6668978-1960_51_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Autorität der Presse

Werbung
Werbung
Werbung

RECHTE UND PFLICHTEN

Der Entwurf eines neuen österreichischen Pressegesetzes, der, unter maßgebender Beteiligung der Zeitungsherausgeber und Journalisten zustandegekommen, in der nächsten Zeit das Parlament beschäftigen wird, stellt die öffentliche Aufgabe der Presse unter verfassungsrechtlichen Schutz und garantiert die Pressefreiheit, die im Sinne moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse als Freiheit der Meinungsäußerung, als Informationsfreiheit und Recht auf freie Verbreitung definiert wird. Das neue Gesetz wird der Presse durch erweiterte

Freiheiten jenen Spielraum geben, den sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe bedarf. Und diese ist heute größer denn je, denn die freie unabhängige Presse bildet heute nahezu das einzige ausgleichende Gegengewicht gegen die Allmacht des Staates. Erweiterte Rechte bringen aber auch vergrößerte Pflichten mit sich. Die österreichischen Zeitungsherausgeber und Journalisten sind sich dieser Tatsache voll und ganz bewußt: Freiheit bedeutet nicht Zügellosigkeit. Sie wissen, daß der Schutz des privaten und persönlichen Lebens vor einem nicht aus öffentlichen Gründen gebotenen Eindringen der Presse die natürliche, den öffentlichen Rechten der Presse entgegengestellte Pflicht und Grenze der Pressefreiheit darstellt.

Um das kostbare Gut der Pressefreiheit zu sichern, die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse zu wahren und jeden Mißbrauch der Pressefreiheit zu verhindern, haben sich die österreichischen Zeitungshe/ausgeber aus eigenem Ermessen entschlossen, gemeinsam mit den Journalisten, eine Einrichtung zur Selbstkontrolle der österreichischen Presse zu schaffen. In den nächsten Wochen werden zwischen den beteiligten Verbänden die entscheidenden Beratungen über die Bildung eines Österreichischen Presserates stattfinden.

FREIWILLIGKEIT ODER GESETZLICHES DEKRET?

Die Situation ist bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft: Weil sie auf allen Gebieten nicht mehr das von sich aus leistet, was sie früher getan hat, müssen Hilfskonstruktionen als Gesellschaftsersatz gefunden werden. Auch die Selbstkontrolle ist eine solche Hilfskonstruktion. Sie ist, wie Dr. Hellmut Cron bei der Zweiten Arbeitstagung der deutschen Studiengesellschaft für Publizistik festgestellt hat, nichts anderes als ein „Stück Lückenbüßerei für Tugenden, die die Gesellschaft nicht mehr besitzt. Der Staat hat von diesem Zustand bisher mehr profitiert, als unserer gesellschaftlichen Freiheit guttut. Der Staat ist nur stark und überbürokratisiert, weil die Gesellschaft aus äußeren und inneren Gründen zu schwach geworden ist. Damit der Staat dabei nicht zu übermütig wird, sucht man ihm mit den Mitteln der Selbstkontrolle wenigstens ein paar Federn seiner Omnipotenz auszurupfen.“

