6672377-1961_05_05.jpg
Digital In Arbeit

Der sabotierte Jugendsdiutz

Werbung
Werbung
Werbung

Die sogenannten anbietenden Freizeitmächte, wie Film, Rundfunk, Boulevardpresse und Werbeeinrichtungen, legen das Gewicht ihres Anbotes immer mehr auf Attraktionen, die im Kern und in einer schon peinlich gewordenen Aufdringlichkeit sexueller Natur sind. Ebenso wird in einem bedenklichen Umfang der Aggressionstrieb der Konsumenten von Freizeitgütern aufgerufen und die Brutalität wie die Primitivität in einem unvertretbaren Umfang glorifiziert.

Unter den Altersschichten, an die sich die Anbote der Freizeitindustriellen richten, ist die Jugend am meisten für das „Anbot“ empfänglich und bemüht, es bestens durch ent- sprechende „Nachfrage“. zu verwerten. Die raffiniert vorgetragene Aufforderung, ,$ex,ualitäf in Nachfrage, umzusetzen, läßt einen großen Teil"'der jungen Menschen annehmen, daß sexuelle Betätigung dem „Normalkonsum“ zuzurechnen sei. Ein entsprechender „Konsumverzicht“ droht scheinbar zu einer „Entwicklungsstörung“ zu führen. Jedenfalls sehen wir, daß die jungen Menschen heute — auch in Österreich — unter dem dauernden Einfluß sexueller Impulse stehen, die vom Milieu ausgehen, genauer von bestimmten, auf Geschäftemachen abgestellten Erwachsenen, die das Milieu konstituieren.

Die Versuche von Erziehern, Ressortministern, Elternverbänden und Jugendführern, der unheilvollen Sexualisierung unseres Alltags zu begegnen, sind bisher ohne viel Erfolg geblieben. Wenn aber verantwortungsbewußte Männer, wie in Wels, dem Pansexualismus Widerstand leisten, müssen sie damit rechnen, vor Gericht zu kommen und den beleidigenden Zumutungen derjenigen ausgesetzt zu werden, die aus dem Verderben der Jugend ein gutes Geschäft — das „Geschäft ihres Lebens“ — machen. Es ist offenkundig nicht mehr erlaubt, gegen die Freizeitindustriellen zu rebellieren. Im Gegenteil. Die Jugend wird von dem, was sich „Öffentlichkeit“ nennt, nachdrücklich aufgefordert, sich jene Geisteshaltung anzueignen, die in den Büchern der Sagan („Ein gewisses Lächeln") und in den Filmen der „BB“ (etwa in der „Wahrheit“) als Normalverhalten junger Menschen dargestellt wird. Die Folgen zeigen sich in einem infantilen Pansexualismus, der mit „freiheitlicher“ Lebensauffassung kaum etwas zu tun hat. Ebenso sehen wir auch in der Jugendkriminalität, noch mehr aber im Ansteigen jener Vergehen, die vom Gesetz her nicht erfaßt werden können, einen Index für ein perfekt gewordenes Bemühen, aus Trieben und Unerfahrenheit junger Menschen ein Geschäft zu machen.

Unsichtbare Mächte

Sicher ist, von den USA herüberkommend, die Sexualisierung und Pri- mitivierung des Freizeitlebens dem Stil unserer Zeit eingeboren und eine Folge eines Unvermögens der Massen, gewachsene Freizeit und gestiegene Kaufkraft sinngemäß zu koordinieren

und zu bewältigen. Anderseits sollten wir nicht übersehen, daß es Möglichkeiten gibt, auch eine im Stil der Zeit angelegte Entwicklung zu berichtigen. Dazu bedürfte es unter anderem entsprechender Gesetze und, was noch wesentlicher ist, einer wirklichkeitskonformen Durchführung der Gesetze.

Die Gruppe jener Jugendlichen, mit denen die Freizeitindustriellen bereits ihre Geschäfte machen können, haben heute eine volkswirtschaftlich nicht unbedeutende Kaufkraft verfügbar, sei es in der Form von Taschengeld, sei es als Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit. Das gilt ganz besonders für die jugendlichen Hilfsarbeiter. Daher ist jede in Frage kommende Interessentengruppe eifrig, bemüht, die Gesetzgeber bei der Formulierung der Jugendschutzgesetze zu beeinflussen. Nur Naive kann man glauben machen, daß die Gesetze in unserem Land allein von Parteien oder unter Einfluß von CV und BSA gemacht werden. Tatsächlich sind es weithin Interessentengruppen ganz anderer Art, die alles unternehmen, damit nicht ein Gesetz für sie zu einer Gewinnbremse wird. Darüber hinaus sind es ausländische Pressure groups, die in der üblichen halbdiplomatischen Form Ge-

setze zu verhindern wissen, die die Einfuhr jugendgefährdender Filme behindern könnten.

