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Dialog - auch für die Kirche?

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Es darf auch bei innerkirchlichen Fragen zu keiner Dialogverweigerung oder Auslagerung nach Rom kommen.

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Es darf auch bei innerkirchlichen Fragen zu keiner Dialogverweigerung oder Auslagerung nach Rom kommen.

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Die Kirche ist Zeichen und Werkzeug des Heils, das heißt sie muß einerseits aufzeigen, wie dieses Heil für Menschen heute buchstäblich begreifbar werden kann, andererseits muß die Kirche so wirken, daß ihre Botschaft glaubwürdig bleibt.

Dieses Aufzeigen, die Verkündigung, nimmt der Grundtext zum „Dialog für Österreich” größtenteils wahr. Er enthält wichtige Aussagen zu gesellschaftspolitischen heißen Eisen, hinterfragt den herkömmlichen Arbeitsbegriff und unsere Leistungsgesellschaft, wirbt um eine sozialere, gerechtere Einstellung und um einen neuen Lebensstil (allerdings sucht man vergeblich nach den ökologischen Herausforderungen). In dieser Hinsicht könnte der Text tatsächlich zur Grundlage eines Dialogs für Österreich, für die Menschen, für das zukünftige Miteinander dieses Landes werden, wenn sich Politik und Gesellschaft auf dieses Gespräch für die Zukunft Österreichs einlassen. Erste Reaktionen auf die Einladung der Kirche lassen diesen Prozeß erhoffen. So gesehen könnte der Dialog für Österreich den Auftrag der Kirche erfüllen, sich mit Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute zu solidarisieren, sie zur Sprache zu bringen und Veränderungen aufzuzeigen.

Was für die Erwartungen und Re-fürchtungen der Menschen „in der Welt” gilt, muß aber zugleich für die Menschen in der Kirche Gültigkeit besitzen. „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen.” Diese „Goldene Regel” der Rergpre-digt wird im Grundtext zitiert, aber kaum wahrgenommen. Weder die Freude über vielfältigste Rerufungen von Frauen und Männern zum priesterlichen Dienst noch die Hoffnung auf Veränderung geschichtlich gewachsener Gesetze werden aufgegriffen; weder die Trauer ungezählter Menschen, die durch rigorose Gesetze der Kirche zutiefst verletzt sind, noch die Ängste vieler Gemeinden vor dem sakramentalen Verdursten werden zur Sprache gebracht.

Die Art, wie dieser Grundtext zustande kam und formuliert ist, läßt befürchten, daß ein Dialog für die Kirche Österreichs nicht erwünscht ist. Wenn konkrete Anliegen von über 500.000 Unterzeichnerinnen des Kir-chenvolks-Begehrens praktisch nicht aufscheinen; wenn Themen, an denen die Glaubwürdigkeit der Kirche heute hängt - Zölibatsgesetz, Frauenweihe, Umgang mit Wiederverheiratet-Geschiedenen und Sexualethik -, bestenfalls am Bande und als Fragestellungen im Grundtext vorkommen; wenn zugleich angekündigt wird, daß der Delegiertentag auf jede Beschlußfassung und damit auf jede Verbindlichkeit verzichten wird, dann entsteht leicht der Verdacht, daß hier Dialog gepredigt und kein wirklicher Dialog erwünscht wird.

Auf Seite 15 des Grundtextes wird die Frage gestellt: „Was kann die Kirche dazu beitragen, daß - z. B. im Zusammenhang mit ,Vergangenheits-bewältigung' - Gerechtigkeit gefördert wird, die nicht neue Verletzungen hervorruft, sondern zur Versöhnung führt?” Ein wesentlicher Beitrag der Kirche wäre es, in ihren eigenen Reihen, bei ihren eigenen Strukturen und Gesetzen damit zu beginnen, die immer neue Verletzungen hervorrufen und Gerechtigkeit verweigern, indem sie die von Christus grundgelegte Gleichheit aller Gläubigen vor allen geschlechtlichen, soziologischen und ethnischen Unterschieden ignorieren.

„Die Frage nach der Weitergabe des Glaubens an die kommenden Generationen ist zur Schicksalsfrage der christlichen Kirchen in den westlichen Gesellschaften geworden”, wird Bischof Kurt Koch (Basel) im Grundtext zitiert, und es folgt die Frage: „Ist uns diese Dramatik schon bewußt geworden?” (Seite 22). Den Initiatorinnen und Unterzeichnerinnen des Kir-chenvolks-Begehrens war und ist diese Dramatik bewußt. Sie leben und wirken zum größten Teil an vorderster Front der Kirche und erleben hautnah die Verdunstung des Glaubens und den Verlust an Glaubwürdigkeit der Kirche. Sie haben all das vor zweieinhalb Jahren zur Sprache gebracht und einen Dialog begonnen, der nun von den Bischöfen verordnet wurde.

„Haben die Verkünder die nötige Einsicht in die komplizierter werdenden Lebensverhältnisse der Menschen?”, fragt der Grundtext auf Seite 22 weiter. Es scheint nicht so zu sein, solange die Wortmeldungen einer halben Million Menschen nicht berücksichtigt und als überhebliche Kritik abgetan werden. Die Plattform „Wir sind Kirche” wird sich dem Dialog nicht verweigern, solange es nicht nur ein Dialog für Österreich bleibt. Es darfauch bei innerkirchlichen Fragen nicht zu einer Dialogverweigerung oder zu einer Auslagerung der Verantwortung nach Rom kommen, um diesen Dialog für unser Land, für die Menschen in Österreich glaubwürdig führen können.

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