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Die 5. Volksschulklasse fehlt

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Abgesehen davon, daß dem Verfasser offenbar die Existenz einer Bundespersonalvertretung unbekannt ist, die in erster Linie für Personalfragen zuständig zeichnet, nicht die Gewerkschaft, bleibt die Kernfrage des Problems unberührt. Diese liegt nämlich in der Erwägung, ob ein höherer Bildungsgang in acht Jahren zu bewältigen ist oder nicht. Die Lehrerschaft hat sich in eingehenden Beratungen vor 1962 mit dieser Frage beschäftigt und ist zu dem Schluß "gekommen, daß die vorhandenen acht Jahre genügen, wenn die Schüler mit der nötigen körperlichen und geistigen Reife sowie der erforderlichen Grundbildung, das heißt also nach einer fünf- klassigen Volksschule, in die höhere Schule eintreten. Dieser pädagogisch völlig klaren Auffassung stand bei den politischen Verhandlungen die seit Jahrzehnten fixierte Meinung der Sozialisten gegenüber, an Stelle der höheren Ausleseschule müsse eine allgemeine Mittelschule mit dem Aufbau vier Jahre Grundschule — vier Jahre höhere Unterstufe (Hauptschule oder Untermittelschule) — vier Jahre höhere Oberstufe (nach Typen aufgegliedert) treten; zumindest aber ein einheitlicher Unterbau von zweimal vier Jahren. Damit war die Durchführung einer fünfklassigen Volksschule unmöglich gemacht. Nun sind aber die Lehrpläne — auch in der neuen Form — so aufgebaut, daß — gemessen an den faktischen Entwicklungsstufen — das 5. Volksschuljahr immer noch einkalkuliert ist Mit anderen Worten: alle Schüler sitzen, den Anforderungen des Lehrplanes nach, um ein Jahr zu früh in ihren Klassen.

Zweifellos ist somit ein 9. Jahr nötig, nämlich dann, wenn man die 1. Klasse als Vorbereitungsklasse führt und dann die Kinder den achtjährigen Lehrgang durchmachen läßt. So aber, wie die Schulgesetze von 1962 beziehungsweise die darauf beruhenden Lehrpläne sich das vorstellen, ist das 9. Jahr sinnlos. Betrachtet man den Lehrermangel und den Mangel an öffentlichen Mitteln als Realität, dann gibt es nur eine Möglichkeit: die Beibehaltung der acht Jahre ohne Stundenverkür- zungen, aber mit vorsichtiger Reduktion und teilweiser Umorganisation des Lehrstoffes. Die Verwendung von „Hilfskräften“, gleichgültig welcher Kategorie, ist abzulehnen.

Die „kleine Matura“

Ein Wort noch zur sogenannten „kleinen“ Matura, das heißt einer die höheren Studien ein bis zwei Jahre vor der eigentlichen Reifeprüfung abschließenden Prüfung, deren Bescheinigung keine Berechtigung zum Hochschulstudium enthielte. Zweifellos wäre im Interesse der Wirtschaft eine „mittlere Reife“, zwischen Hauptschule und Hochschulberechtigung gelegen, wünschenswert Aber nur wer sich mit der Naivität der Lehrplangestalter von 1962 an die höhere Bildung als ein Konglomerat verschiedener Lehrstoffe vorstellt kann für einen beliebigen Abbruch der Studien eintreten. Für den Pädagogen, der im Studium einen von Anfang bis Ende durchdachten Bildungsgang sieht, sind solche Gedanken gleichfalls untragbar. Da hätte man eher rechtzeitig an den Ausbau der Hauptschule und ihre Erweiterung um zwei fakultative Jahre auf insgesamt sechs Jahre mit entsprechender Abschlußprüfung denken sollen. Man hätte der sich ins Ungemessene aufblähenden höheren Schule viel Kummer erspart, der Wirtschaft einen echten Dienst erwiesen. Denn daß diese ausgerechnet Abiturienten der höheren allgemeinbildenden Schule benötige, ist eine durch nichts zu beweisende, aber um so eifriger propagierte Behauptung.

Nur in einem kann man der Darstellung vom 5. Oktober beipflichten: die Schule braucht nicht voreilige Experimente — auch nicht die von 1962 —, sondern Ruhe.

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