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Die Arbeit der Zukunft trägt weibliche Züge
Die vorherrschende „Idealvorstellung” des erwerbstätigen Normalbürgers ist auf Männer zugeschnitten und eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Die vorherrschende „Idealvorstellung” des erwerbstätigen Normalbürgers ist auf Männer zugeschnitten und eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Wie würden Sie den Zustand unserer Gesellschaft beschreiben? Welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn? Die dichte Atmosphäre des Umbruchs, der Ungewißheit über das Kommende in Tschechows Kirschgarten könnte einem einfallen, mit dem beim Aufbruch ins Ungewisse von allen vergessenen und zurückgelassenen alten Diener, der sein Lebtag lang gemäß der alten, überholten Ordnung tätig war und zuletzt clcndsallein in einer Kammer zurückbleibt, die versehentlich beim Weggehen abgesperrt wurde.
Korporatives Aushandeln gehört zum Kernbestand des politischen Werkzeugkoffers, gerade auch in Osterreich. Aber wer traut noch dem (alten) Denken in gesellschaftlichen Belangen? Obsolet ist heute das Konzept der Arbeitsgesellschaft mit den darauf aufgebauten Institutionen der politischen Vertretung und der sozialen Sicherheit. Die Brüchigkeit dieser Institutionen, insbesondere des Arbeits- und Sozialrechts, die Artikulationsschwäche und damit der Ausschluß eines wachsenden Teils der Bevölkerung, nämlich der „Modernisierungsverlierer” (etwa Arbeitslose und ihre NichtStimme bei den Gewerkschaften) und die klare Hintanstellung von Lebenswelt- gegenüber Arbeitsweltinteressen in politischen Aushandlungsprozessen sind Folge und Ursache der durchaus lösbaren Probleme. Fehlendes Vertrauen in diese Prozesse führt zur Individualstrategie des „Bette sich wer kann!” mit einem Kampf der Modernisierungsverlierer gegen die -gewinner, der Noch-nicht-Armen gegen die Armen, der Inländer gegen die Ausländer.
Worin liegt nun die behauptete Verknöcherung im etablierten politischen System? „Wer nicht eine minimale Sicherheit genießt, wer keine Existenzperspektive hat, kann auch nicht aktiver Bürger sein und die Demokratie lebendig gestalten”, schreibt der Soziologe Ulrich Beck. Nach dem Konzept der alten Arbeitsgesellschaft ist die Existenzperspektive für den einzelnen und damit die Basis einer lebendigen Demokratie dann gegeben, wenn so gut wie alle Bürgerinnen und Bürger im Erwerbsalter in ein Normalarbeitsverhältnis eingebunden sind. Aber genau dieser I .ösungspfad ist illu-
- sorisch; möge die
Parole „Arbeitsplätze schaffen” auch noch so oft wiederholt werden, es wird nicht die dafür benötigte Anzahl BIWHP traditioneller Arbeitsplätze geben -das heißt Vollzeitarbeitsplätze auf Lebenszeit, ohne Unterbrechungen zwischen Berufseinstieg und Pensionsantritt, mit absehbarer Karriere und allem, was sonst noch „normal” dazugehört. Doch nur unter diesen - für eine wachsende Anzahl von Beschäftigten aber zunehmend illusorischen -Bedingungen ist mit der Erwerbsarbeit auch eine tatsächliche soziale Absicherung gegeben.
„Normalität”
Wichtig ist hier darauf hinzuweisen, daß diese starre Normalitätsvorstellung bei der gegebenen .geschlechtsspezifischen Bollenteilung auf einen männlichen Beschäftigten zugeschnitten und eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist. „Vorher hatten Menschen kompliziertere Leben. Auch die Industriearbeiter hatten meistens noch eine Beziehung zum Land oder zu anderen Lebenstätigkeiten. Jetzt kommt eine Zeit, in der wir wieder in andere Lebensformen hineinkommen - nicht alle, aber eine wachsende Zahl. Diese Lebensformen werden eher denen ähneln, die Frauen in den letzten Jahrzehnten gekannt haben, als denen der Männer, das heißt, es werden nicht Karrieren sein, sondern Kombinationen von Teilzeitarbeit, gelegentlichen Arbeitsverträgen, von unbezahlter Arbeit und freiwilliger Tätigkeit für den Allgemeinnutzen ... Das Entscheidende ist: Dieser fundamentale Wandel sollte von der Politik erleichtert und nicht erschwert werden. Hier versagen die Politiker. Ihr Diskurs hält sich völlig in antiquierten Bahnen, während tatsächlich Menschen längst auf anderen Wegen sind. Die Arbeitslosen sitzen ja nicht einfach herum oder stehen am Arbeitsamt Schlange, sondern sie suchen das, was man ein Portfolio an Tätigkeiten nennen könnte ... Es ist eine ganz verrückte Welt, in die wir da hineingeraten, gemessen an den starren Maßstäben der alten Arbeitsgesellschaft. Aber das ist der Übergang, und der tut manchen weh, solange er dauert, vor allem den Männern, die sich nicht daran gewöhnen können, daß der rigide Karrieregedanke eines Jobs auf Lebenszeit nicht mehr zukunftsträchtig ist.” So charakterisiert Balf Dahrendorf den noch nicht verdauten Wandel der Arbeitsgesellschaft.
Chancen des Wandels
Entscheidend für die heutige Misere in der Sozialstaatspolitik ist, daß der real schon längst stattfindende Wandel zu einer Tätigkeitsgesellschaft nicht mit einem klaren politischen Gestaltungswillen einhergeht, der die Chancen dieses Wandels aufgreift. Es gibt hier eine doppelte Starre: einerseits die Starre im Halten von Besitzständen, aber andererseits auch die geistige und ideologische Blockade, die positiven Möglichkeiten einer viel flexibleren Lebensgestaltung, die dem Leben außerhalb der Erwerbsarbeit mehr Baum und Gewicht gibt, zu sehen und aufzugreifen.
Vorsichtig spricht auch das jüngst erschienene Wort der deutschen Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage ein neues Arbeitsverhältnis an. Dieser Wandel kann nicht auf das Problem fehlender Arbeitsplätze reduziert werden. Die prägende „Idealvorstellung” des erwerbstätigen Normalbürgers muß auch im öffentlichen Diskurs ersetzt werden durch die neuen Leitbilder eines Lebens, in dem Zeiten von Erwerbsarbeit abwechseln mit Zeiten von Familienarbeit, selbstgewählter Beschäftigung und freiem Engagement. Solche Flexibilität ist allerdings durch geeignete Bahmen-bedingungen zu unterstützen. Dazu gehört, daß auch in Zeiten des Verzichts oder der Einschränkung von Erwerbsarbeit zugunsten von Familienzeiten, Weiterbildung, Eigenarbeit die Existenzgrundlage gesichert ist, etwa in Form eines arbeitsunabhängigen Grundeinkommens: als stabiler Anker für flexibel und vielseitig tätige Menschen, die nicht zuletzt auch Tschechows vergessenem Diener zugute kommen würde.
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