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Die Bildungs-Mission

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Die Erwachsenenbildung ist heute eine Tatsache und eine selbstverständliche Einrichtung in allen zivilisierten Staaten der Welt. Sie hat in den letzten Jahren an Umfang, Wirkung und Bedeutung zugenommen. Ja, sie darf in mancher Hinsicht als ein besonders zukunftsreicher Zweig des Bildungs- und Erziehungswesens angesehen werden. Die UNESCO, das Bildungsforum der UNO, beschäftigte sich 1960 .auf einem eigenen Kongreß in Montreal mit der „Erwachsenenbildung in einer sich wandelnden Welt“.

Die Erwachsenenbildung ist die Weiterbildung der Erwachsenen, denn nie ist der Mensch zu Ende mit seiner Bildung. Die Franzosen sprechen von der Education permanent, von der immerwährenden Bildung und Erziehung, der sich der Mensch unterziehen muß, um auf der Höhe seiner Zeit zu stehen. Die gesellschaftliche und technische Entwicklung erfordert eine höhere Bildung aller Volksschichten. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt gibt dem Menschen unerhörte Macht in die Hand. Die Verantwortung für diese Macht trägt jeder mit. Dem Christen sind Wissenschaft und Technik Auftrag Gottes, Mitvollzug Seines Heilplanes und Dienst am Reiche Gottes. Nicht Angst und Kritik, sondern Arbeit und Leistung, die durch höhere Bildung gesteigert wird, werden vom Christen erwartet. Es geht nicht an, daß der Christ bildungsmäßig ins Hintertreffen kommt. Die Kirche ist an der Bildung der Menschen immer interessiert gewesen. Bildungslose, bildungsfremde Menschen ver-massen. Sie sind den Vorurteilen der Umwelt ausgeliefert; sie sind in den entscheidenden Fragen des Lebens urteilslos. Der Ungebildete ist in der Hand der Tyrannen und für die Lockmethoden der Geschäftemacher das Werkzeug, das sie brauchen. Die Kirche hat echte, wahre Bildung immer bejaht und scheut die Wahrheit der Wissenschaft nicht!

Weil sittlich-religiöse Bildung unmöglich ist, ohne . formale Durchbildung der menschlichen Fähigkeiten und ohne materielle Kenntnisvermittlung, wurde die Kirche für das Abendland die Mutter der Schulbildung aller Stufen. Dummheit, Halbgebildetheit und Unwissenheit sind die ärgsten Feinde und Hindernisse für den Glauben. Mehr denn je ist es ein Gebot der Stunde, daß der Christ religiös und bildungsmäßig auch ein Erwachsener ist.

Das Katholische Bildungswerk ist das mit der christlichen Erwachsenenbildung betraute Werk der Katholischen Aktion. Es ist eine zeit- und situationsbedingte Einrichtung der Katholischen Kirche zur Erfüllung ihres Erziehungszieles.

Das Katholische Bildungswerk in der Steiermark reicht in seinen Ansätzen, wie in anderen Diözesen, in die Zwischenkriegszeit zurück. „In den Jahren der Verfolgung 1938 bis 1945 wurden neue Formen der Jugendarbeit und der Seelsorge entwickelt, die alle an dem tiefgreifenden Umwandlungsprozeß partizipierten, der schon vor dem zweiten Weltkrieg anhebend immer mehr zu einem Neuerwachen der Kirche in den Seelen führte. Aus diesem Geist entstand in Österreich nach dem Ende des Krieges ein neues Konzept der Katholischen Aktion, die aus einer neuen Schau der Kirche neue Formen der Organisation und neue Methoden des Apostolats entwickelte. An diesem Weg haben auch die Katholischen Bildungswerke teilgenommen“ (Dr. E. Wenisch).