Es ist notwendig, an diesen keineswegs stabilen gesellschaftlichen Boden, aus dem alle Einrichtungen einer Selbstkontrolle hervorgehen, zu erinnern, da ja die Zeitung vor allem eine soziologische Erscheinung ist. Und damit kommen wir bereits zur ersten Streitfrage: Können und dürfen Einrichtungen einer freiwilligen Selbstkontrolle der Presse durch ein Votum des Gesetzgebers ins Leben gerufen werden oder sollen sie auf völliger Freiwilligkeit beruhen? Die Antwort auf diese Frage kann eigentlich nicht schwerfallen: In dem Augenblick, in dem der Presserat einem staatlichen Willensakt sein Entstehen verdankt, ist für die Zukunft immer wieder die Möglichkeit für neue staatliche Eingriffe gegeben, und das Prinzip der Freiwilligkeit wird damit ad absurdum geführt. Eine Selbstkontrolle der Presse wird daher nur auf freiwilliger Basis durchgeführt werden können. Dabei wird man sich aber von der heute selbst im Kreise der Presse weitverbreiteten Ansicht freimachen müssen, daß der Presserat eine Art Disziplinargericht mit allfälligen Berufungsmöglichkeiten oder eine Dachorganisation der Verbände wäre. Der Presserat kann nur eine moralische Instanz sein, dessen Autorität sich auf die Integrität und das Ansehen seiner Mitglieder gründet, die in ihrer Tätigkeit völlig frei und unabhängig und nicht an Weisungen der Verbände oder anderer Institutionen gebunden sein dürfen. Die Mitglieder des Presserates müssen nur ihrem Gewissen und dem Gesetz verpflichtet sein. Man muß sich im klaren sein, daß diese Institution nur durch die Persönlichkeit ihrer Mitglieder wirken kann und alles Proporzdenken von vorneherein ausschalten. Sie ist als moralische Instanz auf die freiwillige Anerkennung ihrer Maßnahmen angewiesen. Und gerade darin sollte ihre Stärke liegen: Niemand ist gehalten oder verpflichtet, ihr Rechenschaft zu legen oder sich ihrem Spruch zu unterwerfen. Ihre Tätigkeit erstreckt sich nur auf moralische Gesichtspunkte und entspricht damit der klassischen Auffassung von der Presse als einer moralischen Anstalt.

In diesem Sinne ergeben sich für die organisatorische Gestaltung der Selbstkontrolle bereits von selbst die zweckmäßigsten Formen: • In völliger Freiwilligkeit Verzicht auf jede Möglichkeit einer Exekutive und Anwendung eines direkten oder indirekten Druckes. Gegen eine derartige Konstruktion des Presserates als moralische Autorität können auch nicht die geringsten verfassungsmäßigen Bedenken geltend gemacht werden.

AUF DIE PERSÖNLICHKEITEN KOMMT ES AN

Organisatorische Träger der Selbstkontrolle sollen nach den vorliegenden Plänen auf der einen Seite der Verband österreichischer Zei-tungsheraüsgeber, auf der anderen Seite die Journalistengewerkschaft sein. In der Erkenntnis der Tatsache, daß damit organisatorisch noch nicht alle Kreise erfaßt sind, sieht der Diskussionsentwurf die Kooptierung weiterer Mitglieder aus dem Kreis der Zeitschriften und den Mitgliedern des Presseklubs „Concordia“ vor. Bei dieser Gelegenheit muß mit Nachdruck die hie und da geäußerte Ansicht zurückgewiesen werden, daß sich hier Arbeitgeber und Arbeit-,nehmer gegenüberstehen. Jede derartige Betrachtungsweise ist völlig abwegig, einerseits aus dem Grund, weil es sich hier ausschließlich um ideelle und keineswegs um materielle Fragen handelt, welch letztere auch weiterhin ausschließlich den Verbänden vorbehalten bleiben. Anderseits aber reichen die Beziehungen Zwilchen Herausgebern und Journalisten weit über das materielle Dienstverhältnis hinaus: Der Herausgeber bestimmt die geistige Linie, der Journalist aber gibt in diesem Rahmen der Idee Gestalt; es ist eine geistige Partnerschaft im Sinne der Idee Zeitung, die auch im Presserat Ausdruck finden soll.

Es wäre völlig verfehlt, wenn man dem Presserat nur negative Aufgaben stellen würde. Die Freiheit ist unteilbar. Daher gehört zu seinen Aufgaben ebenso die Verteidigung der Pressefreiheit, wie die Abstellung von Mißbräuchen. Nach den Plänen der österreichischen Zeitungsherausgeber soll der Österreichische Presserat das moralische Forum sein, das alle gemeinsamen ideellen Interessen der österreichischen Presse gegenüber Gesetzgebung, Verwaltung und Öffentlichkeit vertritt. Er ist sozusagen das moralische Gewissen der österreichischen Presse.

