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Der Staat und sein Entscheidungszentrum

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Der moderne Staat ist — der Quantität der Staatstätigkedt nach — Verwaltungsstaat. Die Verwaltung ist nicht nur „Ordnungsgarant“, sondern auch, und dies vor allem, „Leistungsträger“ (Forsthoff). Diese Wandlung der Verwaltung ist nur die Folge der Metamorphose des Staates überhaupt. Die staatliche Willensbildung hat mehr und mehr die Verteilung und Umverteilung des Sozialprodukts zum Inhalt; sie ist weniger auf die Erhaltung als auf die Gestaltung der Sozialordnung ausgerichtet. Der Umfang und die Aufgaben der Verwaltung sind am anschaulichsten aus zwei Fundstellen zu erfahren: Aus dem Bündesflnanz-gesetz mit all seinen Anhängseln und aus dem Amtskalender. Hier werden die Aufgaben der Ressorts transparent. Hier wird auch augenfällig, daß die Fülle von Aufgaben, die vielfach und vielfältig miteinander zusammenhängen, eines ordnenden und koordinierenden Elements bedarf.

Der moderne Staat bedarf eines Entscheidungszentrums, das Rangordnungen aufstellt, Pläne und Programme erstellt, Richtlinien bestimmt und die herangetragenen Anliegen und Aufgaben koordiniert. Regieren heißt im pluralistischen Staat vor allem: koordinieren. Kann die Bundesregierung diese regierende und koordinierende Zentrale sein? Besser: Sind die institutionellen Voraussetzungen dafür gegeben, daß die Bundesregierung oder der Bundeskanzler diese spezifische Funktion überhaupt ausüben kann? Betrachtet man unter diesem Gesichtswinkel die Organisationsstruktur der Bundesregierung, so wird man diese Frage verneinen.

Die Prinzipien der Organisations-itruktur lassen sich der Verfassung entnehmen; es sind dies: Ressortprinzip und Kollegialprinzip. Das Kanzlerprinzip ist nur im Ansatz vorhanden. Hinsichtlich der anderen Prinzipien läßt sich folgende Aussage machen: Das Ressortprinzip ist die Regel; das Kollegial- (Kabinetts-) prinzip kommt nur in bestimmten Fällen zum Tragen, nämlich nur dann, wenn Verfassung und Gesetze dies vorsehen. Dies aber ist relativ selten der Fall.

Das Ressortprinzip ist nach unserer Bundesverfassung das tragende und beherrschende Prinzip der Orga-nisationsstruktur der Bundesregierung. Dieses Prinzip bietet seiner Natur nach zentrifugalen Tendenzen auf Regierungsebene mehr Entfaltungsmöglichkeiten als zentripetalen. Es macht die Bundesregierung zu einer Versammlung selbständiger und unabhängiger Verwaltungschefs, zu einem Kollegium von Monarchen von Verwaltungsreichen. Jeder Bundesminister ist ja de jure unbeschränkter Herr seines Ressorts. Daher ist die interne 'Ressortskoordination allein seine Sache. Er ist Träger der ressortintemen Organisationsgewalt und kann Koordinie-rungs- und Planungsinstrumente für sein Ministerium schaffen. Er kann die Zahl der Abteilungen verringern und sich einen Führungsstab aufbauen.

Wie steht es aber mit der Inter-ressort-Koordination? Zuständigkeitsstreite zwischen Bundesmdni-sterien werden innerhalb der Bundesregierung ausgetragen; so bestimmte Art. 94 Abs. 1 der Verfassung 1934. Eine gleichartige Bestimmung fehlt in unserer Verfassung. Die Praxis wurde aber beibehalten. Aber dieses Kompetenzkonfliktsverfahren hat nichts mit der koordinierenden Funktion zu tun, von der die Rede ist. Diese spezifische Regierungsfunktion kann zwar innerhalb der Bundesregierung durch das Kollegium selbst erfolgen, sie wird aber oft allein schon aus Zeitmangel außerhalb des Kollegiums durch Ministerausschüsse erfolgen. Mind-sterausschüsse, ergänzt oder ersetzt durch Beamtenausschüsse, werden in der Regel bemüht, sich um die Abstimmung und Sicherung des Einklangs zu kümmern. Diese Ausschüsse bilden eine gewisse Möglichkeit der Koordination. Sie sind aber kein Führungsstab. Beamtenhierarchie und Ressortideologie wirken sich außerdem hemmend aus. Die Ressortselbständigkeit der Minister und damit auch der Ministerial-bürokratie kann eine partikulari-stische Eigendynamik entfalten. Allzu leicht schlägt das Miteinander in ein Nebeneinander, ja Gegeneinander um. Der partikularen Eigendynamik der Ressorts stehen von Verfassungs wegen kaum Widerstände entgegen. Die Ressortselbständigkeit der Minister und der Ministerial-bürokratie verführt geradezu zu einem Ressortegoismus. Ein stark ausgebautes Kabinettsprinzip — die Minister wären von einem Teil der administrativen, bürokratischen Arbeit zu befreien — oder ein betontes Kanzlerprinzip würde ein integrierendes, kooperierendes und koordinierendes Regieren erleichtern. Das Übergewicht des Ressortprinzips und die Vermengung politischer Entscheidungsarbeit mit Verwaltungsarbeit erschweren es.

Wenn auch nicht die Verfassung, so weist doch ein Gesetz dem Bundeskanzler eine koordinierende Funktion zu. 11 Abs. 1 des Gesetzes StGBl. 139/1918 bestimmt, daß der Kanzler auf das einheitliche Zusammenarbeiten aller Ministerien und auf die Wahrung der allen Verwaltungszweigen gemeinsamen Interessen hinzuwirken hat. Diese Kanzlerkompetenz darf nicht isoliert gesehen werden. Sie steht in engem Sachzusammenhang mit von der Verfassung statuierten Kompetenzen des Bundeskanzlers und auch mit seiner Funktion als Verfassungsminister. Vor allem korrespondiert die Koordinationskompetenz mit dem Vorsitz des Kanzlers in der Bundesregierung.

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