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Der Zug nach unten

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In der vorigen Ausgabe der „Furche“ wurde der deutsche Schulreformplan („Rahmenplan“) ausführlich vorgestellt. Wenn wir uns nun kritisch damit befassen, so ist das für uns kein rein platonisches Anliegen, Es geht dabei auch um uns, weil diese Fragen auch in Österreich seit Jahr und Tag auf Antwort warten,

Vor allem kommt uns hier zu Bewußtsein, wie schwierig ein solches Unternehmen beim gegenwärtigen geistigen Gesamtbefund unserer Gesellschaft ist. Dabei haben es sich die deutschen Fachleute noch verhältnismäßig leicht gemacht, indem sie sich von vornherein die schwierigeren Probleme der inneren Gestaltung des Schulwesens vom Leibe gehalten und sich auf die Erstellung des äußeren Rahmens beschränkt haben. Ihr eigentliches Absehen ist die Schulorganisation. Die Fragen nach Gehalt und Ziel werden zu späterer Behandlung zurückgestellt. Doch gelingt, wie zu erwarten war, den Planentwerfern diese Auseinanderhaltung von Gehalt und Gestalt nicht durchgängig. Immer wieder, besonders bei der Umgrenzung des Bildungsauftrags der einzelnen Schulgattungen, werden auch Werturteile mit ausgesprochen. Wertsetzungen verrät auch das Unausgesprochene, das. was sachgemäß ausgesprochen werden müßte. In diesen offenen oder verhüllten Wertungen kommen untergründige Strömun-genzumDurchbruch, dieimWider-spruch zu den Grundüberzeugungen der Vo 1 ksmehrheit stehen und Gefahren für die christliche Religion und die staatsbürgerliche Freiheit ankündigen.

Es zeigt sich hier immer wieder das Befremdliche: Obwohl sich Deutschland einer ausgesprochen religions- und christentumsfreundlichen Staatsführung erfreut, gelingt es doch immer wieder den gegnerischen Kräften, im Kulturbereich Oberwasser zu gewinnen und vor allem die Mittel und Organe der seelischen Volksbeeinflussung in einem Ausmaß an sich zu “reißen, das ihnen zahlenmäßig' bei'weitem “nicht 'zukommt. '-' “n

Das Schweigen über Religion und alle Fragen, die mit Christentum und Sittlichkeit zusammenhängen, ist sehr beredt. Die Bischöfliche Hauptstelle für Schule und Erziehung in Köln äußert sich hierüber unter anderem:

„Sowohl bei den Aussagen über die Bil-■ dungsaufgaben der verschiedenen Schulformen wie bei einigen Organisationsvorschlägen wird deutlich, daß die Religion nicht als ein tragendes Element im Bildungsauftrag der Schulen berücksichtigt wird. Die Bedeutung ethisch-religiöser Bindungen für die Bewährung in der modernen Arbeitswelt, der Einfluß der Gotteserkenntnis auf das Erfassen der Zusammenhänge in Natur und Menschen-welt,. die Einwirkung der Gottesverehrung auf die Bildung der Personen werden an keiner Stelle erwähnt, während von anderen Bil-dutigsgüteru und Bildungsabsichten öfter ausgiebig die Rede ist . . . Eine Reform aber, die derart elementare Gegebenheiten, wie die Religion, In ihren Überlegungen nicht berücksichtigt, muß in wesentlichen Punkten scheitern.“

Ausdrücklich Ablehnendes über die christliche Weltanschauung und Lebenshaltung wird wohlweislich nirgends gesagt. In dem mehr als 50 Druckseiten umfassenden Schriftsatz kommt das Wort „christlich“ überhaupt nur ein- oder zweimal vor, und dies im Zusammenhang mit christlichem Schrifttum, das in der Oberstufe den Schülern geboten werden sollte, dies aber nur als Zeitdokument. Es wird also deutlich, daß, wenn schon vom Christentum die Rede ist, darunter nur das unverbindliche „Kultur-christentum“ gemeint ist.

Es könnte sein, daß die Ausarbeiter des „Rahmenplans“ in solcher Haltung und Aussage keinerlei Widerspruch mit dem Christentum und der Philosophia Perennis überhaupt empfinden, ,zumal ja auch fünf oder sechs Bekenntnischristen in dem zwanzigköpfigen Ausschuß mitgewirkt und anscheinend keinen Einspruch gegen Behauptungen und Empfehlungen angemeldet haben, die auf alle Fälle eine Gefahr für die Zukunft darstellen. Seltsam mutet auch an, daß zum Beispiel der Bayrische Philologenverband und die Landeselternvereinigung der Höheren Schulen in Bayern den „Rahmenplan“ zwar vom Fachlichen her entschieden ablehnen, aber mit keinem Worte sein Versagen auf weltanschaulichem Gebiet bemängeln, das ja vor allem in die Augen springen müßte. Das könnte den Eindruck erwecken, daß in stets weiteren Kreisen das Bewußtsein für das Unbedingte, für das immer und überall Verbindliche, auf das es letztlich in allem Menschlichen ankommt, zusehends verblaßt. So ist die Veröffentlichung des „Rahmenplans“ wieder eine Testprobe des Volksgewissens. Bei solchen Anlässen wird es dem Tieferblickenden deutlich, wie nicht nur die Masse, sondern auch die gebildeten Schichten sozusagen unbewußt unchristlicL oder doch religiös neutral werden. Hier kann man die unheilvolle Auswirkung der hemmungslos arbeitenden Massenbeeinflussungsmittel und gesellschaftlichen Einrichtungen wie der deutschen Gewerkschaft feststellen,

Hand in Hand mit der Verweltlichung geht auch immer die fortschreitende Verstaatlichung und damit auch die Fesselung der Freiheit der Schule. Wenn der „Rahmenplan“ durchgeführt würde, so würde der Staat noch mehr als bisher „überberechtet“, Elternschaft und Kirche noch mehr entrechtet. Der behördliche Dirigismus würde einen weiteren Triumph feiern. Vor allem würde die Einführung der „Förderstufe“ die Bestimmungsgewalt der Eltern über die Ausbildung ihrer Kinder noch mehr einschränken; denn es sind, streng genommen, nicht mehr die Eltern, sondern die Leiter der Förderschule, die darüber entscheiden werden, welche Schullaufbahn der junge Mensch einschlagen wird.