In der weiten Öffentlichkeit interessieren natürlich vor allem jene Vorschläge, die einem Mißbrauch der Pressefreiheit begegnen sollen, jenem Mißbrauch, der der Presse in den Augen der Öffentlichkeit und besonders in den Augen der Parlamentarier so geschadet hat. Als Einrichtung einer freiwilligen Selbstkontrolle kann und soll der Presserat keineswegs ein Disziplinar-senat sein. Er kann nach sorgfältiger Untersuchung in jedem einzelnen Fall nur feststellen, ob die Berufspflichten der Presse verletzt oder das Ansehen der Presse geschädigt wurde. Man wird hier vielleicht einwenden, daß die Berufspflichten der Presse bisher keineswegs gesatzt wurden und die Beratungen der UNESCO über einen Ehrenkodex der Journalisten trotz jahrelanger Verhandlungen noch immer nicht zu Ende gekommen sind. Demgegenüber kann man aber darauf verweisen, daß zum Beispiel England überhaupt über kein kodifiziertes Recht verfügt und es gemeinsame ethische Grundsätze in der Journalistik gibt, die, ohne Kodex oder Satzungen, allgemein anerkannt werden.

WER KANN DEN PRESSERAT ANRUFEN?

Nach dem vorliegenden Diskussionsentwurf über die Schaffung eines österreichischen Presserates soll jedermann die Möglichkeit haben, dem Presserat Mitteilung zu machen, wenn durch eine Veröffentlichung, in einer periodischen Druckschrift die verfassungsrechtlich geschützte Pressefreiheit mißbraucht wurde, wenn eine Veröffentlichung gegen die guten Sitten verstößt, wenn eine Veröffentlichung einen durch die öffentliche Aufgabenstellung der Presse nicht gedeckten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt oder wenn die Wahrheitspflicht bei der Berichterstattung gröblich und offenkundig verletzt wird. Darüber hinaus soll aber der Presserat auch angerufen werden können, wenn Polemiken einer Zeitung gegen andere Zeitungen geeignet sind, das Ansehen und den Ruf der österreichischen Presse in der Öffentlichkeit herabzusetzen.

Der vorliegende Entwurf vermeidet sorgfältig alles, was bei der Beratung über derartige Mitteilungen an ein Gerichtsverfahren oder eine Disziplinaruntersuchung erinnern könnte. Aus dem gleichen Grund werden auch die Untersuchungen über derartige Fälle eines Mißbrauchs keineswegs mit einem Spruch oder einem Urteil abgeschlossen werden, sondern bloß mit einer Feststellung moralischer Natur. Man mag vielleicht der Meinung sein, daß dies zuwenig wäre. Die Erfahrungen in anderen Ländern aber beweisen, daß auch eine moralische Instanz über die notwendige Autorität verfügen kann. In Deutschland hat man dem Presserat das von ihm selbst gesetzte Recht nur einmal strittig gemacht. Und das mit negativem Ergebnis! In diesem Sinn kann es aber natürlich auch keinen Zwang auf Veröffentlichung der getroffenen Feststellungen geben: Allerdings sollen diese Feststellungen allen österreichischen Zeitungen und Zeitschriften zur freiwilligen Veröffentlichung zugemittelt werden. Auch hier kommt die Idee zum Durchbruch, daß Freiwilligkeit besser ist als Zwang.

Der Mangel und völlige Verzicht auf jegliche Art der Exekutive stellt naturgemäß ein Experiment dar, sein Gelingen hängt von dem Maß echter Autorität ab, die der Presserat durch seine Tätigkeit zu gewinnen vermag. Diese aber wieder hängt von den Männern ab, die in den Presserat entsendet werden. Auf jeden Fall aber muß dieser Versuch einer freiwilligen Selbstkontrolle der Presse gemacht werden. Es ist sicher damit zu rechnen, daß diese Institution moralischer Autorität bereits in der nächsten Zeit in Österreich Wirklichkeit wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung