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Die Eltern sollten entscheiden

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Der Artikel 68 des Staatsvertrages von Saint-Germain aus dem Jahre 1 9 2 0 gewährt den österreichischen Minderheiten „angemessene Erleichterungen“ für den Unterricht an den Volksschulen. Der Artikel VII des österreichischen Staatsvertrages vom Jahre 1 9 5 5 bestimmt, daß die slowenischen und kroatischen Minderheiten Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache haben.

Es fällt auf, daß die Rechte der Minderheit im Staatsvertrag von 195 5 anders behandelt wurden als im Staatsvertrag von 1920. Haben sich denn die Grundsätze in der Behandlung der Minderheiten seit dem Jahre 1920 geändert? Oder hat diese Verschiedenheit der Bestimmungen in den beiden Staatsverträgen andere Gründe?

Vor dem Jahre 1920 gab es auf dem Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie überhaupt keine Minderheit, sondern es gab eben in verschiedenen Ländern zwei oder auch gar drei Landessprachen, Es galt hier der Grundsatz, daß niemand zur Erlernung der zweiten Landessprache gezwungen werden darf. Wer die Volksschulen erhalten mußte — das waren die Ortsgemeinden —, konnte bestimmen, welche Schulen auf seinem Gebiet geführt werden müssen. Es gab damals sogenannte utraquistische Schulen; sie waren so eingerichtet, daß eben der Lehrer an die gegebenen Sprachenverhält-nisse anpassend den Unterricht erteilte und daß die Schüler nach Verlassen dieser Volksschulen in die Lage versetzt waren, in dem großen Wirtschaftsraum der österreichisch-ungarischen Monarchie den bestmöglichen wirtschaftlichen und kulturellen Anschluß zu finden. Neben dem Typus der utraquistischen Schule gab es auch natürlich rein deutsche, rein slowenische usw. Schulen. Ueber den einzurichtenden Schultypus hatte, wie gesagt, der Schulerhalter im wesentlichen freie Entscheidung. Die Situation war klar. In Gemeinden mit klarer deutscher Mehrheit wurden deutsche Schulen eingerichtet. In Gemeinden mit Marer slowenischer Mehrheit wurden slowenische Schulen eingerichtet, und in Gemeinden, wo ein stärkeres Mischungsverhältnis vorhanden war, einigte man sich auf die sogenannte utraquistische Schule, bei der ja auch Sprachunterricht beider Landessprachen gepflogen wurde, jedoch galt hier der vorhin erwähnte Grundsatz, daß niemand zur Erlernung der zweiten Landessprache gezwungen werden kann. Unter diesem Grundsatz ist die österreichisch-ungarische Monarchie immerhin recht alt geworden.

Ich darf nun auf die Schulverhältnisse im Räume der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt eingehen. Aus dem Schulschematismus des Jahres 1870 erfahren wir, daß damals 22 Volksschulen gewesen sind, von denen 11 utra-quistisch, 6 deutsch und 5 slowenisch eingerichtet waren. Im Jahre 1914 gab es auf dem Gebiete der heutigen Bezirkshauptmannschaft — also ich rechne die im Jahre 1920 abgetrennten Gebiete nicht hinzu — insgesamt 34 Volksschulen, davon waren 24 utraquistisch, 10 win deutsch und eine slowenische Privatschule. Der Schulschematismus aus dem Jahre 1937 zeigt, daß auf dem gleichen Gebiet 38 Volksschulen gewesen sind, davon waren 30 Schulen deutschslowenisch, 8 Schulen waren rein deutsch.

Es fällt auf, daß von 1914 bis 1937 zwei ehemals rein deutsche Schulen in deutschslowenische Schulen umgewandelt wurden: die Volksschule in Eisenkappel und die Volksschule in St. Michael ob der Gurk. In der gleichen Zeit sind übrigens auch vier neue Schulen deutsch-slowenisch und nicht rein deutsch eingerichtet worden. Die Erste Republik ist also ihren Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag von Saint-Gennain gegenüber den Minderheiten mehr als nachgekommen. Diese entgegenkommende Haltung der Regierung der Ersten Republik gegenüber der Minderheit wurde von einem Teil dieser Minderheit nicht anerkannt — und gerade von jenem Teil, der durch die Hetze des Nationalismus den Vielvölkerstaat zerschlagen hat.

Der Schulschematismus des Jahres 1939 ist kein österreichischer. Ich will die Zahlen trotzdem kurz angeben. Insgesamt 43 Schulen, 28 deutsch-slowenisch und 15 rein deutsch.

Werfen wir nun einen Blick auf den Schulschematismus des Jahres 1956. Heute hat der Bezirk Völkermarkt insgesamt 46 Volksschulen. Nach der Sprachenverordnung vom 3. Oktober 1945 sind 43 Volksschulen zweisprachig und 3 Volksschulen sind rein deutsch geblieben.

Die zweisprachige Schule hat eine doppelte Unterrichtssprache. Es wird beispielsweise Heimatkunde unterrichtet. Das geschieht eine halbe Stunde in deutscher Sprache und eine halbe Stunde in slowenischer Sprache. Qualifikation erfolgt außer in den Schulfächern auch in „Deutscher Unterrichtssprache“ und in „Slowenischer Unterrichtssprache“. Nach den ersten drei Schulstufen der Volksschule werden drei bis vier Wochenstunden in slowenischer Sprache geführt; aber der Zwang bleibt sowohl in den Hauptschulen als auch in den Mittelschulen aufrecht.

So sieht also die Germanisierung aus, die dem kleinen Staat Oesterreich von seinen Gegnern bisweilen vorgeworfen wird!

Aus einer neutralen Statistik erfahren wir, daß in diese 43 zweisprachigen Schulen rund 2339 Kinder mit deutscher Muttersprache und 1790 Kinder mit „slowenischer“ Muttersprache gehen. Die Bezeichnung slowenische Muttersprache ist unter Anführungszeichen gesetzt. Hiezu gehört eine Erläuterung:

Die slowenische Schriftsprache ist ja erst, etwa 100 Jahre alt. Sie ist in Laibach gebildet worden. Der Dialekt, der in Südkärnten gesprochen wird, heißt seit altersher „windisch“ und weicht ziemlich stark von der jungen slowenischen Schriftsprache ab. Der Landeshauptmann von Kärnten hat für das Gebiet des Schulwesens den Ausdruck „windisch“ verboten, daher ist bei den Schülererhebungsbögen in der Rubrik „Muttersprache“ immer nur entweder die Eintragung deutsch oder slowenisch, obwohl viele Eltern der Meinung sind, man solle „windisch“ in diese Rubrik als Muttersprache eintragen, weil sich viele Windische absolut nicht als Slowenen im Sinne der Laibacher Deutung fühlen. So haben im Jahre 1920 bei der Kärntner Volksabstimmung viele Windische ihre Stimme für den Verbleib im österreichischen Staatsverband abgegeben.

Die wichtigste Voraussetzung für ein friedliches nationales Nebeneinander-Leben ist die Achtung gegenüber dem nationalen Nachbar. Zwang ist das schlechteste Mittel, eine solche gegenseitige Achtung zu erreichen. Gerade in der Volksschule sollen die pädagogischen Grundsätze auch in diesen Fragen eingehalten werden. Ueber die Unterrichtssprache sollten die Eltern frei'entscheiden können. Sie sind es ja schließlich, die die Kinder zu brauchbaren Mitgliedern des Staates erziehen sollen. Nur sie können es beurteilen, ob sie für den österreichischen Staat oder für einen fremden nationalen Kulturkreis erzogen werden sollen. Die Eltern sollen daher auch über den Schultypus entscheiden können. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß die Kinder schon frühzeitig die andere Sprache kennenlernen, aber sie sollen diese Sprache nicht als Unten ichtssprache, als Zwang, als Muß kennenlernen, sondern als Vorteil für den Fleißigen.

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