Priester und Laien, vornehmlich Lehrer und Erzieher, hatten sich schon während des Krieges zu gemeinsamer Seelsorge- und Jugendarbeit in der Steiermark zusammengetan und bildeten als „Gemeinschaft Katholischer Erzieher“ nach 1945 den ersten organisatorischen Ansatz der Katholischen Aktion in der Diözese Graz-Seckau. Bald wurde von dieser Gruppe, die „Gemeinschaft Katholischer Akademiker“ geschaffen, die ab 1946 regelmäßig Vorträge für Akademiker und Studierende in der Landeshauptstadt veranstaltete. Nach dem großen Umbruch fanden diese Veranstaltungen eine allgemeine Aufgeschlossenheit und große geistige Bereitschaft. 1946 wurden vom damaligen Generalsekretär der Katholischen Aktion, Professor Dipl.-Ing. Dr. Max Pietsch, unter dem Namen Katholisches Bildungswerk erste Zweigstellen im Mur- und Mürztal errichtet. Bald wurden auch die Vorträge der „Gemeinschaft Katholischer Akademiker“ in Graz unter dem Titel Katholisches Bildungswerk durchgeführt, das sich an alle Erwachsenen wandte. 1955 schloß sich das Katholische Bildungswerk in der Steiermark mit den Bildungswerken der anderen Diözesen zur Arbeitsgemeinschaft Katholischer Bildungswerke Österreichs zusammen und steht heute mit dem Verband der österreichischen Bildungswerke und der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke im großen Dachverband des Ringes österreichischer Bildungswerke.

Die Seckauer Diözesansynode 1960 nimmt Eur Erwachsenenbildung eingehend und sehr positiv Stellung. Es heißt im Bericht und Statut: „So sehr sich Kirche und Staat bemühen, die von den Eltern immer weniger wahrgenommene Erziehungsaufgabe an der heranwachsenden Jugend im eigentlich er-ziehungspflichtigen und erziehungsfähigen Alter zu erfüllen, so hat es sich doch als notwendig erwiesen, dem Erwachsenen, der sich immer weniger zur ihm nun auferlegten Selbsterziehung befähigt erwies, durch eine Fülle von Einrichtungen und Maßnahmen zu Hilfe zu kommen, die man unter dem Begriff der Volksbildung zusammenfassen kann.“ — Weiter heißt es im Kapitel 297: „Die Kirchliche Verkündigung erfaßt auf dem Wege der Volksbildung heute weite Kreise, die sich nicht oder nur peripher der Kirche zuzählen. Volksbildungsarbeit kann daher als besonders wirksame Form der Vorfeldarbeit gelten. Behandelt doch die Bildungsarbeit auch Lebensbereiche, die von der Kanzel aus nur beschränkt oder gar nicht berührt werden können, zu denen aber kirchliche Stellungnahmen erwartet werden.“

Innerhalb der Diözese ist das Katholische Bildungswerk von Jahr zu Jahr stark angewachsen. Jährlich konnten mehrere Pfarreien für die Errichtung eines Bildungswerkes gewonnen werden. Der wiederholt geäußerte Wunsch der Bischöfe bei den Visitationen nach Gründimg eines Bildungswerkes, die Pfarrbesuche und Besprechungen von Seiten der Diözesanführung des Bildungswerkes und das zur Tat drängende Leben der Gliederungen der Katholischen Aktion förderten das Entstehen neuer pfarrlicher Bildungswerke.

Die folgende Übersicht möge das Anwachsen der Bildungswerke veranschaulichen:

182 191

70 68

1354 1.605

Besucher 162.143 168.430 171.410 187.203 190.330

Als Bildungswerke bezeichnen wir Orte, die mehr als fünf Veranstaltungen im Jahr durchführen und einen ständigen Arbeitsausschuß haben. Orte mit weniger als fünf Veranstaltungen bezeichnen wir als Einsatzorte.

Die soziologisch sehr differenzierte Bevölkerungsstruktur der Steiermark verlangt einen ebenso differenzierten Einsatz in der Bildungsarbeit. Nachdem es bis 1962 gelungen war, die größeren und verkehrstechnisch günstiger gelegenen Pfarren für die Gründung und Errichtung eines Bildungswerkes zu gewinnen, galt in den Arbeitsjahren darauf das Hauptaugenmerk der Intensivierung und konzeptbetonten Bildungsarbeit. Allein im Arbeitsjahr 1963/64 sind von 191 Bildungswerken 150 auf geplante und gezielte Vortragsreihen übergegangen. Meistens werden zwei Vortragsreihen geplant: eine von Oktober bis Dezember, die zweite von Jänner bis Mai. Für die Vortragsreihen wurden von den meisten Bildungswerken Hörerkarten ausgegeben, die zum Besuch aller Vorträge berechtigen. Dadurch konnte ein fester Hörer-kreis für alle Vorträge gewonnen werden.

Hinsichtlich der Bevölkerungsstruktur unterscheiden wir in der Steiermark fünf Arbeitsfelder, denen thematisch und methodisch Rechnung getragen werden muß:

1. Die Landeshauptstadt mit dem über-pfarrlichen Bildungswerk, das sich vornehmlich an Akademiker und Hochschüler wendet.

2. Die Industriestädte der Ober- und Weststeiermark sowie die Pfarren der Landeshauptstadt Graz mit den Randbezirken.

3. Die rein bäuerlichen Pfarren der West-und Oststeiermark und der Gebirgstäler der Obersteiermark.

4. Die Kleinstädte und Märkte.

5. Die geschlossenen Gruppen der Heime, Internate, Berufs- und Fachschulen.

Der Grundsatz aller katholischer Bildungsarbeit ist das Prinzip der offenen Tür. Alle Erwachsenen sollen angesprochen und vom Thema erfaßt werden. Hinsichtlich seiner Zielsetzung ist das Katholische Bildungswerk eine universelle Bildungseinrichtung, die ihre Tätigkeit sowohl auf die kirchentreue Bevölkerung als auch auf die der Kirche Fernstehenden erstreckt. Ziel christlicher Bildungsarbeit ist der vollkommene und mündige christliche Mensch. Das Bildungswerk will einen Christentyp erziehen, der weiß, was er glaubt und warum er glaubt.

Das Bildungswerk hat Wissens- und Gewissensbildung zu leisten und ist bemüht, die Wissensvermittlung und Bildung durch Vorträge, Vortragsreihen, Kurse, Ausstellungen, Bildungsfahrten zu erzielen. Das Katholische Bildungswerk steht in enger Zusammenarbeit mit anderen Gliederungen der Katholischen Aktion, vornehmlich mit der Männer- und Frauenbewegung, die sich besonders der Schulung und der sozialen Bildung der Erwachsenen annehmen. Der Katholische Akademikerverband nimmt sich besonder Darstellung berufsethischer und weltanschaulich relevanter Themen der Einzelwissenschaften an. In der Belehrung über den richtigen Gebrauch der Massenmedien leistet das diözesane Filmreferat wertvolle Bildungsarbeit.

Das Katholische Bildungswerk bekennt sich zu einem Menschenbild, das sich in der Freiheit offenbart und von der metaphysischen Bestimmung jeder einzelnen und einzigartigen Person weiß. Diese Einzigartigkeit, Einmaligkeit, Kostbarkeit und Würde jedes menschlichen Individuums ist eines der fundamentalsten Elemente eines Menschenbildes, dessen Realität sich in den schmerzlichen Katastrophen totalitärer Systeme immer deutlicher herauskristallisiert hat. Das Katholische Bildungswerk wird mit jeder Institution der Erwachsenenbildung zusammenarbeiten, die dieses Menschenbild bejaht und zum Ziel und Ausgangspunkt ihrer Bildungsarbeit macht.

„Die christliche Erwachsenenbildung steht heute mit in der vordersten Front im Kampf um die Freiheit der Bildung. In dem sie die aus dem kirchlichen Leben und dem Leben mit der Kirche entspringenden Bildungsantriebe und Kräfte zu entfalten und mit der aktuellen Problematik der Welt von heute zu konfrontieren versucht, leistet sie einen unersetzlichen Beitrag zur geistigen und haltungsmäßigen Mündigmachung des Menschen: Eines freien, mündigen Menschen und Christen, der nach oben hin allen Werten geöffnet und ihre Forderung zu beantworten fähig und der seine Verpflichtungen zu erfüllen bereit ist“

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