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Die Jugendarbeitslosigkeit macht in Oesterreich nicht erst in diesem Jahr Sorgen. Schon vom Jahrgang der Schulentlassenen 1952 sind 27% der Jugendlichen (19% Jungen und 34% Mädchen) beruflich unversorgt geblieben. Diese unversorgten 22.000 Jugendlichen wurden als Hypothek in das Jahr 1953 hineingenommen.

Eine (sehr optimistische) Schätzung in den Statistischen Nachrichten vom Jänner 1952 kam zu dem Ergebnis, daß 20.000 Jungen und 10.000 Mädchen als arbeitslos anzusehen sind. Der Einwand, daß Mädchen keiner weiteren Ausbildung und geordneten Beschäftigung bedürfen, ist nicht aufrechtzuerhalten: Erstens ist unter den heute wen gehend zerrütteten Familienverhältnissen damit zu rechnen, daß Mädchen im Elternhaus allein nicht ausreichende hauswirtschaftliche Ausbildung erhalten. Zweitens drängen die wirtschaftlichen Verhältnisse dazu, daß jedes Mädchen einen Beruf erlernt, um sich beispielsweise die Aussteuer erarbeiten oder als Alleinstehende den Lebensunterhalt verdienen zu können (wir haben 600.000 weibliche Haushaltungsvorstände!). Drittens müssen hunderttausende Frauen insbesondere jener Männer mitverdienen, die unterbezahlt sind. Und viertens steht jeder Frau das verfassungsmäßige Recht zu, einen Beruf zu erlernen.

Wenn also schon bisher das Beschäftigungsproblem der Jugend nicht bewältigt werden konnte, so spitzt es sich jetzt noch mehr zu: In den Jahren 1954 bis 1958 wird es im Jahresdurchschnitt 134.000 Jugendliche mehr geben als im Jahre 1951 (340.000 Jugendliche). Von 1959 bis 1964 werden im Jahresdurchschnitt 67.000 Jugendliche mehr als 1951 die Schule verlassen. Dabei übersteigt der Jahrgang 1964 immer noch um 86.000 Jugendliche jenen von 1951.

Ein Irrtum wäre es aber, das Jugendproblem bloß als ein Problem der Zahl zu behandeln. Ist nicht das Jugendalter gerade die Zeit, in der der junge Mensch seine Fähigkeiten und Anlagen entfalten soll, in der die Ausreifung seiner Persönlichkeit vor sich geht? Also kann die Bereitstellung von Arbeitsplätzen nicht das ausschließliche Ziel aller Anstrengungen zur Ueberwindung der Jugendnot sein: die Weiterbildung des schulentlassenen Jugendlichen ist eine mindestens gleich wichtige Aufgabe. Wie dringend dies ist, erhellt die Tatsache, daß von den bei der Volkszählung 1951 gezählten 340.000 Jugendlichen nur ein Drittel, 114.000, in Form einer Lehre oder Schule systematisch in die Arbeitswelt eingeführt wurde und damit Persönlichkeitsbildung erfahren hat. Die Jugendnot stellt sich somit nicht nur als ein Problem der Jugendarbeitslosigkeit, sondern genau so als ein Bildungsproblem ersten Ranges dar.

Darum sind Maßnahmen für den Ueber-gang vom Schul- zum Berufsleben und andere für die bedarfsgerechte Eingliederung der Jugendlichen ins Wirtschaftsleben zu treffen.

Zu den ersteren zählt die Einführung des neunten Schuljahres, über dessen Problematik der vorhergehende Aufsatz handelt.

Die bedarfsgerechte Eingliederung in das Wirtschaftsleben scheiterte bisher an der Wirtschaft selbst, da das Gewerbe weitgehend Lehrlinge nach dem Grundsatz der „Rentabilität“ (Handlangerdienste), nicht aber nach dem objektiven Bedarf der einzelnen Wirtschaftszweige aufnahm und die Industrie zuwenig Lehr- und Arbeitsstellen für Jugendliche bereitstellte (wofür das Jugendschutzgesetz nicht die alleinige Ursache ist!). Die bedarfsgerechte Eingliederung scheiterte ferner an den Eltern, die aus erzieherischen Gründen die anregendere Lehrausbildung ihres Kindes einer Fließbandarbeit in der Fabrik vorzogen. So kommt es, daß in die Lehrberufe mehr Nachwuchs drängt als jemals in ihnen Arbeit finden kann.

Diese Fehlleitung könnte unter anderem durch Entpolitisierung des in anderen Ländern unbekannten Streites: Meisterlehre oder Lehrwerkstätte, eingeschränkt werden. Zur Zeit, werden in mehr als 100 Lehrwerkstätten der privaten' und verstaatlichten Industrie über 5000 Lehrlinge ausgebildet. Das Handwerk müßte sich aber diese Einrichtung selbst zunutze machen, schon um zu verhindern, daß Lehrwerkstätten gegen das Handwerk errichtet werden, etwa in der Form einer „Vorlehre“, das heißt eines exakten, schul-niäßigen methodischen Grundunterrichtes. Der Lehrherr übernimmt dann den Lehrling im zweiten Jahr aus der Gemeinschaftswerkstätte der Berufsvertretung, wodurch auch eine vermehrte Zahl von Einstellungen möglich wird, weil dann nicht erst nach jedem dritten, sondern schon nach jedem zweiten Jahr ein Lehrling neu in den Handwerksbetrieb aufgenommen werden kann. Derartige Versuche haben in Solingen (Schlosserwerkstätte der Kammer), in Baden (Vprlehre für das Auto-mechanikerhandwerk) und im Rheinland beste Erfolge gezeigt.

Die größte Aufmerksamkeit muß aber heute dem Nachwuchs für die angelernte und ungelernte Arbeit zugewendet werden, weil hier die seelische und geistige Gefahr am größten ist. Außerdem kann und muß hier der zahlenmäßig gewichtigste Beitrag zur Lösung des Jugendproblems geleistet werden. Das “ geplante Jugendeinstellungsgesetz hakt ja auch hier ein. Die Industrie hat von sich aus 10.000 Lehrstellen zugesagt. Bei einem isolierten Jugendr einstellungsgesetz taucht allerdings die Gefahr auf, daß die Betriebe dafür Erwachsene entlassen.

Durch den „Werkschulplan“ kann diese Gefahr vermindert werden. Der „Werkschulplan“ will Jugendliche halbtägig (oder halb-wöchig) in produktiver Arbeit gegen den kollektiv-vertraglichen Stundenlohn beschäf-

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