird, und das sofort!

Uno1 wer ak Unternehmen nicht Fiing anbietet, macht das Geschäft nicht.” So würde etwa die Au-tofirma Mercedes-Benz ein Drittel weniger C-Klasse Autos verkaufen, würde sie nicht Leasing anbieten, erläutert Beutelmeyer. Ein Handel, der diese Finanzierungsform nicht zur Wahl stellt, wird als „kundenunfreundlich” eingestuft.

■ „Schön artig den Hut ziehen, ordentlich grüßen, die gnädige Frau mit

Frau Doktor ansprechen obwohl sie nur am Standesamt promoviert hat , r*sonders de seinvTV das heute unter freundlicher Bedienung versteht, der hat nicht mitbekommen, daß die neuejtKundeh nur eines wollen: Ruhe im Geschäft.”, so der Markt-forseher. Anstatt von den Verkäufern „belagert” zu werden, will der Kunde nur registriert werden und zwar mit einem fast unmerklichen Gruß. Dann will er perfekte Warenpräsentation, klare Orientierung und gute Preise.

Nur im falle, daß sich der künde-dann immer noch nicht/zurechtfindet, soll Hilfe angeboten werden.

■ Weitere Werte, die bereits in der Gesellschaft tief verankert sind, sind Umwelt und Gesundheit. Auch Freiheit und Entfaltung, aber auch Ehrlichkeit, Fairneß und Glaubwürdigkeit werden heute weit höher bewertet als noch eine Generation zuvor. Letzteres bedeutet das Ende der Übertreibungsstrategie im Marketing. Wer heute in der Werbung maßlos

übertreibt, wird von den Kunden nicht mehr ernstgenommen.

„Das alles sind lauter kleine Fallen, in die der klassische Fachhandel gerät und schlechte Servicequalität erzeugt.”

Denn die Qualitätsunterschiede zwischen den Produkten sind schon lange nicht mehr groß. Letztendlich, so Reutelmeyer, gehe es heute immer um den Vorsprung und die klare Positionierung, etwa durch starke Margen.

Ein wichtiger Teil des Erfolges ist heute der richtige Umgang mit den Reschwerden von Kunden. Großzügigkeit sei dabei enorm wichtig. Falsch sei es, wenn beispielsweise eineinhalb Jahre geprüft wird, ob nicht der Kunde eine Teilschuld an dem Zerplatzen eines Milchpackerls hat.

Trotz aller Mängel ist Reutelmeyer überzeugt: in Österreich ist der Kunde König - zumindest nach der Marketingstrategie am Papier. „Was wir allerdings lange Zeit verabsäumt haben, ist die Kundennachbetreu-ung. So nach dem Motto, wenn er gekauft hat, dann ist die Geschichte für uns erledigt.” Die Erkenntnis, daß man den Kunden auch noch nach dem Kauf unterstützen muß, kam erst in den letzten Jahren. „Das Problem ist nicht, daß eine österreichische Heizungsfirma schlechte Heizungskessel herstellt. Das Problem liegt darin, daß der Installateur keine besenreine Raustelle hinterläßt, daß man die Redienungsanleitung nicht lesen kann und daß, wenn der Heizkessel am Sonntag ausfällt, man kein Service vorfindet.”

Der Vorarlberger Kommumkati onsberater Wölfgang Gruber .sieht in der mangelnden Kundenbetreu ung ebenfalls einen gravierenden Mangel bei den österreichischen Unternehmen. „Wenn ich vom Möbelhandel höre, daß sich ein Viertel der Kunden beschwert, daß es Firmen gibt, die Erledigungsfristen bei Reklamationen von über einem halben Jahr haben und sich dann an juristischen Kleinigkeiten aufhängen und dem Kunden beweisen wollen, daß er juristisch im Unrecht ist, dann geht etwas schief.”

Das Problem bei Reklamationen ist, daß nur etwa fünf Prozent der unzufriedenen Kunden ihrem Ärger auch Luft machen. Allerdings werden nur jene Unternehmen, die den nörgelnden Kunden als Chance für die eigene Qualitätsverbesserung erkennen, ihn auf Dauer für sich gewinnen, so Gruber. Denn: von 100 unzufriedenen Kunden wenden sich 91 enttäuscht ab, wenn ihre Reklamation nicht erledigt wird, 87 halten aber dem Lieferanten die Treue, wenn die Reklamation positiv verläuft. Weitere 1.200 fremde Menschen erfahren aber von der Reklamation ...

Wird die Reklamation nicht ernstgenommen, ärgert sich der Kunde oder fängt er sogar zu streiten an, ist er für das Unternehmen verloren.

BUCHERTIPS ZUM THEMA

Warum schaffen es manche Unternehmen zu expandieren, während andere ums Überleben kämpfen? Der Unternehmensberater Edgar K. Geffroy versucht in seinen beiden Büchern „Das einzige was stört ist der Kunde” und „Abschied vom Verkaufen” darauf eine Antwort zu geben: „Wir befinden uns derzeit mitten in einer friedlichen Revolution und gleichzeitig in der schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg”, skizziert der Autor die derzeitige Wirtschaftslage.

I )ie Informationsgesellschaft löst die Industriegesellschaft ab. „In fünf Jahren wird nichts oder so gut wie nichts von den wirtschaftlichen Spielregeln noch so sein, wie wir sie von den letzten 50 Jahren her kennen”, prognostiziert Geffroy. Dennoch sieht der Autor keinen Grund zum Pessimismus: „Die besten Gele-

Das einzige was stört ist der Kunde. Qient'mg ersetzt Marketing und revolutioniert Verkaufen.

Von Edgar k Geffroy mt-l'erlag, LandsbergJLech 1997 263 Seiten, geh., öS 4SI genheiten ergeben sich dann, wenn man die Grundregeln an dert. Die Grundregeln des Erfolges werden heute neu geschrieben und deshalb haben Sie in ihrem Unternehmen maximale Chancen!”

Dabei hängt gesundes Wachstum von langfristiger Kundenzufriedenheit ab. Der Aufbau einer persönlichen Beziehung zu den Klienten wird wettbewerbsentscheidend sein. Kundenstrategien müssen durch echtes Beziehungsmanagement ersetzt werden. Geffroy gibt eine klare Linie vor: „Sie müssen soweit wie möglich mit dem Kunden zusammenwachsen, die gleiche Sprache sprechen und immer mehr leisten als gefordert wird.” Nicht das Geld, sondern die Information wird künftig zum bestimmenden Faktor der Zukunft.

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