Nun noch einige Bemerkungen über die möglichen unterrichtlichen und erzieherischen Auswirkungen der vorgeschlagenen Veränderungen.

Ein Kernstück der Neuordnung ist die sogenannte F ö r d e r s t u f e. Sie hat nach der Absicht der Planer mehrere Zwecke: Neubelebung der Volksschule, gründliche Auslese für die Oberschule und die Begründung echter Volksgemeinschaft durch längeres Zusammenbleiben der Kinder in ihrem Werdeal'ter. Von Fachleuten wird die Erreichung dieser Ziele ernsthaft in Zweifel gezogen. Es ist kaum anzunehmen, daß sich die erzwungene Zurückhaltung der Begabten unter den weniger Begabten fördernd für die einen oder die anderen auswirkt. Es ist im Gegenteil sehr wahrscheinlich, daß aus der Förderstufe eher eine Hemmstufe wird. Vor allem ist doch auch zu bedenken, daß durch diese Zurückhaltung auf,der Unterstufe zwei Jahre für die weiterführenden Bildungswege verlorengehen. Auch kann selbst eine zweijährige Auslese selten ein endgültiges Urteil über die Bildungstauglichkeit des Schülers aussagen; somit besteht die Gefahr, daß sich später offenbarende Begabungen vorzeitig von der höheren Schullaufbahn ausgeschlossen werden.

Einstimmig bejahend ist das Gutachten über die Brauchbarkeit der Vorschläge, die sich auf die Hauptschule und Realschule und die sich auf eine gehobenere und berufs- und lebenstauglichere allgemeine Volksbildung beziehen. Dieser Teil des Planes hat sicher Aussicht, bald verwirklicht zu werden.

Nicht ganz so glücklich und lebensfähig scheinen die beiden anderen Schöpfungen zu sein, die des Gymnasiums und der Studienschule. Die Bischöfliche Hauptstelle sagt hierzu:

„Die höhere Schule ist in zwei nebenein-' anderstehende Typen zerrissen, weil kein klares, eindeutiges Ziel der höheren Schule mehr gesehen worden ist. Die Studienschule, die neun Jahre dauert, ist in ihrer Verwirklichung nur auf ganz große Städte beschränkt (weil sie das Gymnasium nicht bedrohen soll). Damit sind breite Schichten tatsächlich von dieser Hochschulform ausgeschlossen. Das ist gegen das Elternrecht. Das Gymnasium wird trotz gegenteiliger Behauptung ein zweitrangiger Typ der höheren Schule werden. Seine doppelte Zielsetzung (Hochschulreife und praktischer gehobener Beruf) zerreißt diesen Typ noch in sich selbst.“

Wenn wir noch einmal versuchen, den .Rahmenplan“ in seiner Gesamterscheinung prüfend zu durchleuchten, so offenbart sich als unverkennbarer Fehlansatz das, was man den „Zug nach unten“ bezeichnet hat, eine Einebnung, worunter das Höhere und Schwierigere zugunsten des Niederen und Leichteren zum Teil wenigstens geopfert wird. Das zeigt sich schon in der Förderstufe, wo die Begabten zugunsten der Schwächeren gewaltsam in der VolksschuJwelt zurückgehalten werden. Weniger Leistungsforderung spürt man auch im Gymnasium schon durch die Verkürzung von neun auf sieben Jahre und in der Bevorzugung der naturwissenschaftlich-technischen und neu-sprachlichen vor der klassischen Bildung. Auch die Erbin des früheren humanistischen Gymnasiums, die Studienschule, läßt insofern eine Einebnung erkennen, als ihre Aufnahmefähigkeit so gering ist, daß „die breite Masse der Bildungsbefähigten praktisch von ihr ausgeschlossen ist“ (Erlinghagen).

Die Erörterung des „Rahmenplanes“ ist eine volksweite Angelegenheit geworden. Wie seine geistigen Väter wohl vorwiegend in der linksgerichteten und freisinnigen Fachwelt zu finden sind, so finden sich wohl auch im sozialistischen und freidenkerischen Lager seine meisten Befürworter. Im Süden und Westen Deutschlands hält man im allgemeinen den Plan als eine Verschlechterung des Bestehenden. Zwei große Hindernisse scheinen sich unabhängig vom fachmännischen oder weltanschaulichen Für oder Wider der Verwirklichung entgegenzustellen: der Lehrermangel und der gewaltige geldliche Mehraufwand, den die Durchführung erfordern würde. Kluge Stimmen meinen: Wenn man das hierfür notwendige Kapital für die Verbesserung des Vorhandenen verwendete und wenn man für mehr und tüchtigere Lehrer sorgte, dann würde sich eine so grundstürzende schulische Umwälzung als überflüssig erweisen.

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