Weltstadt Wien

Das Bedenkliche aber ist, daß die ohnedies nicht immer ausreichenden Gesetze nicht eingehalten werden. Bei einer Untersuchung in Rheinland- Westfalen konnte man feststellen, daß von einer strikten Einhaltung der dort geltenden und zum Schutz der Jugend bestimmten Gesetze keine Rede sein könne und daß etwa Elf- bis Dreizehnjährigefast jeden Film besuchen können.

Fangen wir beim Theater an: Nicht wenige pädagogische Instanzen empfehlen heute indirekt durch Abonnements den Besuch von Theaterstücken, die durch die Darstellung des Abwegigen noch mehr jugendgefährdend sind, als es beispielsweise der Film zu sein vermöchte. Der Protest verantwortungsbewußter Pädagogen wird überhört und, wie gewohnt, als „prüde“ abgetan. Beim Film ist es so, daß man bisweilen das Prädikat „Jugendfrei“ Erzeugnissen gibt, die bedenklich, auf keinen Fall aber, wie es das Wiener Kinogesetz vorschreibt, besonders jugendgeeignet sind. Noch schlimmer ist es, wenn bei der Vor

führung jugendfreier Filme im Vorspann Kostproben aus kommenden Filmen geboten werden, die nichts weniger als jugendfrei sind. Zwar unterliegen auch diese Streifen der Beurteilung auf Jugendfreiheit, aus geschäftlichen Rücksichten ist man aber dabei recht großzügig. Auch kommt es vor, daß sich Kinos nicht an die befohlenen Schnitte halten.

Die Plakatwerbung für durchaus ehrenwerte Unternehmungen etwa der Unterwäschebranche bietet „Ansichten“, die zweifeln machen, wofür eigentlich geworben wird. Die in aller Öffentlichkeit angebrachten Schaubilder gewisser Etablissements lassen Jugendliche vermuten, welche „Genüsse“ sie einmal erwarten. Daß heute jedes zweite Kellerlokal im Zentrum seine „Schau“ bietet und Damen mit dem bekleidet herzeigt, was sie einst auf die Welt an „Ausstattung“ mitgebracht hatten, ist bekannt und hat Wien endlich zur „Weltstadt" gemacht.

Durch die Maschen

Man hat schließlich auch nicht den Eindruck, daß sich die Behörden einen Katalog jener Plätze angelegt haben, die fast schon zu Umschlagplätzen für Kinderprostitution geworden sind. Weiß man „höheren“ Orts nicht, was sich bei den Bahnhöfen abspielt, daß Kinder vor dem Westbahnhof von orientalisch aussehenden Fremden geradezu „engagiert“ werden? Sieht man nicht, daß in der Opernpassage in Wien ein „offener“ Markt eingerichtet wurde? Wie steht es mit der Überwachung der Automaten im Wiener Volksprater?

Die dem Jugendschutz dienenden Gesetze sind lückenhaft. Gerade deswegen muß man verlangen, daß wenigstens die vorhandenen Gesetze ordnungsgemäß durchgeführt werden. Bei einer Befragung in der Deutschen Bundesrepublik vertraten die Eltern zu 56 Prozent die Ansicht, daß die Jugendschutzgesetze unzureichend gehandhabt würden. Nicht weniger als 78 Prozent befürworteten eine Verschärfung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen. Zu allem kommt noch, daß Personen, welche die Jugendschutzgesetze übertreten, nicht wirksam zur Verantwortung gezogen werden. Wenn heute ein Lehrer einen ihm anvertrauten Schüler beschimpft, wird er selbstverständlich auf Verlangen de« Schülers (bzw. seiner Eltern) vor Gericht zitiert und muß auch noch mit einer Disziplinarstrafe rechnen. Die Freizeitmächte sind aber in einem nicht geringen Umfang auch zu tatsächlichen Erziehungseinrichtungen geworden. Wenn gewisse Manager der Freizeitindustrie und der Informationseinrichtungen um des Geschäftes willen, aber auch aus einem krankhaften Trieb heraus die Jugend verderben, bleiben sie weithin ungestraft. Im Gegenteil. Sie dürfen sich sogar im grellen Licht der „publicity" zeigen. Das Verderben der Jugend gehört heute zum Katalog der Kavaliersdelikte. Die aber sind straffrei?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung